Pressemitteilung, 16.12.2003
Untreuehandlungen bei Amigogeschäft Paunsdorf laut neuer Rechtssprechung des BGH nicht verjährt.
NOLLE: „Die Staatsanwaltschaft muß nun gegen Biedenkopf und Milbradt wegen Untreue ermitteln. Der Strafverfolgung steht Verjährung nicht entgegen.“
NOLLE: „Ich appelliert an den Generalstaatsanwalt, nur nach Recht und Gesetz zu entscheiden.“
NOLLE: „Der Generalstaatsanwalt steht im Dienste des Rechts, nicht einer Regierung und schon gar nicht einer Partei, auch wenn ihm die Stellung als weisungsgebundener Beamter diese Position nicht erleichtert.“
DRESDEN. Der Sächsische Landtagsabgeordnete
Karl Nolle und SPD-Obmann im Paunsdorf-Untersuchungsausschuss, legte heute mit Schreiben an die Generalstaatsanwaltschaft in Dresden Beschwerde gegen die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Dresden v. 11.11.03 zum Vorwurf der Untreue gegen Ex-MP Biedenkopf und Ex-Finanzminister Milbradt ein und belegte das mit einer aktuellen grundsätzlichen Entscheidung des BGH v. 8.5.03, die von der Staatsanwaltschaft ignoriert wurde.
Laut dieser BGH Entscheidung kommt es, laut Nolle, für den Verjährungsbeginn auf die Zahlungen an, die aufgrund des nachteiligen Geschäftes geleistet werden. Diese Zahlungen leistet der geschädigte Freistaat Sachsen aber bis zum heutigen Tag.
NOLLE: „Zur Annahme der Verjährung kommt die Einstellungsverfügung vom 20.11.03, in dem sie auf den Verjährungsbeginn mit Abschluss der Mietverträge für das Paunsdorf-Center abgestellt, so dass Verjährung bereits eingetreten sein soll. Das ist jedoch mit der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht zu vereinbaren.“
Denn, der Bundesgerichtshof hatte, so Nolle, für den Abschluss eines Kaufvertrages durch einen in strafbarer Untreue handelnden Bürgermeister entschieden:
„Entsteht ... der Nachteil i.S. des § 266 StGB erst durch verschiedene Ereignisse, ist der Zeitpunkt des letzten Ereignisses maßgeblich. Das ... Gefahrenpotential verwirklichte sich im Abschluss der notariellen Kaufverträge ... und verfestigte sich in der hieraus folgenden Erfüllung der Pflicht zur Zahlung des Kaufpreises. Deshalb trat vorher jedenfalls keine (die Verjährung in Gang setzende, K.N.) Beendigung der Tat i.S. des § 78 a StGB ein.“ (Urteil vom 8. Mai 2003, Az. 4 StR 550/02, veröffentlicht in NStZ 2003, Heft 10 (Oktober 2003), S. 540/541)
NOLLE: „Möglicherweise ist dem Sachbearbeiter bei der Staatsanwaltschaft diese und andere einschlägige Rechtsprechung entgangen. Er hätte sonst sicher nicht mit Ausführungen wie den von ihm gemachten die Verjährung begründet. Denn die Rechtsprechung des BGH von 2003 ist nicht neu. Sie bestätigt lediglich die Entscheidungen vom 11. Juli 2001, 5 StR 530/00, NStZ 2001, 650, und vom 15. März 2001, 5 StR 454/00, NJW 2001, 2102, 2106 r.Sp. Keines dieser Urteile wird in der im Übrigen recht sorgfältig gearbeiteten Einstellungsverfügung auch nur erwähnt.“
NOLLE: „Es kommt also für den Verjährungsbeginn auf die Zahlungen an, die aufgrund des nachteiligen Geschäftes geleistet werden. Diese Zahlungen leistet der geschädigte Freistaat Sachsen bis zum heutigen Tag. Der Strafverfolgung steht Verjährung nicht entgegen. Auch aus den Besonderheiten des Mietvertrages als „Dauerschädigung“ ergibt sich nichts Anderes. Zwar hat der Bundesgerichtshof in einem vergleichbaren Fall einmal Verjährungsbeginn mit Vertragsabschluss angenommen (BGHSt 22, 38 – Anstellungsbetrug -), in einem anderen vergleichbaren Fall jedoch auf jede später erfolgende Zahlung abgestellt (BGHSt 27, 342 – Rentenleistung-). Angesichts dessen und der neuen Tendenz der Rechtsprechung des Vierten und Fünften Strafsenates darf eine Staatsanwaltschaft Ermittlungen nicht mit dem Hinweis auf die angeblich eingetretene Verjährung ablehnen.“
