Süddeutsche Zeitung, 23.06.2009
Die Brücke der Schande - Ansichten eines Petzers: Deutschland gibt 200 Millionen Euro dafür aus, in Dresden ein Weltkulturerbe zu zerstören.
Eine Außenansicht von Günter Blobel
An diesem Dienstag wird das Welterbekomitee der Unesco in Sevilla über die Elblandschaft entscheiden. Den 21 Delegierten wird nichts anderes übrig bleiben, als Dresden von der Liste der Welterbestätten zu streichen.
Damit wird der Schlusspunkt unter eine schier einzigartige Kette von Peinlichkeiten gesetzt. 2006 wurde in einem Gutachten der Unesco festgestellt, dass der Bau der Waldschlößchenbrücke das Elbtal an seiner schönsten Stelle zerschneiden und damit irreversible Schäden anrichten würde. Das Elbtal wurde daher von der Unesco auf die Rote Liste gesetzt. Doch die sächsische Regierung berief sich auf einen Bürgerentscheid, der im Jahre 2005 vom ADAC sowie der Dresdner CDU und FDP initiiert worden war.
Vaterlandsloser Geselle
Darin stimmte zwar nur ein Drittel der Wahlberechtigten Dresdner für den Brückenbau, trotzdem wurde im Herbst 2007 mit dem Bau begonnen. 2008 machte die Unesco klar, dass das Welterbe im Jahr 2009 von der Liste gestrichen werde, wenn das Baugebiet nicht wieder in seine ursprüngliche Gestalt zurückgeführt würde. Aber der Bau ging weiter, mit der klaren Absicht, vollendete Tatsachen zu schaffen. In einer peinlichen Weise begannen führende sächsische und Dresdner Politiker von CDU und FDP, die Unesco als undemokratische Organisation zu verunglimpfen. Das Dresdner Elbtal werde Welterbe bleiben, auch wenn die Unesco den Titel aberkenne; man lasse sich doch nicht von anderen Staaten diktieren, was man in Dresden mache; der Titel sei verzichtbar, und dass die Touristen weiterhin nach Dresden kommen werden. Brückengegner wurden von führenden sächsischen Politikern der CDU und FDP verunglimpft. Ich wurde von Dresdner CDU und FDP-Prominenten, als "vaterlandsloser Geselle" und "Petzer" bezeichnet.
Welterbe-Titel wackelt
Das Dresdner Elbtal wäre das erste Weltkulturerbe, das von der Unesco-Liste gestrichen würde. Viele der Hunderten von Kulturwelterbestätten befinden sich in armen Ländern, die sich bemühen, diese mit ihren beschränkten Mitteln zu erhalten. In Deutschland hingegen gibt man 200 Millionen Euro aus, um ein Weltkulturerbe zu zerstören. Das Elbtal ist eingebettet in kilometerweite, weitgehend unberührte Wiesen und umgeben von Hängen mit Weinbergen, Villen und Schlössern, welche die Zerstörung der Stadt im Februar 1945 überstanden haben. Vieles, was während der DDR-Zeit verkommen war, wurde nach der Wende wiederhergestellt.
Diese Oase der Stille und Schönheit ist allen, auch den weniger bemittelten Dresdnern, beiderseits des Flusses leicht zugänglich: zum Wandern, Fahrradfahren, Drachensteigen, Rudern, Schwimmen, Picknicken, Schlittenfahren und zum Meditieren auf einer in den Wiesen ausgebreiteten Decke. Man braucht kein Geld ausgeben, braucht nirgendwohin zu fahren oder zu fliegen. Man hat alles vor der Tür.
Symbol der Völkerversöhnung
Die fast vollkommene Zerstörung der historischen Innenstadt Dresdens im Februar 1945 hatte damals selbst in England und Amerika Empörung ausgelöst. Mit großer Sympathie hat man daher weltweit verfolgt, wie die Dresdner ihre Bauten wiederherstellten. In der DDR-Zeit waren zunächst der Zwinger, dann die Katholische Hofkirche und letztlich die Semperoper wieder aufgebaut worden. Als dann nach der Wende der Wiederaufbau der Frauenkirche verkündet wurde, haben insbesondere England und Amerika diesen Wiederaufbau auch als ihre Aufgabe betrachtet. Millionen wurden dort gesammelt, um bei diesem Kraftakt mitzuhelfen. Dresden wurde zu einem Symbol der Völkerversöhnung.
