Karl Nolle, MdL

Pressemitteilung, 20.01.2000

"Computer und Informatik für jeden Schüler ab der 5. Klasse"

Rede von Karl Nolle im Sächsischen Landtag
 
Sehr geehrte Damen und Herren, ich glaube, es ist hier bisher um den heißen Brei geredet worden. Es geht doch bei der Internetdiskussion im Kern nicht um KOMPRI oder SET. Die üblichen Jubelberichte darüber gehören in den zuständigen Ausschuss. Ein Schlagabtausch hier im Plenum mag vielleicht ganz amüsant sein, da tue ich auch gerne meinen Job, aber einer zielgerichteten Analyse dient das kaum. Bei allem Wohlwollen: Die Frage ist doch, sind die 300 KOMPRI-Unternehmen, die 1000 Internetanschlüsse, ein paar Millionen Mark Investitionen des Freistaates, 200 Schulen mit einer Homepage, 30 Schüler, die sich im Schnitt einen Computer teilen - und ein paar neue bunte Broschüren eigentlich wirklich Anlass, zur üblichen Selbstzufriedenheit und Selbstgerechtigkeit? Da dankt die Regierung der Fraktion und die Fraktion dankt herzlich dem Minister. Ich sage nein! Weil kaum gesehen wird, dass die Entwicklung über uns wegrollt, und zwar schneller als der Amtsschimmel wiehern kann. Beispiel: Wie lange hat es gedauert, bis 50 Millionen Telefonanschlüsse geschaltet wurden? Das waren 40 Jahre. Wie lange hat es gedauert bis 50 Millionen Fernseher installiert wurden? Das waren 16 Jahre. Ich frage Sie, wie lange hat es gedauert, bis 50 Millionen Internetanschlüsse geschaffen wurden? Das waren drei Jahre. Und weiter – wie hoch ist wohl im Jahr 2000 der Verkaufsumsatz im Internet? Zwei Milliarden Mark. Wie hoch wird er im Jahre 2002 sein? 100 Milliarden Mark. Hier liegt doch das eigentliche Problem. Das ist eine dramatische Entwicklung, die niemand so gesehen hat, oder sehen wollte! Da muss die Politik sofort etwas tun, wenn sie nicht die rasante Entwicklung verschlafen will. Hier muss sofort das Bildungsruder zu einem völlig neuen Bildungskanon herumgerissen werden. Wie muss heute Wissen und Können der Schüler am Ende ihrer Schulzeit aussehen? Was sind die richtigen Grundlagen für Lehre, Studium, Beruf? In einem Land, wo viele Jugendliche heute den Hauptschulabschluss nicht schaffen! Was ist das notwendige Basiswissen, die Grundfähigkeit für lebenslanges Lernen ? Da müssen wir uns über mehr als über notwendige überkommende Kulturtugenden unterhalten, über mehr als Kopfnoten in Betragen, Diziplin und Ehrlichkeit. (ein antiquiertes Wort in diesen Tagen?) Unsere Standard-Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben, Rechnen konnten früher über Jahrzehnte bleiben. Und was ist mit Computerkunde und Informatik? Das erzählen Sie mal einem Ministerial-Philologen, der guckt doch, wie der Minister, wie ein Schwein ins Uhrwerk, wie der Volksmund sagt. Informatik als Wissenschaft, Technik und Anwendung digitaler Verarbeitung, als Übermittlung von Informationen, als Erlernen von Methodik, Analyse und Architektur von Informatiksystemen, ihrer Anwendungen, Auswirkungen und ständige Veränderungen, ihre Grenzen und Probleme. Informatik als Schulfach, das ist mehr als ein bisschen surfen in der 7. Klasse. Es bedeutet das Erlernen und die Einübung einer spezifischen Begriffssystematik - es ist keine Spielerei mit der Maus. Aber - vielleicht spielerisch lernen über und mit Information und Kommunikation. Informatikunterricht schafft eine sichere Basis für den Umgang mit Informatik-systemen, mit Anwendungen der Informatik und allgemein der schon heute wichtigsten und morgen zentralen Zivilisationstechnik. Computer und Informatik für jeden Schüler in Sachsen ab der 5. Klasse, das muss sofort auf den Weg gebracht werden. Das bedeutet, den Schülern