Sachsens früherer Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen, Michael Beleites, kritisiert die Aufarbeitung der SED-Diktatur im Freistaat. In der Aufarbeitungszeitschrift »Horch-und-Guck« macht der 46-Jährige seinem Ärger Luft.
Im Dezember 2010 ging er in aller Stille. Sachsens Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen, Michael Beleites. Nach zehn Jahren im Amt trat er nicht mehr an, räumte seinen Schreibtisch. Ohne Abschiedsfeier, ohne Würdigung seiner Dienstherrn, des sächsischen Justizministers Jürgen Martens oder von Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich. Offenbar raucht es mächtig hinter den Kulissen. Seinem Zorn und seiner Kritik darüber, was seiner Meinung nach bei der Aufarbeitung der SED-Diktatur schief läuft, machte Beleites erst jetzt, fast fünf Monate später, in einem Fachblatt, der Aufarbeitungszeitschrift »Horch-und-Guck« Luft. Sein ehemaliges Amt sei zur »Beute von Parteien" geworden. Die Aufarbeitungsinstitutionen insgesamt voll von »Karrieristen bar jeder inhaltlichen Motivation“, schreibt er darin.
Von den inzwischen mehreren tausend Historikern, Stasi-Aktenforschern, Museums- und Gedenkstättenmitarbeiterin und Vortragsreisenden und Journalisten, die sich in Ostdeutschland mit der Aufarbeitung der SED-Diktatur beschäftigten, lebten viele, so Beleites, "nicht für die Aufarbeitung, sondern von der Aufarbeitung". Es sei erschreckend, im welchem Umfange sich alte und neue Karrieristen bar jeder inhaltlichen Motivation der Aufarbeitungsinstitutionen bemächtigten", so Beleites. Kritisch sieht Beleites auch, dass Historiker und Journalisten versuchten, den Begriff »friedliche Revolution« zu verankern, während der Volksmund von der »Wende« spreche. Man müsse diesen Volksmund akzeptieren und es sei auch nicht so schlimm, so Beleites. Im Gegenteil: "Jeder politikwissenschaftlich halbwegs Gebildete weiß, dass der Unterschied zwischen öffentlicher Meinung und veröffentlichter Meinung ein Kennzeichen von Diktaturen ist. Warum verwendet man gerade da, wo es um unsere Freiheit geht, so viel Aufwand dafür, einen Unterschied zwischen öffentlicher und veröffentlichter Wortwahl zu etablieren" ätzt Beleites weiter.
Enttäuscht zeigte sich Beleites auch, dass die in seinen Augen größte Gruppe der Opfer der kommunistischen Diktatur in Europa, die Bauern, die unter Enteignung bzw. Zwangskollektivierung litten, gesellschaftlich und medial so nicht wahrgenommen würden, vergeblich habe er sich jüngst zum 50. Jahrestag der Zwangskollektivierung bemüht, Politiker oder Journalisten zu motivieren, darüber zu reden, zu schreiben und zu informieren. Dabei sei eine ganze gesellschaftliche Gruppe von freien Bauern zu »Landproletariat« degradiert worden, was bis heute für weite Teile Ostdeutschlands ein Strukturproblem sei, meint Beleites, selbst gelernter Landwirt. Der gesamte Beitrag von Beleites ist unter http://www.horch-und-guck.info/hug/archiv/2010-2011/heft-71/07117/ nachzulesen.
Der »Neue« hat einen schweren Start
Alles in allem eine harte Abrechnung, die zu einem Zeitpunkt kommt, in dem der monatelange Grabenkrieg um die Neubesetzung des Amtes des Stasi-Landesbeauftragten endlich beendet scheint. Ende März wurde nach langem Streit und mit nur einer Stimme Mehrheit im Landtag der Berliner Schriftsteller und Bürgerrechtler Lutz Rathenow zum neuen Amtsinhaber gewählt. Die Bürgerrechtlerin Freya Klier, die insbesondere von vielen Vertretern der SED-Opferverbände und der einstigen Macher der Leipziger Montagsdemos favorisiert wurde, fiel knapp durch. Ihre Unterstützer warfen dem sächsischen Jusitzminister Jürgen Martens (FDP) vor, der Rathenow durchgeboxt hatte, parteipolitische Gründe hätten dabei die Hauptrolle gespielt. Kein leichter Start für Rathenow, neben der 2010 verstorbenen Bärbel Bohley und dem gerade zum Stasi-Aktenhüter gewählten Roland Jahn, einer der wichtigsten DDR-Oppositionellen der 80er Jahre, der sich nun bemühen muss, zunächst einmal wieder Frieden zu stiften. In der Diskussion ist auch, das Amt nach dem Vorbild von Brandenburg umzubenennen, in "Landesbeauftragter für die Aufarbeitung der SED-Diktatur" oder, wie Beleites das vorschlägt, in ein Amt für die Aufarbeitung der »Diktaturfolgen«, um die »regionalen Auswirkungen« beider deutscher Diktaturen, die Sachsen und ganz Ostdeutschland im 20. Jahrhundert ertragen mussten und deren gesellschaftliche Auswirkungen bis heute spürbar sind, ins Blickfeld zu nehmen.
Die Schelte für den Kritiker
Derweil muss Beleites auch Gegenwind ertragen. "Während seiner gesamten Amtszeit hat er dazu immer geschwiegen, wieso kommt er erst jetzt mit dieser Kritik?", fragt zum Beispiel Heinz Eggert, Präsident der Mitteldeutschen Fernsehakademie und 1989 selbst einst Bürgerrechtler, später CDU-Innenminister von Sachsen. "Gerade als Leiter einer Behörde, die sich für Menschen einsetzt, die zur DDR-Zeit besonders viel Mut gezeigt haben, hätte er doch auch den Mut haben können, sich zu beschweren, statt die ganze Zeit zu schweigen", so Eggert. Tobias Hollitzer, Leiter des ”Museums Runde Ecke», Sachsens meistbesuchter DDR-Gedenkstätte, wies die Kritik von Beleites in einigen Teilen zurück. Das Wort „Wende“ habe in der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion nichts zu suchen, das habe nichts mit Zensur zu tun. Vielmehr werde das Wort »Wende« der historischen Dimension der Revolution von 1989 nicht gerecht. Hollitzer gab Beleites aber an dem Punkt recht, das Amt des Stasi-Landesbeauftragten sei »zum Spielball parteipolitischer Interessen« geworden, was dem Amt geschadet habe. Sachsens Justizminister Jürgen Martens (FDP), der Dienstherr des Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen,äußerte sich gegenüber SUPERillu ausweichend. "Ich stehe Vorstellungen über eine inhaltliche Neuausrichtung des Landesbeauftragten sehr aufgeschlossen gegenüber. Auch bei der Frage nach einer möglichen 'Anbindung' des Landesbeauftragten an den Sächsischen Landtag und bezüglich des Namens der Behörde sehe ich die Chance für einen breiten Konsens", so Martens zu SUPERillu.
Auch weit über Sachsens Landesgrenzen hinaus schlägt die Abrechnung von Beleites hohe Wellen. Martina Weyrauch, Leiterin der Brandenburger Landeszentrale für politische Bildung etwa meinte zu SUPERillu, man müsse diese Kritik auf jeden Fall konkret diskutieren, gerade weil sie in dieser Intensität vorgetragen wurde.
Von SUPERillu-Chefreporter Gerald Praschl