Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 16.07.2009

Ex-Gastronom klagt an: Ich wurde ruiniert

Ratsmitglied Stanislaw Tillich war laut Protokoll der Ratssitzung vom 26. Mai 1989 für den Vollzug des Beschlusses verantwortlich.
 
Mitten im Wahlkampf wird Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) erneut mit seiner DDR-Vergangenheit als Stellvertretender Vorsitzender für Handel und Versorgung im Kreis Kamenz konfrontiert. Nach dem Vorwurf, Tillich habe vor 1990 als Ratsmitglied an fünf Enteignungen von „West-Immobilien“ billigend mitgewirkt, sorgt nun der Fall des früheren Gastronomen Peter Kurras für Wirbel.

Dem heute 66-jährigen Kurras wurde am 15. Dezember 1988 vom damaligen Rat des Kreises eine Gewerbegenehmigung für die Traditionsgaststätte „Hutberg-Hotel“ erteilt. Die Kamenzer SZ-Ausgabe berichtete am nächsten Tag über Kurras Pläne: Von Freitag bis Sonntag Discos und Familientanz, Feiern aller Art in den Veranstaltungsräumen und ab dem Sommer Terassenbewirtung für bis zu 80 Gäste.

Vieles davon konnte er aber nicht mehr umsetzen. Denn per Ratsbeschluss vom 26. Mai 1989 wurde Kurras bereits zum Stichtag 30. Juni 1989 die Gewerbegenehmigung wieder entzogen (siehe Ausriss).

Politisch verfolgt und Stasi-IM

An dieser Entscheidung war Tillich damals direkt beteiligt. Die offizielle Begründung lautete: unvollständige Preisunterlagen, Schulden, Nichteinhaltung von Öffnungszeiten und Behinderung staatlicher Kontrollorgane. Bereits im Vorfeld wurden die Warenlieferungen an die Hutberg-Gaststätte gestoppt. Tillich, seit Mai im neuen Stellvertreteramt, war danach auch für den Vollzug des Ratsbeschlusses verantwortlich. Schriftlich teilte er Kurras am 5. Juni 1989 die Gründe für den Entzug der Genehmigung mit.

„Dieser Brief hat mein Leben ruiniert“, erklärt Kurras jetzt der Zeitschrift SuperIllu. Es hätte keine Gründe gegeben, ihm die Lizenz wegzunehmen. Kurras spricht von bis zu 1000 Gästen zu Pfingsten. Die Geschäfte liefen angeblich sehr gut. Der Ex-Gastronom glaubt vielmehr an politische Motive für sein Aus. Tatsächlich saß Kurras ab 1960 für 27 Monate wegen Spionagevorwürfen in Haft, meist in Bautzen.

Es gibt aber auch umstrittene Punkte in seinem Leben. So habe er sich danach bei der Stasi als IM „Dietrich“ verpflichtet. Angeblich, weil man ihm versprach, dass er dafür später aus der DDR ausreisen darf. Heute meint Kurras, er habe sich einst „mit dem Teufel eingelassen“. In den 80er-Jahren zog er von Berlin nach Kamenz – zum Neuanfang. Der sei aber sabotiert worden, nachdem Stasi und DDR-Behörden in Kamenz auf seine Vorgeschichte stießen. Die Folgen: Auch weil sich im Dachgeschoss der Hutberggaststätte eine regionale Telefonsendeanlage befand, hätte man ihn als Sicherheitsrisiko eingestuft und gezielt der wirtschaftlichen Existenz beraubt. Heute gibt der für seine Haft rehabilitierte Rentner an, von nur 600 Euro im Monat zu leben.

Stanislaw Tillich erklärte gestern auf SZ-Anfrage: „Aus meiner Erinnerung heraus kann ich nach über 20 Jahren nichts mehr zu dem Vorgang sagen.“ Die Erteilung und der Entzug von Gewerbegenehmigungen habe einst zum laufenden Betrieb gehört. Später ergänzte er: „Es ist wirklich ungeheuerlich! Heute, zwanzig Jahre nach der Wende, kann quasi jeder alles behaupten.“ Er habe sich nichts vorzuwerfen.
Von Gunnar Saft