Karl Nolle, MdL
spiegel.online.de, 29.09.09, 22:19 Uhr, 30.09.2009
Machtkampf der Genossen
Troika soll die SPD aufpäppeln
Der Burgfrieden hielt nicht mal 36 Stunden: An einem turbulenten Tag wechselt die SPD ihre gesamte Führungsriege aus. Sigmar Gabriel soll Parteichef werden, Andrea Nahles Generalsekretärin - Frank-Walter Steinmeier bleibt nur der Fraktionsvorsitz. Der Anfang vom Ende des gescheiterten Kanzlerkandidaten?
Berlin - Ungewöhnlich kurz angebunden ist er. Frank-Walter Steinmeier steht am späten Nachmittag auf der Plenarebene des Bundestages, gerade ist er zum neuen Fraktionschef der SPD und damit zum Oppositionsführer im Bundestag gewählt worden. Er freue sich über das "hohe Maß an Vertrauen", sagt Steinmeier. Jetzt gelte es, die SPD neu aufzustellen und in der Opposition jeden Tag so zu arbeiten, als werde man am nächsten Tag regieren. Dann ist er auch schon wieder weg.
Es ist ja auch ein atemberaubender Tag gewesen. Allerdings kein guter für den gescheiterten Kanzlerkandidaten. Natürlich - Steinmeier hat ein achtbares Ergebnis eingefahren. 126 der nur noch 143 Abgeordneten wollten ihn als neuen Fraktionschef. Das sind schon ein paar Prozent mehr als am Katastrophen-Sonntag. 88,1 sind es, um genau zu sein.
Aber: Er wird nicht der alleinige starke Mann sein, der die SPD nach dem historischen Niederschlag vom Sonntag neu erfinden soll.
Nach diesem Dienstag darf man davon ausgehen, dass Steinmeier künftig einer von vielen in der SPD-Spitze seien wird. Wenn überhaupt. Hoffnungsträger ist plötzlich ein anderer, und der heißt Sigmar Gabriel, bislang Umweltminister mit schwankendem parteiinternem Rückhalt. Gabriel soll aller Voraussicht nach neuer Parteichef werden, eingebettet in ein leicht merkwürdiges Konstrukt, bestehend aus Andrea Nahles als möglicher Generalsekretärin und Stellvertreterin, ein paar zusätzlicher Vizes und eben Steinmeier als Fraktionschef.
"Neuordnung auf mehrere Schultern verteilen"
Dass das Zustandekommen dieser "Troika", von der schon die Rede ist, wahrscheinlich ist, liegt an einem Satz Steinmeiers, den er ziemlich zu Beginn der Fraktionssitzung sagt: "Es ist mein Vorschlag, dass wir darauf achten, dass wir die Neuordnung der Partei auf mehrere Schultern verteilen." Damit ist klar: Er selbst nimmt Abstand davon, neben der Fraktionsspitze auch nach dem Parteivorsitz zu greifen - ein Szenario, das sein Umfeld ganz gern gesehen hätte, das im Verlauf der vergangenen 24 Stunden aber immer unwahrscheinlicher geworden war.
Schon früh am Morgen ist klar, dass sich da ein größerer Sturm andeutet. Der Berliner SPD-Landesverband fordert per "Resolution" die Ablösung der gesamten Führungsspitze. Mehr oder weniger prominente Landespolitiker lassen sich den Vormittag über mit Zweifeln zitieren, ob Steinmeier tatsächlich der richtige Oppositionsführer sei. Selbst Ortsvereinsvorsitzende melden sich mit Forderungen zu Wort, Partei- und Fraktionsvorsitz künftig zu trennen. Dann machen plötzlich Meldungen die Runde, die pragmatischen "Netzwerker" und der konservative "Seeheimer Kreis" hätten sich für Sigmar Gabriel als neuen Parteichef ausgesprochen. Schon ist von einem Machtkampf von Gabriel und Steinmeier die Rede.
Kurz vor der Fraktionssitzung dann eine indirekte Bestätigung dafür, dass sich größere Verschiebungen andeuten: Erst kündigt Generalsekretär Hubertus Heil seinen Rückzug an, dann Parteivize Peer Steinbrück. Kaum ein Abgeordneter ist noch verwundert, als Steinmeier in der Fraktionssitzung schließlich seinen Verzicht auf den SPD-Vorsitz ankündigt.
Stattdessen soll es also Gabriel richten, was ebenso sonderbar wie risikoreich ist. Gabriel ist zwar mit politischem Talent ausgestattet wie kaum ein anderer in der Partei. Sein fulminanter Anti-Atom-Wahlkampf in den vergangenen Wochen dürfte der SPD mit Sicherheit die eine oder andere Stimme gerettet haben, auch wenn die Kampagne hart am Rande der Seriosität war, wie selbst Vertraute eingestehen.
Von flügelübergreifender Verankerung für den Niedersachsen konnte jedoch beim besten Willen nicht die Rede sein. Vielen Sozialdemokraten galt er bisher als politisch wankelmütig, illoyal, verbissen ehrgeizig. Von daher ist es schon wirklich bemerkenswert, wenn jetzt von einem "Kompromisskandidaten" die Rede ist.
Am Ende blieb nur Gabriel
Aber so ganz falsch ist es nicht. Andrea Nahles, die wohl ihr Leben lang als Protagonistin der Parteilinken geführt werden wird, kommt gegenwärtig für den Chefposten nicht in Frage, auch wenn sie und ihre Vertrauten in den vergangenen zwei Tagen am stärksten darauf drängten, ein "Weiter so" könne es nach diesem Ergebnis nicht geben. Sie weiß: Eine Annäherung der SPD an die Linkspartei wird nur dann vermittelbar sein, wenn die treibende Kraft ein Pragmatiker ist. Außerdem ist sie erst 39, hat also noch ein Weilchen Zeit. Dass sie allerdings Generalsekretärin werden soll, ist schon erstaunlich angesichts der Tatsache, dass dieser Posten schon etliche Karrieren beendet hat. Aber im Gespräch ist ja auch noch eine herausgehobene Funktion als "Erste Stellvertreterin".
Klaus Wowereit, Berlins Regierender Bürgermeister, ist dem Vernehmen nach bis Montag Wunschkandidat des linken Flügels gewesen. Sein eigener Landesverband hat ihn jedoch mit der Forderung, die gesamte Führungsspitze der Partei abzusetzen, als Anwärter untragbar gemacht. Er hätte wohl arg mit dem Ruf des Putschisten kämpfen müssen. Außerdem hat er in Berlin genügend Probleme, die es bis zur nächsten Abgeordnetenhauswahl zu lösen gilt. Und immerhin soll er ja einen Stellvertreterposten bekommen.
Frank-Walter Steinmeier schließlich wollte nicht nach der ganzen Macht greifen, das schwante manchen schon in den Gremiensitzungen am Montag, wo er sich wenig bis gar nicht geäußert haben soll. Womöglich ist er gar nur Oppositionsführer auf Zeit. Jedenfalls dürfte er es schwer haben, eingeklemmt zwischen einem wortgewaltigen Parteichef Gabriel und dem Chefpopulisten und Linke-Vorsitzenden Oskar Lafontaine als Führungsfigur in Erscheinung zu treten.
"Das war der Anfang von Steinmeiers Ende", war denn auch der Kommentar eines führenden Netzwerkers nach der Fraktionssitzung.
Von Veit Medick