Karl Nolle, MdL
Märkische Allgemeine, MAZ , 16.07.09, 19.07.2009
DAS POLITISCHE BUCH: Das Enfant terrible der sächsischen SPD Karl NOLLE schlägt wieder zu
... die Rolle der „Blockflöten“ in der DDR und ihre Biografien ...
Ein halbes Jahr nach dem Stuttgarter CDU-Parteitag nimmt der sächsische SPD-Mann Karl NOLLE der Union ihre Vergangenheitsbewältigung ab. Mit einem Buch im Eigenverlag geht er auf die Rolle der „Blockflöten“ in der DDR und ihre Biografien ein. Ein Buch gegen die „epidemieartige politische Demenz“ soll es sein. Gemeint ist die mangelnde Bereitschaft der CDU, sich der Vergangenheit ihrer aus der DDR stammenden Mitglieder der ehemaligen Blockpartei zu stellen. Das meint jedenfalls Karl NOLLE, bekannt als „Chefaufklärer“ der SPD im Sächsischen Landtag.
Auch Brandenburgs Minister Junghanns kommt vor
Darin geht es zunächst allgemein um die Rolle der Ost-CDU im abgestuften SED-Herrschaftssystem. In Anpassung geübt, wechselte man 1989 in der Gefolgschaft sozusagen von einer Partei der führenden Rolle zur nächsten, der Kohl-CDU nämlich. Joachim Gauck, der erste Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, sprach damals von „kompatiblen Typen“. Solche listet NOLLE namentlich auf, überwiegend Personen aus Sachsen, die nach 1990 ihre Karriere fortsetzten, oder frühere Mitläufer, die dann aufstiegen. Unter den wenigen Nichtsachsen, die NOLLE in diese Kategorie einordnet und erwähnt, sind Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus und Brandenburgs Vize-Ministerpräsident Ulrich Junghanns, 1990 Vorsitzender der Demokratischen Bauernpartei in der DDR.
Den breitesten Raum nehmen Attacken auf den sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich ein. Der Sorbe Tillich avancierte noch im Jahr 1989 zum Stellvertreter des Rates des Kreises Kamenz für Handel und Versorgung. Seit Herbst des Vorjahres muss er sich mit dem Vorwurf auseinandersetzen, seine Biografie nicht vollständig veröffentlicht zu haben. Neu an NOLLEs Beitrag zum Thema ist der Vorwurf, Tillich habe in dieser Zeit auch an zwei Grundstücksenteignungen mitgewirkt.
Der aus Niedersachsen stammende SPD-Beißer verweist außerdem darauf, dass Tillich in seiner Funktion zur Nomenklatura der DDR gehörte und jener B-Struktur zugerechnet wurde, die im Krisenfall autoritäre Leitungsfunktionen wahrnahm. Mehreren CDU-Ministern, Landräten oder Landtagsabgeordneten reibt NOLLE die Teilnahme an Schulungen in der CDU-Kaderschmiede Burgscheidungen in Thüringen unter die Nase. Neben vielen bekannten Tatsachen reißt er auch ungeklärte Fragen wieder auf. So geht es um Stasi-Verstrickungen des Star-Trompeters Ludwig Güttler, ebenfalls langjähriges CDU-Mitglied. NOLLE lüftet auch das Geheimnis, warum der frühere Innenminister Heinz Eggert, eigentlich ein unbelasteter CDU-Reformer, rund 300 Beamte der Stasi-nahen K1-Polizei in den sächsischen Staatsdienst übernahm. Der damalige westdeutsche Polizeiinspektor soll das ultimativ verlangt haben. Für NOLLE ein Beispiel westdeutscher Hilfe bei der Vertuschung ostdeutscher Biografien.
Mit seinem Erscheinungsdatum muss NOLLEs Buch wie Wahlkampfmunition wirken. Angekündigt ist es allerdings seit einem halben Jahr. Wirtschaftliche Schwierigkeiten in seiner Druckerei trugen zur Verzögerung bei. Denn jüngste Ermittlungen wegen angeblichen Subventionsbetrugs gegen ihn zeigen Wirkung, für NOLLE eine politisch gesteuerte Kampagne. Als wesentlichen Beweggrund für sein Buch nennt der 64-jährige „letzte echte Juso“ die Doppelmoral der CDU. „Nicht die Biografien sind eine Schande, sondern ihr Umgang damit!“ Der CDU-Fraktionsvorsitzende im Landtag Steffen Flath warf NOLLE „mangelnde Distanz“ vor. Er sei kein Historiker, und überdies bedürfe die Union bei ihrer Vergangenheitsaufarbeitung nicht vermeintlicher Hilfe von außen.
info Karl NOLLE: Sonate für Blockflöten und Schalmeien. Selbstverlag „Sächsische Hefte“, Dresden 2009. 336 Seiten, 9,80 Euro
Von Michael Bartsch