Alles vorbei! Mit der empörenden Unnachgiebigkeit gegenüber der Unesco verliert Dresden nicht nur das Welterbe, sondern auch seinen Status als Ikone des Weltgedächtnisses. Unglaubwürdig werden auch die Bemühungen sein, in Dresden ein "Weltkulturforum" zu etablieren (quasi als Pendant zum Weltwirtschaftsforum in Davos). Wenn man die Welt nur will, wenn sie einem nützlich ist, aber nicht, wenn man sich an ihre Normen halten soll, soll man sich auch nicht wundern, wenn man als rückständig und provinziell eingestuft wird und mit einem Weltkulturforum nicht vorankommen wird.
Darf man nun resignieren, wie es viele bereits getan haben? Nein, absolut nicht!
Man sollte erst recht versuchen, einen Baustopp zu erreichen. Leider sind die führenden Politiker in Dresden und Sachsen aus eigener Kraft und Einsicht nicht in der Lage dazu, deshalb muss sich Bundeskanzlerin Merkel persönlich engagieren. Sie sollte ihre Parteikollegen in Dresden und Sachsen ermahnen, dass ein Verlust des Welterbes für Deutschland und besonders für Dresden nicht akzeptabel ist! Sie hat ja auch Papst Benedikt öffentlich ermahnt, da sollte sie wohl auch die Traute haben, ihren Dresdner Parteikollegen in die Parade zu fahren. Eine knappe Mehrheit des Stadtrats ist seit langem gegen die Brücke, was durch die Kommunalwahl erneut bestätigt wurde. Nun müssten sich nur ein paar CDU-Stadträte besinnen, und es wäre eine breite Mehrheit für den Baustopp zu erzielen.
Rettung der Schönheit
Der Bau ist schon sehr weit fortgeschritten. Trotzdem lohnt sich die Kehrtwende noch. Denn die bereits gebauten Betonteile könnten Teil einer Tunnellösung werden. Klar, dies würde nun noch mehr kosten und zu Verzögerungen führen. Doch seit dem Bau der Autobahnspange rund um Dresden hat der Verkehr in der Stadt so dramatisch nachgelassen, dass diese sechste Elbquerung ohne weiteres auf sich warten lassen kann.
Würden sich die sächsischen CDU- und FDP-Politiker mit einer Kehrtwende so kurz vor Landtags- und Bundestagswahlen eine Blöße geben? Ganz im Gegenteil! Diese Korrektur könnte viele Wähler zurückgewinnen, die durch die potentatenhaften Allüren abgeschreckt wurden, mit denen der Bau durchgepeitscht wurde. Man würde großen Respekt dafür ernten, wenn man zeigt, dass man auf Befürchtungen und Argumente eingeht. Wenn man eine welterbeverträgliche Lösung findet, würde die Unesco dies sicher mit einer Wiederaufnahme des Elbtals in die Liste honorieren. Dresden könnte ein glaubwürdiges Weltkulturforum werden, wo man aus eigener Erfahrung diskutieren kann, wie dornige Probleme mit Weltoffenheit gelöst werden können. "Die Schönheit wird die Welt retten", schreibt Dostojewski. In seiner Nobelpreis-Rede im Jahr 1970 nahm Alexander Solschenizyn dies auf und sagte, dies sei keine Phrase, sondern eine Prophezeiung. Es lohnt sich daher auch, im Fall des Dresdner Elbtals an eine Rettung der Schönheit zu glauben und weiter dafür zu kämpfen.
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Günter Blobel erhielt 1999 den Nobelpreis für Medizin, stiftete den Großteil des Preisgelds für die Dresdner Frauenkirche. Auch auf seine Initiative ging die Unesco gegen die Waldschlößchenbrücke vor.