Sächsische Zeitung, 02.07.2009
Tillich wehrt sich: „Ich weiß, ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Monatelang hatte Stanislaw Tillich geschwiegen, die Dauerschlagzeilen um seine DDR-Vergangenheit im Rat des Kreises Kamenz einfach ausgesessen. Gestern nun ging Sachsens Ministerpräsident im kleinen Kreis von Journalisten bei Hackbrötchen, Eierschecke und Kaffee in der Staatskanzlei in die Offensive. „Ich weiß, ich habe mir nichts vorzuwerfen“, sagt Tillich über seine Arbeit vor rund zwanzig Jahren in Kamenz. „Das ist Teil meiner Biografie, ich war damals nun mal in diesem Amt tätig“, fügt er fast trotzig hinzu. Aber es sei „kein Ruhmesblatt“ gewesen, räumt er ein. „Heute beurteile ich alles ganz anders.“
Man spürt, wie Tillich noch immer mit sich selbst ringt, eine Mischung aus Scham, Wut über die öffentliche Dauerdebatte um seine Person ist ihm anzumerken – aber auch eine gewisse Hilflosigkeit, wie er das Thema exakt zwei Monate vor der Landtagswahl endlich in den Griff bekommen könnte.
Er habe doch schon im November dazu alles erklärt, meint Tillich. „Damals habe ich auch eine Einordnung vorgenommen, warum ich was getan habe.“ Es sei doch wohl zu verstehen, dass er das „nicht immer wieder wiederholen“ wolle, begründet er sein beharrliches Dauerschweigen. „Normalerweise reicht es doch, wenn man sich einmal erklärt“.
Funktioniert hat das in Tillichs Fall bisher jedoch nicht. Er schwieg eisern, als vor zwei Wochen das Buch des SPD-Abgeordneten
Karl Nolle alte Geschichten aufrührt – die auch Tillichs Familie betreffen. Auch, als vor wenigen Tagen der Vorwurf auftaucht, Tillich habe noch im Dezember 1989 an einer auch mit DDR-Recht unvereinbaren Enteignung mitgewirkt, schweigt Tillich. Dabei war er zumindest anwesend bei der Entscheidung, was seine Unterschrift unter dem Sitzungsprotokoll belegt.
„Ich kenne diesen Vorgang nicht wissentlich“, sagt er über die damalige Entscheidung „Ich habe weder Tagebuch geführt, noch sonst irgendwelche Aufzeichnungen aus dieser Zeit.“ Dass seine Staatskanzlei – so der Verdacht einiger Medien – Akten habe verschwinden lassen, weist Tillich zurück. Das Problem gibt es für ihn nicht. „Landrat Harig hat mir gesagt, dass die Akten vollständig sind“, verteidigt Tillich das Kamenzer Archiv, das papierne Gedächtnis der DDR-Zeit.
„Nicht für Stasi gearbeitet“
„Ich habe nicht für das Ministerium für Staatssicherheit gearbeitet“, wiederholt Tillich mehrfach aufgebracht, obwohl ihn niemand danach gefragt hat. „Und ich habe meinen Personalbogen korrekt ausgefüllt“, wehrt er den Vorwurf ab, dass er Anfang der 90er-Jahre beim Ausfüllen des obligatorischen Fragebogens, der über Parteifunktionen, Stasi-Tätigkeit oder sonstige Verwicklungen in das SED-Regime Auskunft geben sollte, falsch geantwortet haben könnte. Dass demnächst noch mehr Details aus seiner DDR-Vergangenheit aus dem Kamenzer Aktenberg auftauchen könnten, ahnt Tillich. Was es sein könnte, ahnt er nicht. Er muss abwarten. Und dann aussitzen?
Ermutigt fühlt er sich in dieser Art der Krisen-Bewältigung durch die Reaktion seiner Ministerpräsidenten-Kollegen. „Mach‘ Dir nichts draus, das ist eine typische Kampagne, die da läuft“, rieten ihm West-Regierungschefs. Von seinen Ost-Kollegen höre er: „Mach‘ dir nichts draus, das musst du aushalten.“ Und so will Tillich es auch künftig halten. Schließlich, meint er, sei diese Debatte auch „ein Teil der Wiedervereinigung“.
Von Annette Binninger