Karl Nolle, MdL

Stuttgarter Zeitung, 24.10.09, 29.10.2009

Jamaika-Filz an der Saar

von Wilfried Voigt
 

Saarbrücken - Der saarländische Grünen-Vorsitzende Hubert Ulrich, 52, Mitschöpfer der bundesweit ersten Jamaika-Koalition in einem Landtag, ist ein Mann mit vielen Ämtern und Funktionen. Das Landtagshandbuch weist den umtriebigen Fraktionschef aus Saarlouis als Mitglied des Rundfunkrates, der Tierschutzstiftung Saar und der Parkhausgesellschaft seiner Heimatstadt aus.


Außerdem gehört Ulrich nach eigenen Angaben den Naturschutzorganisationen Nabu und BUND an. Er ist engagiert im Kinderschutzbund und bei Menschen gegen Minen. Beim Football-Club Saarland Hurricanes agiert er als Vizepräsident – wenn er nicht gerade als Beisitzer eines selbstverwalteten Betriebshofes unterwegs ist. Ehrenamtlich. Das ist noch nicht ungewöhnlich.

Doch Ulrich hat auch noch einen bezahlten Teilzeitjob als Angestellter. Beim Saarbrücker Software-Haus "think&solve Beratungsgesellschaft mbH" ist er seit 2001 zuständig fürs Marketing. Dies könnte den Vorzeige-Jamaikaner jetzt schwer in die Bredouille bringen.

Ostermann betreibt die bundesweit größte Pflegeheim-Kette

Denn Miteigentümer der Firma ist ausgerechnet der heftig umstrittene Saarbrücker FDP-Kreisvorsitzende Hartmut Ostermann. Dies geht aus Dokumenten hervor, die "Sonntag Aktuell", der siebten Ausgabe der Stuttgarter Zeitung, vorliegen. Der Liberale ist zudem Betreiber der bundesweit größten Kette von privaten Alten- und Pflegeheimen (Pro Seniore). Ostermann, 58, hat auch politisches Gewicht. Er gehört zur Kerngruppe der Freidemokraten, die derzeit im Saarland den Koalitionsvertrag mit CDU und Grünen aushandeln.

Als beim Grünen-Landesparteitag vor zwei Wochen überraschend 78 Prozent der Delegierten Ulrichs leidenschaftlichem Votum für das schwarz-gelb-grüne Bündnis folgten, wussten sie nichts von der engen wirtschaftlichen Verbindung zwischen ihrem Vormann und dem FDP-Verhandlungspartner. Denn in Ulrichs Einträgen im Landtagshandbuch und auf der Grünen-Homepage taucht der FDP-Mann als Mitgesellschafter von "think&solve" nicht auf. Dort steht lediglich der Firmenname.

Mit Sicherheit wären sonst Fragen nach der Unabhängigkeit des Grünen-Vorsitzenden (Parteispitzname: "Der Panzer") laut geworden. Gewiss hätte es die Delegierten interessiert – rund 40 Prozent kamen aus Ulrichs Heimatverband Saarlouis –, dass ihr Lokalmatador mit seinem Quasi-Arbeitgeber Verhandlungen über eine neue Landesregierung führt. Dass er diese pikante Verquickung verschwieg, könnte den forschen Parteichef vor allem deshalb in Verlegenheit bringen, weil er und Ostermann keine unbeschriebenen Blätter sind.

Grünen-Chef Ulrich ist nicht zimperlich, wenn es um die Durchsetzung eigener Interessen geht. Vor zehn Jahren trat er als Landesvorsitzender vorübergehend wegen einer Dienstwagenaffäre zurück. Ulrich hatte mehrere Ford Mondeo, die die Grünen-Landtagsfraktion mit einem Behördenrabatt von rund 30 Prozent gekauft hatte, privat übernommen und in einem Fall sogar teurer weiterveräußert. Nachdem die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren einstellte, startete Ulrich sein Comeback. Seit Mai 2002 ist er wieder Parteichef.

Schlechte Erinnerungen an die 90er Jahre

Als der Grünen-Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit Hubert Ulrich vorletzte Woche wegen dessen innerparteilichen Strippenziehereien in der Berliner Tageszeitung "taz" als "Mafioso" kritisierte, wurden bei Partei-Insidern an der Saar schlechte Erinnerungen an die 90er Jahre wach. Damals kursierten Hinweise, in Ulrichs Ortsverband Saarlouis gebe es Ungereimtheiten bei der Mitgliederverwaltung. Nach Recherchen des Grünen-Bundesschatzmeisters Dietmar Strehl zahlten dort angeblich 20 bis 25 Prozent der Grünen keine Beiträge.

