Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 12.02.2010
Warum Linke und SPD derzeit nicht zusammenkommen
Von Rico Gebhardt
Rico Gebhardt von der sächsischen Linken setzt sich mit der Frage auseinander, was Sozialdemokraten und Linke derzeit trennt. Gemeinsame Politik könne man nur machen, wenn man auch gemeinsame Inhalte habe, meint der Parteichef.
In der Politik geht es zuerst um Inhalte. Das mag banal klingen, aber daran muss man immer mal wieder erinnern. Grundsätzlich verschiedene Politikangebote führen dazu, dass Menschen in verschiedenen Parteien Mitglied sind oder diese wählen. Christoph Meyer äußerte sich am 4. Februar an dieser Stelle zur „Spaltung der Linken“ und wem diese nütze. Auf die inhaltlichen, also politischen, Differenzen zwischen der Linken und der Sozialdemokratie vermied er einzugehen.
Innerhalb der Partei Die Linke gibt es Einvernehmen zu einigen wesentlichen Vorstellungen über notwendige Veränderungen in diesem Land. Ein Leben in Menschenwürde ist dafür der Ausgangspunkt. Am Umgang mit Menschen, die keine Arbeit haben, lässt sich gut zeigen, wo das Problem liegt. Die sogenannten Hartz-Gesetze, auf deren Grundlage Menschen ohne Einkommen verwaltet werden, sind vom Gedanken „Fördern und Fordern“ geleitet. So schön diese Losung klingt, so problematisch ist sie auch. Denn abgesehen vom „Fördern“, über das sicher Einigkeit besteht, bedeutet „Fordern“, dass Hilfeempfängern eine eigene Schuld an ihrer Situation unterstellt wird.
Einen Einzelfall, in dem dies auch zutrifft, kennen sicher viele. Aber für die weit überwiegende Mehrzahl der Betroffenen gilt dies eben nicht. Viele von ihnen haben bis zur Verzweiflung alle ihre Möglichkeiten ausgeschöpft, um ein eigenes Einkommen zu erhalten. Und doch werden sie „gefordert“, im Klartext: Es wird Druck auf sie ausgeübt, als (Mit-)Schuldige ihrer Situation. Wir meinen, das ist entwürdigend.
Aber: Die Hartz-Gesetze hatte ausgerechnet die SPD zu verantworten. Und diese Gesetze haben die SPD fast zerrissen. Seit 1998 hat diese Partei über eine Viertelmillion Mitglieder verloren, das ist ein Drittel. Und sie hat seitdem von 20 Millionen Wählern über zehn Millionen Wähler verloren. Die Gründe dafür liegen in der Politik, bei den Inhalten dieser Partei. Solange die SPD nicht in der Lage ist, ihre Fehler auf diesem und einigen anderen Gebieten aufzuarbeiten, gibt es für Die Linke gar keinen Anlass, über mehr als eine Zusammenarbeit in den Parlamenten nachzudenken.
Die heutigen Unterschiede zwischen der Linken und der SPD liegen jedoch tiefer. Die SPD hat sich auf programmatischer Ebene vom Gedanken der menschlichen Gleichheit verabschiedet. Wohlgemerkt, Gleichheit meint in diesem Sinne nicht, dass Menschen in ihren Bedürfnissen identisch und ihrem Handeln uniform seien. Vielmehr bedeutet es, dass Menschen in ihrer Verschiedenheit die gleichen Möglichkeiten, der gleichen Zugang zu den gesellschaftlichen Ressourcen zukommen.
Die Sozialdemokratie hat sich nun entschieden, Tony Blair und seinem Berater Anthony Giddens nachzueifern. Mit der sogenannten Blair/Schröder-Wende wurde die „Gleichheit“ in den politischen Grundlagen der SPD umgedeutet und durch den klangvollen Begriff der „Chancengleichheit“ ersetzt.
So ähnlich diese beiden Begriffe scheinen, so wenig können sie jedoch als Synonyme gelten. Denn da, wo „Gleichheit“ wie oben verstanden zur Kritik an den Umständen, an der Gesellschaft führen muss, dient „Chancengleichheit“ faktisch zur Rechtfertigung tatsächlich existierender Ungerechtigkeiten. Um es in ein Bild zu fassen: So lange die Läufer mit den gleichen Schuhen zur gleichen Zeit an der Startlinie loslaufen, ist alles in Ordnung, die gleiche Chance ist ja wenigstens formal jedem gewährt. Wer im Ziel der Erste ist, liegt aber dann bei den Läufern selbst.
Wir Linken sind aber nicht der Auffassung, dass das Leben und die Gesellschaft als Wettkampf sinnvoll zu begreifen sind. Vielleicht sind wir Linken naiv, wenn der Mensch als des Menschen Wolf uns als zu wenig für eine gesellschaftliche Perspektive erscheint. Das jedoch nehmen wir gern in Kauf.
Die Blair/Schröder-Wende führte die SPD in die von ihnen selbst so bezeichnete „neue Mitte“ der Gesellschaft. Es ist nur schwer vorstellbar, dass die damit verbundene Abspaltung eines Drittels der Mitgliedschaft, die sich selbst durchaus als „links“ versteht, nicht einkalkuliert wurde. Problematisch wurde alles erst, als die Wähler in Scharen davonliefen. Und nun ist der Katzenjammer groß. Auf Positionen, die einst als „neue Mitte“ bezeichnet wurden, steht die SPD weitgehend immer noch. Dies zu ändern, indem man dem Ganzen einen anderen Namen gibt, bedeutet Politik mit einem Schokoriegel zu verwechseln.
Über eine Annäherung oder gar ein Zusammengehen der Linken und der SPD nachzudenken, erfordert zuerst und vor allem Bewegung auf politisch-inhaltlichem Gebiet. So wichtig Geschichte oder Personen auch sein mögen, ist es ein Irrtum, die Differenzen zwischen beiden Parteien darauf zu reduzieren. Wenn die SPD beginnt, ihre Rolle als der vermeintlich bessere Verwalter schlechter Verhältnisse zu befragen, dann wäre das ein kleiner, erster Schritt. Ohne diesen wird ein Aufeinanderzugehen der Parteien Die Linke und SPD aber nicht passieren. Schließlich ist es eine unserer grundlegenden Positionen, dass die gegenwärtigen Verhältnisse weder die beste aller Welten noch das Ende der Geschichte sind. Die Linke ist keine Sozialdemokratie minderer Herkunft, sondern eine Partei mit begründeten, eigenständigen Alternativen, auch zu sozialdemokratischer Politik. Aber es scheint möglich, dass in die SPD Bewegung kommt. Ich bin gespannt, welchen Weg sie in den nächsten drei Jahren wirklich beginnt, einzuschlagen.
Jedoch steht es mir eigentlich nicht zu, der SPD Ratschläge zu erteilen. Und dass innerparteiliche Demokratie immer auch eine große Herausforderung ist, wissen wir Linken selbst gut genug. Da, wo Demokratie ist, herrscht eben keine Friedhofsruhe. Die Linke ist eine junge Partei, in der sehr viele Menschen aus der PDS, aus der WASG, frühere Sozialdemokraten oder Grüne, Gewerkschafter, Menschen aus sozialen Bewegungen und zum Teil sehr kleinen linken Gruppen zusammenkommen. Das wollten wir so, denn die Spaltung der Linken wird nicht durch Sonntagsreden überwunden. Denn die Linke ist dann geeint, wenn sie gemeinsame Inhalte hat und damit eine gemeinsame Politik machen kann. Alles andere wäre abwegig.