Karl Nolle, MdL

spiegel.online.de, 28.02.2011

Plagiatsaffäre: Warum es für Guttenberg jetzt richtig eng wird

Ein Kommentar von Franz Walter
 
Muss Verteidigungsminister Guttenberg doch noch zurücktreten? Der Aufstand der akademischen Klasse wird für den CSU-Mann zur ernsten Gefahr. Die wissenschaftliche Elite kann nicht hinnehmen, dass ihr eigenes Ansehen durch einen Schummel-Doktor ramponiert wird.

"Der wird das aussitzen, der Guttenberg." Wie oft hat man in den letzten zwei Wochen privat und öffentlich diese Prognose zu hören bekommen. Und wer wagte ihr schon mit Vehemenz zu widersprechen? Denn man hat es schließlich oft genug bereits erlebt, nicht zuletzt beim Verteidigungsminister selbst, dass empörte Diskussionen über Fehlverhalten zwei Tage kamen, zwei Tagen andauerten und in zwei weiteren Tagen verebbten, bis sie ganz in der Versenkung verschwanden und den Erinnerungen entflogen.

Länger waren offenkundig solche Aufgeregtheiten nicht in der Medienaufmerksamkeit zu halten. Und hier, bei Guttenberg, handelte es sich noch dazu um Fußnoten, Zitationskonventionen akademischer Elfenbeintürmler. Kurz: ein Minderheitenthema. Das musste lässig zu überstehen sein für einen Mann von Charisma und Popularität, der sich noch dazu der furiosen Unterstützung des Boulevardblatts Nummer eins der Republik sicher sein durfte.

Aber nun liegen die Dinge anders. Und das hat am wenigsten damit zu tun, dass hier in einem besonders unerträglichen Ausmaß gegen Moral und Anstand verstoßen wurde. Empörung hierüber ist in der Tat vergänglich. Zu Fall bringt sie kaum jemanden - zumal wenn er trotz seines verwerflichen Tuns plebiszitär getragen wird. Guttenberg wird nicht an Gutmenschen scheitern, nicht an Wächtern der Moral, an Hohepriestern der Tugend, an Evaluationsautoritäten der Hochschulen. Die Hüter einer korrekten politischen Kultur und wissenschaftlichen Arbeitsform haben den Fall wohl - und Humboldt sei Dank - aufgerollt, haben in den ersten Tagen netzdemokratische Transparenz über die Verfehlungen hergestellt. Aber da wankte Guttenberg noch nicht allzu sehr.

Über den Umgang mit der Promotion in der CDU

Wenn Guttenberg fällt, dann weil die Empörung zusätzlich durch handfeste Interessen einer ganzen sozialen Gruppe ein starkes Fundament bekommt. Und damit ist keineswegs das Interesse der parlamentarischen Opposition an taktischen Pluspunkten im Kampf gegen Bundesregierung gemeint. Auch das hätte Guttenberg lässig überlebt.

Nun dämmert den akademisch-arrivierten Mittelschichten mit Hochschulzertifikaten, dass die Nonchalance der CDU-Granden und Guttenberg-Apologeten - "was sind schon Fußnoten"; "scheiß was auf den Doktor" - ihre Berechtigungsausweise für berufliche Erfolge und gesellschaftliche Statuspositionen gefährdet.

Eine ordentliche und selbstverfasste Promotionsarbeit ist anstrengend; sie zieht sich hin; man erlebt Durststrecken des Selbstzweifels, ist Versuchungen ausgesetzt, das schwierige Dissertationsprojekt hinzuwerfen. Aber man steht die Sache durch, weil "der Doktor" hilfreich ist für das berufliche Fortkommen, unabdingbar sowieso für eine universitäre Karriere, für den ersehnten Lehrstuhl. Der akademische Grad und offizielle Titel vor dem eigenen Namen ist in dieser Lebenswelt ein begehrtes Distinktionsmittel. Man hebt sich ab und kann das mit besonderen Leistungen begründen. Wer Doktor ist, verfügt über exklusives berufliches und kulturelles, dadurch oft auch ökonomisches Kapital, das andere wohl begehren mögen, aber nicht besitzen können.

Guttenberg droht dieses Kapital der akademisch-arrivierten Mittelschichten, gleichsam Kern ihres Stolzes und Basis vieler Privilegien, zu zerstören, jedenfalls Stück für Stück zu entwerten. Gerade diese Mittelschichten in diesem Land aber fürchten Inflationen aller Art, welche unweigerlich Entwertung ihrer Besitztümer, den Verfall von Positionen in der gesellschaftlichen Hierarchie zur Folge haben. Denn die akademische Mitte hat das im 20. Jahrhundert zweimal bitter erlebt. Die Inflation wirkte für sie niederschmetternd nivellierend, da Abstände nach unten verlorengingen, Eigentum zerrann und die gesellschaftlichen Ansehensprämien nicht mehr geltend gemacht werden konnten.

Der saloppe Umgang mit dem Reglement und Anspruch einer Promotion in Kreisen der CDU wirkt wie eine Inflation. Wenn man es so machen darf wie Guttenberg und dies als lässlicher Akt großzügig zu behandeln ist, dann verliert der "Doktor" an Rang und Bedeutung. Dann wird die Promotion zu Trivialität, Gegenstand von Süffisanz und Herablassung.

Bildungsbürgertum in Gefahr

Es gab und gibt durchweg gute Gründe, sich über Guttenberg aus moralischen, ja: ethischen Gründen zu erregen. Er hat getäuscht, geklaut, geheuchelt. In der politischen Klasse einer aufgeklärten Demokratie hat er nichts mehr zu suchen; als Bundesminister der Soldaten - die zur Sauberkeit ihres Spindes gedrillt werden - fehlt ihm die gerade hier erwartete Tadellosigkeit des Vorgesetzten. Auch haben alle Wissenschaftler mit der Befürchtung recht, dass die Plagiatspraxis von Guttenberg und die schnoddrigen Verteidigungsreden der christdemokratischen Anführer wissenschaftliche Grundvoraussetzungen schwer belasten, ja zu diskreditieren drohen.

Aber seinen Stuhl und Posten wird der fränkische Edelmann womöglich am Ende deshalb räumen müssen, weil er die meritokratischen Ansprüche und Stellungen des hiesigen Bildungsbürgertums elementar gefährdet. In solchen Fällen aber bleibt die arrivierte Mittelschicht in Deutschland, bleibt die akademische Klasse nicht still. Es geht um handfeste Interessen; und um die wird ebenso robust wie dauerhaft gekämpft. In diesem Fall trifft es zumindest den Richtigen. Moral und Interessen - daraus bilden sich immer noch die wirksamsten Bündnisse, die weiter reichen als der sonst bekannte mediale Erregungszyklus.