Außerordentlicher Landesparteitag der SPD Sachsen, 13:00 Uhr in Chemnitz, 08.07.2005
Wir befinden uns auf der schiefen Ebene der Wählermißgunst, als Ergebnis fundamentaler Fehler und Irrtümer, die wir selber zu verantworten haben.
Rede des Wirtschaftspolitischen Sprechers der SPD Landtagsfraktion und Mitglied des Landesvorstandes der SPD Sachsen Karl Nolle
Anrede
Lange Zeit hielt sich bei uns die Hoffnung, die PDS sterbe aus. Aber Genossinen und Genossen, ich befürchte heute, daß dies mit unserer SPD in Sachsen passieren kann, wenn wir nicht Inhalte und Mentalität ändern und wenn weitere Bundeshypotheken zu unseren Lasten gehen.
Wir werden als Volkspartei in Deutschland nur überleben, wenn wir umkehren. Wir überleben politisch nicht mit dem Weiterso und nicht mit der unbescheidenden Behauptung, alles was wir tun, sei alternativlos.
Die SPD meiner Eltern, Großeltern und Urgroßeltern schöpfte ihre ganze Kraft daraus, daß wir seit 140 Jahren, die Schutzmacht der kleinen Leute waren. Wer denn sonst könnte die Interessen Verkäuferin bei Aldi und Lidl oder den Facharbeiter von VW vertreten?
Wir wissen aus erschreckenden Umfragen in Sachsen, daß wir dieses Erkennungszeichen der sozialen Gerechtigkeit, auf das wir stolz waren, die „Schutzmacht der kleinen Leute“, wie Johannes Rau einmal sagte, inzwischen gründlich verloren haben.
Daher müssen wir doch fragen, wo unterscheidet sich unser Wertesystem von dem des schwarzen Egoismus?
Wo ist unser fester Standpunkt, den wir unbeirrbar verfolgen, wenn wir nicht unsere Seele verkaufen wollen?
Wo ist unsere Antwort auf das neoliberale Papageien-Geplapper von grenzenloser Marktfreiheit, Deregulierung, Eigenverantwortlichkeit und der Abschaffung erkämpfter Arbeitnehmerrechte?
Wo sind unsere überzeugenden sozialdemokratischen Erklärungsmuster, unsere sozialdemokratischen Leitlinien für diese Gesellschaft?
Wo ist unser überzeugender gesellschaftlicher Gegenentwurf zu dem der Konservativen in unserem Lande, zu Christdemokraten und FDP?
Anrede
Entschuldigung - Wir haben doch als eines der reichsten Länder der Welt und als Exportweltmeister wohl eher ein grundsätzliches Problem mit dem fehlendem Willen zu mehr staatlichen Einnahmen und nicht so sehr mit zu hohen staatlichen Ausgaben, wie immert behauptet wird.
Wir haben unter unserer rot/grünen Bundesregierung ein Problem mit der Schere zwischen Arm und Reich, die unglaublicherweise in den letzten 7 Jahren immer mehr auseinander gegangen ist.
Wir haben ein Pproblem mit dem Irrglauben des Neoliberalismus, der vorsichtig ausgedrückt, auch schon in den Köpfen, mancher wohlmeinender Sozialdemokraten herumspukt.
Aus der Politik für die kleinen Leute und gegen Arbeitslosigkeit hat sich doch im Bewußtsein unserer Wähler (und eben auch derjenigen die inzwischen Nichtwähler geworden sind) das Bild einer Politik gegen die kleinen Leute und gegen die Arbeitslosen entwickelt. Ich sage im Bewußtsein der Leute und das müssen wir doch ernst nehmen.
Anrede
Wir befinden uns auf der schiefen Ebene der Wählermißgunst, als Ergebnis fundamentaler Fehler und Irrtümer, die nur wir selber zu verantworten haben. Wir sind von Landtagswahl zu Landtagswahl abgerutscht..
Wir haben unsere gewonnen Macht freiwillig und selber verspielt, Schritt für Schritt. Das ist der Grund für die Stärke der Union im Bundesrat und nichts anderes. Dafür sind ausschließlich wir selbst verantwortlich.