NOLLE: „Die Verjährungsbehauptung ist auch aus einem anderen Grunde kein Ruhmesblatt für die Sächsische Justiz, denn am 9.3.2000 wurde die Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht von Staatsanwältin Dr. Laube, Leipzig, auf die ab 3. Oktober 2000 drohende Verjährung hingewiesen, auf die man sich nun beruft. Sehenden Auges wurden verjährungsunterbrechende Maßnahmen unterlassen. Auf genau diese, selbstproduzierte Verjährung beruft sich nun, wenn auch zu unrecht, die Staatsanwaltschaft Dresden. Wenn die Staatsanwaltschaft Dresden aber nun Recht hätte, würden wegen der Untätigkeit der Staatsanwaltschaft Leipzig zwischen März und Oktober 2000 die Beschuldigten straffrei ausgehen. Beides ist, wie man es dreht und wendet, ein Skandal für die Justiz in Sachsen.“
NOLLE: „Die Staatsanwaltschaft muß nun gegen Biedenkopf und Milbradt wegen Untreue ermitteln. Der Strafverfolgung steht Verjährung nicht entgegen.“
gez. Karl Nolle
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Hintergrund:
Biedenkopf hatte am 10.1.2002 im Paunsdorf - Untersuchungsausschuß auf Vorhalt von Nolle die Schadensfeststellung des Sächsischen Rechnungshofes von bis zu 30 Millionen DM eingeräumt, die er und Milbradt noch vorher, auch im Parlament, geleugnet hatten.
Nach Biedenkopfs Schuldzuweisungen an Ex-Finanzminister Milbradt, der für die Verträge verantwortlich gewesen sein soll, so Biedenkopf, kommt nun auch Milbradt in den Verdacht der Untreue zu Lasten des Freistaates. Denn Nolle: “Finanzminister Milbradt hat mitgemacht durch: Billigung, aktives Zutun oder Duldung.”
Nolle hatte bereits im Januar 2001 die Staatsanwaltschaft Leipzig aufgefordert, die im Jahr 2000 eingestellten Ermittlungen in Sachen Behördenzentrum Paunsdorf wieder aufzunehmen. (Es gab damals bereits einen Prüfvorgang gegen Verantwortliche der Liegenschaftsverwaltung des Freistaates Sachsen wegen Verdachts der Untreue, Az. 800 AR 1783/96 und die Erwägung von Durchsuchungen bei den Beteiligten und dem Ministerpräsidenten.) Verjährung, so Nolle, sei nicht eingetreten.
Diese Ermittlungen müssten, so Nolle damals, gegen alle Beteiligten aus Liegenschafts- und Finanzverwaltung geführt werden, da der Ministerpräsident die Verantwortung und Zuständigkeit des mit Vetorecht ausgestatteten Finanzminister Milbradt für den Abschluss der Mietverträge und Mietkonditionen in öffentlicher Vernehmung am 10.1.02 mehrfach ausdrücklich betonte.
Nolle sagte damals: “Nach meinem Eindruck aus dem Untersuchungsausschuss war es der feste Wille des Ministerpräsidenten, das Behördenzentrum Paunsdorf zu mieten und dabei die ungünstigen Mietbedingungen in Kauf zu nehmen, die den Freistaat schädigen. Dieser Wille und seine Verwirklichung wurden von den Beteiligten in der Liegenschafts- und Finanzverwaltung mit einem noch nicht durchdrungenen Geflecht von Zusammenwirken gefördert. Ex-Minister Milbradt hat mitgemacht durch Billigung, aktives Zutun oder Duldung.
