www.super-illu.de, 08.04.2009
Tillich zur DDR-Debatte: »Manch einer wird die Planbarkeit vermissen – aber wohl kaum die Kehrseiten«
Nachdenkliche Töne in der DDR-Debatte von Sachsens CDU-Ministerpräsident Stanislaw Tillich: Im Interview mit SUPERillu äußert er Verständnis für diejenigen Ostdeutschen, die die DDR nicht als Unrechtsstaat empfunden haben – zumindest, als es sie noch gab.
*** Sie haben drei von fünf Lebensjahrzehnten in der DDR gelebt, mussten sich wegen Ihrer Biographie auch Vorwürfe gefallen lassen. Gibt es etwas, das sie gerne ungeschehen machen würden?
Man kann nichts ungeschehen machen, man kann nur zu seiner Verantwortung stehen – und das tue ich. Wenn es um meine Tätigkeit für den Rat des Kreises Kamenz in den letzten Jahren der DDR geht, so kann ich nur sagen:
Das würde ich heute nicht mehr so tun. Aber hinterher ist man immer klüger. Entscheidend ist doch, dass man mit sich selbst im Reinen ist, und das bin ich.
*** Heute, 20 Jahre nach dem Mauerfall, wird wieder eine Debatte darum geführt, ob die DDR ein Unrechtsstaat war oder nicht. Wie sehen Sie das?
Wer in die DDR hineingeboren wurde, wer mit diesem System groß geworden ist, der hat meist nicht den persönlichen Vergleich gehabt, der hat nicht aus eigener Anschauung gewusst, wie es sich in einem freiheitlichen Rechtsstaat lebt. Reisefreiheit, Meinungsfreiheit, freie Berufswahl und freie Religionsausübung – dem einen war das wichtiger, dem anderen weniger wichtig. Für beides habe ich Verständnis. Spätestens heute sollte aber eigentlich jedem klar sein, dass ein Staat, der Andersdenkende eingesperrt oder auf der Flucht erschossen hat, kein Rechtsstaat, sondern ein Unrechtsstaat war.
*** Taugt der „Unrechtsstaat“ als Kampfbegriff in der politischen Auseinandersetzung?
Für mich ist das vor allem eine Frage der historischen Wahrheit und der Aufrichtigkeit. Auch diejenigen aus der Bundesrepublik, die seinerzeit das Gespräch mit den DDR-Oberen gesucht haben, wussten, dass dieses Staatsgebilde ihrer Auffassung von Recht und Freiheit nicht entspricht. Sie haben dennoch den Dialog geführt – und das aus achtbaren Gründen: Sie wollten humanitäre Erleichterungen erzielen und den Zusammenhalt der Deutschen in Ost und West fördern. Es käme heute jedenfalls niemand auf die Idee, den Entspannungspolitikern daraus einen Vorwurf zu machen.
*** Trotzdem: Heute haben die DDR-Bürger den Vergleich – und viele gewinnen dem alten System im Nachhinein gute Seiten ab…
Die Bevormundung der Bürger durch den Staat DDR hatte zwei Seiten: Einerseits hat sie Frustration und Lethargie gefördert, andererseits vielen ein Gefühl von Sicherheit vermittelt. In Zeiten der Verunsicherung wird manch einer diese Planbarkeit vermissen – aber wohl kaum die Kehrseiten, die damit in der DDR verbunden waren.
*** Sind die Menschen im Osten mit der Freiheit und der damit verbundenen Eigenverantwortung überfordert?
Nein. Das ist kein ostdeutsches Phänomen. Im Gegenteil: Die meisten Ostdeutschen haben sich dieser Eigenverantwortung in den vergangenen 20 Jahren mit Bravour gestellt, wenn man sieht, dass 80 Prozent ein oder mehrmals ihren Beruf gewechselt haben. Dass sich da allerdings eine gewisse Müdigkeit einstellen kann, ist verständlich.
*** Wird der Zusammenhalt unter den Menschen, den viele ehemalige DDR-Bürger vermissen, in Zeiten der Krise und gefährdeten Wohlstands wieder zunehmen?
Es kann gut sein, dass man wieder mehr zusammenrückt, dass der Rückhalt in der Familie und im Freundeskreis an Bedeutung gewinnt. Aber das wird kaum vergleichbar sein mit dem, was in der DDR war. Was stand denn damals hinter dem viel beschworenen Zusammenhalt? In erster Linie war es doch eine Art Tauschwirtschaft, ein Geben und Nehmen in einem Mangelsystem, wo es weniger darauf ankam, was einer verdiente – sondern darauf, ob er Zugang zu Waren hatte oder handwerklich versiert war.
Interview: Dirk Baller
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Was Stanislaw Tillich über Liebe und Ehekrisen, über seinen 50. Geburtstag und seine Zukunftspläne sagt, lesen Sie im ganz privaten Interview in der nächsten Ausgabe von SUPERillu – ab Mittwoch, 8. April im Handel.