Rheinischer Merkur Nr. 27, 02.07.2009
„Sonate für Blockflöten“
Hat Stanislaw Tillich Details aus seiner politischen Vita zu DDR-Zeiten verschwiegen? Der CDU-Regierungschef gerät unter Druck
Manchmal wirkt Stanislaw Tillich gar nicht mehr wie ein Strahlemann. Dann versteinert sich die Mine des sorbischen Sachsen. Sein sonst so joviales Auftreten weicht Sprachlosigkeit. Er ist dünnhäutig geworden, seit im November 2008 die ersten Meldungen über seinen angeblich geschönten Lebenslauf erschienen. Trotz umfänglicher Aufklärungsbemühungen und einer teilweisen Veröffentlichung seiner Stasi-Akte verstummen die Gerüchte nicht.
Ungereimtheiten in seiner Vita konnten bis jetzt nicht vollständig aufgeklärt werden. Bereits zwei von der Presse angestrengte Klagen auf Auskunftserteilung landeten vor Gericht. Eine kam teilweise durch, die andere scheiterte. Stückchenweise hat Tillich inzwischen dargelegt, dass er zu DDR-Zeiten keinesfalls nur ein einfacher Angestellter im Rat des Kreises von Kamenz gewesen ist, sondern viel mehr. Stanislaw Tillich, der 1987 aus, wie er sagt, „freien Stücken“ in die Ost-Block-CDU eingetreten war, um den Avancen der SED zu entgehen, saß im Umbruchjahr 1989 in der Kamenzer Kreisbehörde. Im Amt Handel und Versorgung war er zuständig für das Beschaffungswesen, zunächst als Stellvertreter, dann als Leiter. Auf heutige Verhältnisse übertragen wäre seine Funktion, die er noch 1989 innehatte, die eines stellvertretenden Landrates. Stanislaw Tillich war damals knapp 30 Jahre alt und stand am Beginn einer Politkarriere, in einer Zeit, in der man das Ende der DDR nicht absehen konnte.
Und doch sorgt dieser Abschnitt seiner Vita für Unruhe. Eine entscheidende Frage ist nach wie vor unbeantwortet. Hat Tillich seine frühere Funktion wahrheitsgemäß in jenem Fragebogen angegeben, der mit seinem Eintritt in das Kabinett Biedenkopf 1999 auszufüllen war? Einen entlastenden Beweis bleibt die Staatskanzlei bis heute schuldig und verweist darauf, dass dieser Fragebogen Teil der Personalakte des Regierungschefs sei und diese generell nicht veröffentlicht würden.
Das ist richtig und lässt dennoch die Frage offen, ob eine freiwillige teilweise Veröffentlichung nicht doch zu einer Klärung des Streits beitragen könnte. Immerhin hat das Verwaltungsgericht Dresden im Mai dem Antrag des „Spiegel“ auf Auskunfterteilung zumindest teilweise stattgegeben und die Staatskanzlei verpflichtet, konkrete Informationen über bestimmte Antworten Tillichs von 1999 zu geben. Das tat der Chef der Staatskanzlei daraufhin auch wortreich, doch am Ende standen wieder einmal „Fragen zu Tillichs Antworten“, wie eine Tageszeitung titelte.
Inzwischen gibt es neuen Zündstoff und neue Vorwürfe. Einem Zeitungsbericht zufolge soll Tillich noch im Dezember 1989 als Mitglied im Rat des Kreises Kamenz zwei Enteignungen zugestimmt haben, die selbst nach DDR-Recht unzulässig waren. Einem Protokoll zufolge war Tillich in der entscheidenden Sitzung anwesend, als über die Enteignungen mit einstimmigem Votum abgestimmt wurde. Dies wird ihm jetzt zur Last gelegt.
Mittlerweile ist es jedoch offenbar nicht mehr möglich, den Vorgang genau zu recherchieren. Die Akte im Kamenzer Kreisarchiv soll unvollständig sein. Ein Zeuge behauptet, sie noch vor wenigen Monaten in Gänze studiert zu haben, nun ist angeblich nur noch das Deckblatt da. Diese Merkwürdigkeiten lassen sich derzeit nicht klären, da das Archiv saniert wird und nur den Mitarbeitern zugänglich ist. Als unlängst ein Fernsehteam die Herausgabe der Akte wünschte, war dies nicht möglich, da nach Angaben des Archivs gerade frischer Estrich gegossen worden und ein Zugang zur begehrten Akte somit ausgeschlossen war.
Dieser Vorgang befeuert Tillichs Hauptwidersacher
Karl Nolle von der SPD, der schon den Vorgängern, Kurt Biedenkopf und Georg Milbradt, als „SPD-Chefaufklärer“ das Leben schwer gemacht hatte. Rechtzeitig zum Wahlkampf hat er nun ein Büchlein herausgegeben, das es in sich hat. Die „Sonate für Blockflöten und Schalmeien“ beschäftigt sich mit 26 Lebensläufen sächsischer CDU-Politikerinnen und Politiker, die schon zu DDR-Zeiten politisch aktiv waren und heute im Landtag oder in anderen wichtigen Funktionen sitzen. In dem über weite Strecken polemisch geschriebenen Buch, das Nolle nicht als „Generalangriff auf die CDU“ verstanden wissen will, greift er auch Familie Tillich scharf an. Sein Vorgehen ist für die eigene Partei nicht unproblematisch, schließlich saß sie in den letzten fünf Jahren als Juniorpartner mit der CDU gemeinsam auf der Regierungsbank.
Nicht allen Sozialdemokraten gefällt Nolles rabiates Vorgehen. Und so trauten viele Parlamentarier und Beobachter am vergangenen Mittwoch ihren Ohren kaum, als Sachsens Wirtschaftsminister Thomas Jurk, der zugleich SPD-Landeschef und stellvertretender Ministerpräsident ist, den CDU-Regierungschef im Landtag vehement verteidigte. Den Ministerpräsidenten und ihn eine, dass sie beide Sachsen seien, sagte Jurk in einer Art Mini-Regierungserklärung, die der offiziellen des Regierungschefs folgte. „Dem Ministerpräsidenten nach 20 Jahren noch vorzuwerfen, in der DDR Verantwortung übernommen zu haben, wird seiner Lebensleistung nicht gerecht. Ich wünsche uns allen, dass wir souveräner mit unseren Biografien umgehen“, rief Jurk dem erstaunten Parlament zu.
Genau so scheinen auch viele der Bürger zu denken. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap erklärten 75 Prozent der Befragten, dass es für ihre Wahlentscheidung keine Rolle spiele, ob ein Politiker schon vor der Wende eine politische Funktion ausgeübt hat.
VON ALEXANDRA GERLACH