Wie der SPD OB-Mann im Paunsdorf-Untersuchungsausschuss damals mitteilte, „begründeten seine Erkenntnisse zum o.g. Vorgang den Verdacht, dass nicht nur unbekannte Mitarbeiter der Liegenschaftsverwaltung, sondern der Ministerpräsident selbst, im Zusammenwirken mit Beteiligten der Finanzverwaltung und der Liegenschaftsverwaltung, zum Nachteil des Freistaates Sachsen sachwidrigen Einfluss auf den Abschluss der Mietverträge im Behördenzentrum Paunsdorf genommen haben.“
Nolle erklärte schon damals weiter: „da vieles dafür spricht, dass die Tat noch nicht verjährt ist, wäre die darin liegende Untreuehandlung strafrechtlich zu verfolgen, so dass die Wiederaufnahme der Ermittlungen angeregt wird. Hätte die Staatsanwaltschaft 1998 die vom LKA vorgeschlagenen Durchsuchungen (Sachstandsbericht vom 5. November 1997, S. 8) veranlasst, so wäre sie auf schriftliche Unterlagen gestoßen, die eine viel frühere direkte Einflussnahme des Ministerpräsidenten nahezu zwingend vermuten lassen. Diese Schreiben liegen der Öffentlichkeit inzwischen im Internet vor unter: www.faktuell.de.”
Ohne die neue BGH Entscheidung vom 8.5.03 kennen zu können meinte Nolle damals: “Vieles spricht dafür, dass entgegen der Auffassung der Leipziger Staatsanwaltschaft und des in dieser Sache nicht sehr verfolgungsfreudigen Generalstaatsanwaltes Dr. Schwalm, die Verjährung nicht eingetreten ist, weil die im Ankaufsrecht liegenden Elemente des Schadens noch gar nicht eingetreten sind und weil die Verjährung jeweils erst mit der monatlich gezahlten, durch Untreue überhöhten Miete begonnen hätte, somit der Schaden während der Laufzeit monatlich immer wieder neu entsteht.“
„Gemäß § 78 a StGB“, sagte damals Nolle, „beginnt die Verjährung mit Beendigung der Tat; tritt ein zu Tatbestand gehörender Erfolg erst später ein, so beginnt die Verjährung mit diesem Zeitpunkt. Da der Vermögensnachteil zum gesetzlichen Tatbestand der Untreue gemäß § 266 StGB gehört, gehe ich davon aus, dass keine Verjährung eingetreten ist.”
NOLLE: “Die bisher veröffentlichte obergerichtliche Rechtsprechung geht davon aus, dass der Schaden bei dem durch eine Straftat erlangten Abschluss eines Mietvertrages erst durch die einzelnen Zahlungen des Mietzinses offen zutage tritt. Daraus hat das Oberlandesgericht Koblenz geschlossen, dass auch hier erst mit der letzten Mietzahlung die Verjährung beginnt (MDR 1993, 70).
„Wollte die Rechtsprechung in Sachsen hiervon abweichen, müsste gemäß § 121 Abs. 2 GVG der Bundesgerichtshof um eine Entscheidung nachgesucht werden. Dann wäre es für die Staatsanwaltschaft kaum angemessen, abweichend von dieser Rechtsprechung, Verjährung zu bejahen.” schrieb Nolle damals am 15.01.2001
Anlage: Beschwerde an die Generalstaatsanwaltschaft Dresden vom 15.12.2003
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Karl Nolle, MdL
Bärensteiner Straße 30
01277 Dresden
Herrn
Generalstaatsanwalt des
Freistaates Sachsen
Lothringer Str. 1
01069 Dresden
vorab per Fax: 0351-446-2970
Vorwurf der Untreue gegen Biedenkopf und Milbradt
Az. der Staatsanwaltschaft Dresden 200 AR 3073/03
Einstellungsverfügung vom 11.11.2003
Sehr geehrter Herr Generalstaatsanwalt,
gegen o.g. Verfügung lege ich Beschwerde ein.