Zeit geben und Gelegenheit zum Lernen, ja für Schüler und Lehrer Zeit investieren. Das bedeutet, Lehrer permanent weiterzubilden, denn das gerade erarbeitete Wissen veraltert alle zwei bis drei Jahre. Das können Lehrer nicht eben nebenher. Die Forderung „Computer für jeden Schüler und Lehrer“ ist jedoch verfehlt bei verarmten Schulträgern, die noch nicht einmal Geld für neue Klobrillen haben. Das muss sofort geändert werden, es muss zentrale Aufgabe des Landes werden, mit Unterstützung der Universitäten und der Industrie. Aber die Wirklichkeit in einer so armen Stadt wie Dresden sieht dagegen so aus: Beispiel 1: Die Berufsschule für Technik in der Gasanstaltstraße, die im ganz neuen Beruf des Mediendesigners ausbilden soll, verfügt nur über Computer und Software von 1992. Es ist kein Geld da, sagt der Schulträger seit Jahren. Mittelbedarf 200.000 Mark. Ein Skandal. Diese Berufsschule (für Technik) kann ihren verfassungsmäßigen Auftrag zum technologischen Teil der schulischen Ausbildung nicht erfüllen. Wo ist die übergreifende Verantwortung des Freistaats? Aber was solls, der Sachmitteletat von jährlich 800 Mark, reicht ja für Kreide und Schwämme. Beispiel 2: Das Schülerrechenzentrum in Dresden e.V., in dem jährlich über 100 besonders begabte Schüler fit gemacht wurden, ist von der Schliessung bedroht, weil die Stadt wegen Gelmangel die notwendige Förderung streichen will. Diese Beispiele zeigen viel über die tatsächliche Innovationswilligkeit in unserem Lande und die Fähigkeit seines Kultusministers, seinen Platz hinter dem Mond wirklich verlassen zu können. Das kann doch den Unternehmen im Lande nicht gleichgültig sein. Das ist die heutige Welt von gestern in Sachsens Landeshauptstadt, meine Damen und Herren – Computer antik - für die Problemlösungen von morgen. Aber bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, hat man ja ohnehin in letzter Zeit den Eindruck als wollten Sie online-banking wieder durch den kontolosen Zahlungsverkehr ersetzen. Dafür braucht man dann in der Tat keine Computer nur eine chinesische Bimbiszählmaschine im schwarzen Diplomatenkoffer – nach der Methode Kugel schieben - bevor die schwerere Kugel ans Parteibein geschmiedet wird. Wir brauchen einen interaktiven Bürger- und Unternehmerservice auf den Homepages des Freistaates. Hier schlagen wir ein Modellprojekt für die Kommunikation mit Behörden und Verwaltungen vor. Genehmigungen, Anträge usw. müssen aus dem Internet abrufbar sein. Und sie müssen auch über das Internet auszufüllen und einzureichen sein. Denn es lohnt sich für sie, ins Internet zu gehen. Zu einen solchen Unternehmensservice im Internet gehört ein vernünftiger Sanierungsratgeber und ein Info-paket für Existenzgründer. Die Staatsregierung sollte hier eng mit den Kammern und Verbänden zusammenarbeiten. Die Zukunft der Verwaltungen, der Schulen, der Berufsschulen, der Universitäten, der Unternehmen liegt im Netz. Kommunikation im Internet, Intranet und E-Commerce - das Elektronische Netz, es ist zur treibenden Kraft der Strukturrevolution von der fertigungszentrierten zur wissens- und dienstleistungsbasierten Wirtschaft geworden. Die Frage ist doch: Wieviel Arbeitsplätze werden zwischen Pleiße und Neiße diesen Wandel überleben? Oder schaffen wir es, diese Kommunikationstechniken zum Motor unserer Wirtschaft machen, einer weitaus intelligenteren Quelle von Arbeit als der Niedriglohnsektor, der trotzdem noch bleiben wird? Da reichen eben keine bunten Faltblätter, nicht Schwamm und nicht Kreide! Da muss gepowert werden und nicht gekleckert!

Karl Nolle im Webseitentest
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