Neues Deutschland ND, 20.06.2009
Die Axt im Blockflöten-Orchester
Sächsischer SPD-Mann Nolle hält der CDU den Umgang mit ihrer Ost-Vergangenheit vor
Der sächsische SPD-Abgeordnete
Karl Nolle hat ein lange angekündigtes Buch veröffentlicht, das die »Doppelmoral« der CDU im Umgang mit der DDR-Geschichte belegen soll. Im Wahlkampf wird es Wellen schlagen.
Wenn Journalisten sich durch historische Akten wühlen, ist das üblicherweise kein Fall für die Landespolitik. Anders beim Kreisarchiv Kamenz. Als sich der Mitarbeiter einer Tageszeitung dort für Details einer Ende 1989 im Rat des Kreises behandelten Hausenteignung interessierte, ging eine Information an Sachsens Staatskanzlei. Es gebe eine »innerbehördliche Anweisung«, wird der Landrat zitiert. Karl Nolle schüttelt den Kopf: Der Vorfall sei eine »wohldokumentierte politische Dummheit«. Er ist zudem Indiz für enorme Nervosität in der sächsischen CDU.
Auslöser für die Unruhe sind Recherchen zur DDR-Vergangenheit namhafter CDU-Politiker im Freistaat, deren Ergebnisse Nolle gestern in Form eines Buches mit dem Titel »Sonate für Blockflöten und Schalmeien« vorlegte. Der 335 Seiten starke Band beleuchtet anhand von Dutzenden Biografien und vielen Dokumenten die »Kollaboration heutiger CDU-Funktionäre mit dem SED-Regime«, wie es im Untertitel heißt. Der Begriff sei bewusst gewählt, so Nolle: »Das ist so hart gemeint, wie es da steht.«
Die prominenteste Figur in dem Buch ist Ministerpräsident Stanislaw Tillich, der aus dem Kreis Kamenz stammt und dort 1987 zum Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates des Kreises für Handel und Versorgung wurde. In seinen offiziellen Lebensläufen nach 1989 las sich das freilich anders: Tillich sei als »Verwaltungsangestellter« tätig gewesen, hieß es etwa. Die korrekte Bezeichung hätte indes womöglich Bekenntnisse unglaubwürdig erscheinen lassen, wie sie Tillich im Oktober 2008 abgab: Er sei in die CDU eingetreten, »damit ich Ruhe vor der SED hatte«, und habe sich »eine Nische gesucht«.
Nolle zitiert die Aussage mehrfach – und stellt ihr ein weiteres Zitat des CDU-Politikers gegenüber: Man müsse aufpassen, sagte dieser zum Umgang mit DDR-Geschichte, dass »die Wölfe nicht die Geschichte der Lämmer umschreiben«. Der Satz fällt freilich nicht nur nach Meinung Nolles auf Tillich zurück. Von der »gezielten Legende«, wonach CDU oder LDPD in der DDR »aufrichtige Opposition« gewesen seien, spricht Cornelius Weiss. Der frühere Rektor der Leipziger Universität und Ex-Fraktionschef der SPD im Landtag warf den einstigen Blockparteien bei der Buchvorstellung eine andauernde »Hypothek der fehlenden Auseinandersetzung« mit der DDR-Geschichte vor.
Dabei betont Weiss, er kritisiere etwa Tillich nicht für die Arbeit im Rat des Kreises. Es handle sich um eine von vielen »normalen Biografien« in der DDR. Es sei jedoch »merkwürdig«, wie nach 1989 solche Karriereschritte unterschlagen würden, sagt Weiss spitz: »Opportunisten bleiben eben Opportunisten.« »Langsam ärgerlich« werde es, wenn diese mit dem Finger auf andere zeigten, fügt er in Anspielung auf permanente CDU-Vorwürfe an die »SED-Nachfolger« hinzu. Handle es sich dabei sogar um wichtige Mandatsträger, werde das »zur Belastung für die Demokratie«, so Weiss. Dies aufzuzeigen, sei Thema des Buches, sagt er und widerspricht »gezielt geschürten Missverständnissen«: Nolles Buch sei »keine Anklageschrift«.
Als solche hatten prominente CDU-Politiker in Sachsen die Publikation dargestellt und Nolle vorgeworfen, als Westdeutscher über Ostdeutsche zu urteilen. »Die Saat des Spalters darf nicht aufgehen«, hatte Fraktionschef Steffen Flath, der 1983 in die Ost-CDU eintrat, gewarnt. Nolle erklärt, nicht die Biografien seien »eine Schande, sondern der Umgang damit«, und fügt genüsslich eine sprachliche Analyse an: »Spalter«, einst Bezeichnung für eine Art Axt, sei »zu Zeiten des Stalinismus« politischer Kampfbegriff geworden. Flath, so Nolle süffisant, müsse sich diesen Sprachgebrauch wohl »erst noch abgewöhnen«.
Für das Buch, sagt Nolle, habe er seit Jahren Material gesammelt – aus Ärger über die »Doppelmoral« der sächsischen CDU. Dass es nun nach sechsmonatiger Verspätung, die der Druckereibesitzer auch einem gegen ihn eingeleiteten Betrugsverfahren zuschreibt, rechtzeitig zum Wahlkampf erscheint, ist ihm aber nicht unrecht. Es könne so »auf die Diskussion im Land Einfluss nehmen«, sagt der 64-jährige Sozialdemokrat, für den die Quintessenz zumindest in Bezug auf Tillich feststeht: Ein Ministerpräsident, der auf eine solche Weise »nicht wahrhaftig« mit seiner Biografie umgehe, ist nach seiner Ansicht »fehl am Platze«.
Von Hendrik Lasch, Dresden
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Karl Nolle: »Sonate für Blockflöten und Schalmeien«, 9,80 Euro, erhältlich im Buchhandel oder über www.karl-nolle.de