Dabei will ich Ihr Augenmerk nur auf einen schwer wiegenden und erheblichen Fehler in der rechtlichen Beurteilung in der Beurteilung der Verjährung lenken, nachdem der Versuch, den Verdacht der Strafbarkeit des Verhaltens beider Beschuldigter in Abrede zu stellen, nicht mehr unternommen wird.
I.
1.
Zur Annahme der Verjährung kommt die Einstellungsverfügung mit folgender Erwägung (Hervorhebungen jeweils von mir):
„... liegt der Nachteil – welcher die Verjährungsfrist in Gang setzt, - bei der Untreue bereits im Schluss eines wirtschaftlichen (sic!) nicht ausgewogenen Vertrages, wenn dieser nicht rückabwickelbar ist...“
Dementsprechend wird für den Verjährungsbeginn auf den Abschluss der Mietverträge über das Paunnsdorf-Center abgestellt, so dass Verjährung bereits eingetreten sein soll.
2.
Dies ist jedenfalls mit der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht zu vereinbaren. Denn dieser hat für den Abschluss eines Kaufvertrages durch einen in strafbarer Untreue handelnden Bürgermeister entschieden:
„Entsteht ... der Nachteil i.S. des § 266 StGB erst durch verschiedene Ereignisse, ist der Zeitpunkt des letzten Ereignisses maßgeblich. Das ... Gefahrenpotential verwirklichte sich im Abschluss der notariellen Kaufverträge ... und verfestigte sich in der hieraus folgenden Erfüllung der Pflicht zur Zahlung des Kaufpreises. Deshalb trat vorher jedenfalls keine (die Verjährung in Gang setzende, K.N.) Beendigung der Tat i.S. des § 78 a StGB ein.“
Möglicherweise ist dem Sachbearbeiter diese Rechtsprechung (Urteil vom 8. Mai 2003, Az. 4 StR 550/02, veröffentlicht in NStZ 2003, Heft 10 (Oktober 2003), S. 540/541) entgangen. Er hätte sonst sicher nicht mit Ausführungen wie den von ihm gemachten die Verjährung begründet. Allerdings ist die Rechtsprechung des BGH von 2003 nicht neu. Sie bestätigt lediglich die Entscheidungen vom 11. Juli 2001, 5 StR 530/00, NStZ 2001, 650, und vom 15. März 2001, 5 StR 454/00, NJW 2001, 2102, 2106 r.Sp. Keines dieser Urteile wird in der im Übrigen recht sorgfältig gearbeiteten Einstellungsverfügung auch nur erwähnt.
3.
Es kommt also für den Verjährungsbeginn auf die Zahlungen an, die aufgrund des nachteiligen Geschäftes geleistet werden. Diese Zahlungen leistet der geschädigte Freistaat Sachsen bis zum heutigen Tag. Der Strafverfolgung steht Verjährung nicht entgegen. Auch aus den Besonderheiten des Mietvertrages als „Dauerschädigung“ ergibt sich nichts Anderes. Zwar hat der Bundesgerichtshof in einem vergleichbaren Fall einmal Verjährungsbeginn mit Vertragsabschluss angenommen (BGHSt 22, 38 – Anstellungsbetrug -), in einem anderen vergleichbaren Fall jedoch auf jede später erfolgende Zahlung abgestellt (BGHSt 27, 342 – Rentenleistung-). Angesichts dessen und der neuen Tendenz der Rechtsprechung des Vierten und Fünften Strafsenates darf eine Staatsanwaltschaft Ermittlungen nicht mit dem Hinweis auf die angeblich eingetretene Verjährung ablehnen.
II.
Als Generalstaatsanwalt stehen Sie im Dienste des Rechts, nicht einer Regierung und schon gar nicht einer Partei, wenngleich die Stellung als weisungsgebundener Beamter diese Position nicht erleichtert. Eine unabhängige gerichtliche Kontrolle Ihrer Entscheidung ist ausgeschlossen, wenn sie die den Beschuldigten vorgeworfenen Taten nicht verfolgen. Ich appelliere dringend an Sie, in dieser Angelegenheit vor dem Hintergrund der Bindung an Gesetz und Recht zu entscheiden.
Mit freundlichen Grüßen
gez. Karl Nolle, MdL