Anrede
Unser Wahl-Manifest für Deutschland ist ein wichtiger Schritt zur Besinnung:
Richtig sind die überfälligen Änderungen bei Hartz 4
Aber warum nicht gleich so?
Richtig ist der Stopp für Steuergeschenke an die Reichen und Superreichen in dieser Gesellschaft.
Aber warum nicht gleich so?
Richtig ist die Millionärssondersteuer.
Aber warum nicht gleich so?
Richtig ist der gesetzliche Mindestlohn, damit auch in Ostdeutschland wenigstens soziale Mindeststandards gelten wo keine Tarife möglich sind. Und Entschuldigung, das steht schon seit Jahren in unserem sächsischen Mittelstandsprogramm.
Wie soll denn hier jemand mit 3 Euro brutto die Stunde eine Familie ernähren?
Ja, diese Position ist wichtig aber warum nicht gleich so?
Richtig ist, endlich den Binnenmarkt für mehr Kaufkarft und neueArbeitsplätze ankurbeln?
Aber warum nicht gleich so?
Richtig und wichtig ist das klare Bekenntnis zum weiteren Aufbau Ost, da stimme ich Thomas Jurk uneingeschränkt zu. Aber es darf nicht zu einer folgenlosen Monstranz werden, die wir vor uns hertragen.
Anrede
Die Vertrauensfrage für unsere SPD haben die Wähler in den letzten zehn Landtagswahlen längst gestellt und eindeutig negativ beantwortet. Wir haben inzwischen fast ein Drittel der Wähler verloren. Das ist schlimm.
Aber was noch schlimmer ist, über 150.00 Genossen haben unsere Partei verlassen. Und das waren nicht die unsensibelsten. Das ist eine schwere, langanhaltende Hypothek und Grund zu großer Sorge.
Ja, wir können Vertrauen wiedergewinnen, da bin ich mir sicher:
Wenn wir uns zu unseren Irrtümern bekennen.
Wenn wir darum kämpfen wieder die Partei der kleinen Leute zu sein, wenn wir unverwechselbar für Freiheit, Demokratie, Solidarität, Sozialer Gerechtigkeit und Menschenwürde stehen, also für demokratischen Sozialismus.
Wenn wir wieder eine Politik für Arbeitsplätze und nicht gegen die Arbeitslosen machen.
Wenn wir die schwarzen Alleinvertretungsansprüche und Anmaßungen im Bund, aber auch in unserem Land, selbstbewußt, schlau und wo es Not tut auch frech zurückweisen
Regieren ist gut, jawohl! Aber eine Koalition ist keine Büßerhemdveranstaltung sondern ein Zweckbündnis und erst recht keine Liebesbeziehung.
Anrede
Wir brauchen mehr Selbstbewußtsein. Zu diesem Selbstbewußtsein müssen wir unsere Partei hinführen, dazu gehört Infomation, Überzeugung, Mobilisierung und Motivation jedes einzelnen.
Ich bin sicher wir schaffen das, wenn wir wollen. Aber es kommt nicht von alleine.
Herbert Wehner hat einmal gesagt, „Genossen, es reicht nicht aus nur eine schöne Fahne zu haben. Wir müssen auch den Boden haben um sie einzurammen.“
Auch hier stimme ich unserem Urgestein Herbert Wehner voll zu.
Wenn wir wollen, werden wir den Boden wiedergewinnen, den wir verloren haben, um die Fahne wieder einzurammen und wir werden ihn dann hoffentlich nicht so leichtfertig wieder hergeben, wie wir es in den letzten Jahren getan haben.
Aus Schaden können wir klug werden, wenn wir wollen.
Daran laßt uns gemeinsam arbeiten.
Dafür laßt uns gemeinsam kämpfen.
Jetzt für die mutmaßliche Bundestagswahl am 18. September 2005.
Und danach, damit wir künftig bestens aufgestellt sind.
Ich mache mit!
Glück auf!
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