Ulrich weigerte sich, die Mitgliederlisten intern offenzulegen. Er argumentierte mit Daten- und Vertrauensschutz. Es sei doch verständlich, wenn ein Handwerker nicht wolle, dass seine Mitgliedschaft bei den Grünen offenbart werde. Für einen etablierten Mittelständler könne es "negative wirtschaftliche Folgen" haben, wenn herauskomme, dass er bei den Grünen mitmache.

Das Verständnis für den Mittelstand ist bei Ulrich seitdem offensichtlich auch politisch weiter gewachsen. Er preist die Liberalen bei jeder Gelegenheit. Im Gegensatz zu Lafontaines Linkspartei seien sie "verlässliche Partner". Auch mit Hartmut Ostermann hat er offenbar kein Problem – ungeachtet der vielen Negativschlagzeilen, die sein neuer Polit-Partner schon verursachte: hauptsächlich wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung, der Veruntreuung von Millionenbeträgen und wegen teilweise desolater Arbeits- und Pflegeverhältnisse in einigen seiner mehr als 100 Seniorenresidenzen.

Im August 2002 saß Konzernchef Hartmut Ostermann sogar kurz in Untersuchungshaft. Die Saarbrücker Staatsanwaltschaft warf dem Unternehmer vor, "gewerbsmäßig" Lohnsteuer hinterzogen zu haben. Anlass war seine Selbstanzeige über nicht abgeführte Lohnsteuer in Höhe von 17 Millionen Euro.

Es handelte sich um einfache Hinterziehung

Bei Selbstanzeigen werden die Delinquenten in der Regel nicht strafrechtlich verfolgt. Anders ist es bei gewerbsmäßiger Hinterziehung, die wird als Verbrechen eingestuft. Mindeststrafe: ein Jahr. Ostermann hatte Glück, das Saarbrücker Landgericht eröffnete das Verfahren nicht, weil es keine Gewerbsmäßigkeit sah. Es handelte sich um einfache Hinterziehung. Der Altenheim-Mogul zahlte die Steuern nach und ging straffrei aus. In Mannheim läuft jedoch schon das nächste Verfahren. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts der Untreue. Diesmal offenbar im Zusammenhang mit einer Firmenfusion.

Auch die Gewerkschaft Verdi erhebt schwere Vorwürfe gegen den Saarbrücker Freidemokraten. Seine Firmengruppe Pro Seniore hatte vor fünf Jahren Tarifverträge für ihre Beschäftigten in Pflegeheimen mit Verdi abgeschlossen. Ausgerechnet der als wenig zimperlich geltende Marktführer Ostermann schien auf einen sozialen Kurs einzuschwenken. Es war wohl nur ein Bluff.

Denn die Umsetzung des Tarifvertrages wurde laut Verdi von Anfang an "hintertrieben". Der Konzern verhalte sich wie "ein Rambo in der Altenpflege". Den Einfluss Ostermanns im Saarland mindert das alles nicht. Dort hat der einstige Großsponsor des Fußballklubs 1. FC Saarbrücken ein dichtes politisches Netzwerk geknüpft. So war der derzeit amtierende CDU-Innenminister und ehemalige 1.-FC-Funktionär Klaus Meiser von 2000 bis 2007 Mitarbeiter bei der zum Ostermann-Konzern gehörenden Firma Victor’s – angeblich für ein sechsstelliges Jahressalär.

Ökonomisches Obdach fand auch der 2004 wegen Vorteilsannahme zurückgetretene Saarbrücker SPD-Oberbürgermeister Hajo Hoffmann. Er ist jetzt Vorsitzender des Zukunftsbeirates von Pro Seniore. Ungeachtet seiner Probleme mit der Steuerfahndung stieß Hartmut Ostermann beim Saarbrücker CDU-Finanzdezernenten Frank Oran auf erstaunliches Entgegenkommen. Als der FDP-Mann letztes Jahr für den zu seinem Imperium gehörenden Verein Deutsche Seniorenförderung und Krankenhilfe e.V. (DSK) Gewerbesteuer in Höhe von 2,8 Millionen Euro plus 823.000 Euro aufgelaufene Zinsen nachzahlen sollte, winkte er ab. Der Verein habe kein Geld. Christdemokrat Oran empfahl dem Stadtrat daraufhin, zumindest die Nebenforderungen niederzuschlagen. So wurde es in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen.

Konzern-Sprecher Peter Müller verwies auf das Steuergeheimnis. Hartmut Ostermann habe seine Verpflichtungen erfüllt. Zur Rolle von Ulrich bei "think&solve", zu deren Kunden auch Pro Seniore und Victor’s gehören, äußerte sich Müller nicht. Die Geschäftsführung der IT-Firma reagierte nicht auf Anfragen. Gegenüber "Sonntag Aktuell" erklärte Ulrich, er arbeite "nicht mehr" für "think&solve". Seit wann, ließ er offen. Seine Angaben auf der Grünen-Homepage und im Landtagshandbuch hat er allerdings noch nicht korrigiert.