Karl Nolle, MdL
Freie Presse, 11.04.2001
Staatskanzlei will prüfen: Was ist privat, was dienstlich?
Durfte Ingrid "Locke" duzen?
DRESDEN. Ist es der Gattin des Ministerpräsidenten erlaubt, einen Bediensteten der Staatsregierung zu duzen, ihn gar despektierlich "Locke" zu nennen, obwohl -oder weil - der gute Mann barhäuptig ist? Und locker erträgt er seinen Spitznamen. Schlimme Dinge müssen sich hinter dem Zaun des ehemaligen Stasi-Quartiers in der Schevenstraße abgespielt haben. So soll sich Ingrid Biedenkopf nicht nur für das Einkassieren von Bierverzehr aus dem gemeinschaftlichen Kühlschrank, sondern auch um das Miet-Inkasso gekümmert haben. Abgründe tun sich auf. "Wo ist das Geld geblieben?" fragte inquisitorisch für alle Bürger, die sich geprellt fühlen mögen, die Zeitung mit den vier Buchstaben. "Wir werden uns die Zahlungsströme anschauen", beruhigte der Regierungssprecher nonchalant, um einzuräumen, dass Frau Biedenkopf eine "gewisse Einteilungsfunktion, gehabt habe. Vorab klären konnte er den vermeintlich respektlosen Umgang der Landesmutter mit dem Sicherheitsbeamten. "Locke" heißt so, seitdem ihm die Haarpracht abhanden kam. Die Intensität des Nachfragens bei der Pressekonferenz betonte die Brisanz des Themas. Kurt Biedenkopf und Frau mögen die räumliche Distanz zu Dresden in diesem Fall genossen haben. Der Ministerpräsident sprach zur gleichen Zeit in Los Angeles über "Deutschlands Rolle in Europa" und traf sich anschließend mit dem Regisseur Steven Spielberg. Auch eine solche Reise wird in diesen Zeiten nicht mehr kommentarlos auf sächsische Staatskosten verbucht. "Welcher Anteil auf seine Funktion als Vizepräsident des Bundesrates, welcher auf den Ministerpräsidenten und welcher auf den Privatmann entfällt, kann erst am Ende abgerechnet werden", erklärte Staatskanzlei-Chef Georg Brüggen. Einleuchtende Begründung: Erst am Schluss wisse man, welche Station des dreiwöchigen Programms tatsächlich besucht worden sei. Doch wäre es nicht entwaffnender gewesen, wenn Biedenkopf vorab erklärt hätte, die Teilnahme seiner Frau gehe zu eigenen Lasten? Erklärungsbedarf für die vermeintliche Verquickung von "privat" und "dienstlich" bei den Biedenkopfs in der Schevenstraße gibt es noch reichlich. Das findet jetzt auch die Staatskanzlei. Spät, aber möglicherweise noch rechtzeitig, soll noch abgefangen werden, was aus Recherchen an die Öffentlichkeit gedrungen ist oder noch dringen wird. Die Mitarbeiter der Prüfgruppe stammen aus dem Finanzministerium und der Staatskanzlei, den Vorsitz bildet die Vizepräsidentin des Regierungspräsidiums Dresden. Ziel des Gutachtens soll die Klärung der Frage sein, ob die "personenbezogenen Betriebskosten von den Regelungen in den Verträgen der Bewohner erfasst sind". Ein weiteres Gutachten beschäftigt sich mit der Angemessenheit der Mieten und der Betriebskosten. Wie wichtig umfassende und rasche Aufklärung ist, bewiesen die bohrenden Nachfragen: "Haben die Biedenkopfs den Koch aus der Schevenstraße in ihr Ferienhaus am Chiemsee für private Zwecke abkommandiert?" - "Hat die Mutter von Ingrid Biedenkopf im Gästehaus der Staatsregierung logiert, und wie lange?" -"Wie war der Umgang mit Telefonkosten?" - Und: "Zu wessen Lasten gingen die Waren-Einkäufe für die Schevenstraße?" - Ein übles Gerücht, das ebenfalls zur Nachforschung weitergereicht wurde, betrifft den Koch: Ob er bei einer Tombola deswegen quasi als Schweigegeld für die Verhältnisse in der Schevenstraße gewonnen habe? Man wolle verhindern, dass Platz für neue Vorwürfe bleibe, versicherte Brüggen und sieht sich im Einklang mit Biedenkopf. "Auch der Ministerpräsident will, dass die Fakten auf den Tisch kommen". Doch zugleich räumte Brüggen auch ein, "dass immer etwas hängen bleibt und Fehler in der Vergangenheit selbstverständlich nicht ausgeschlossen werden können". Das wäre sicher auch ein Produkt der besonderen Wohnsituation in den sächsischen Aufbaujahren. Wie in den anderen Bundesländern das Wohnrecht von Regierungschefs gehandhabt wird und wie Frau Biedenkopf einzustufen ist, wenn sie "dienstlich" mit dem Dienstwagen unterwegs ist: Auch das soll in einem Abwasch überprüft und geordnet werden. Pikante Arbeit wartet auf die beamteten Prüfer.
(Von Hubert Kemper)