Karl Nolle, MdL
Freie Presse Chemnitz, Seite 3, 25.05.2011
Der Sturz des Provokateurs
Sachsens schärfster Regierungskritiker schweigt seit nahezu zwei Jahren. Der SPD-Politiker Karl Nolle ist gesundheitlich und wirtschaftlich angeschlagen. Aus seiner Druckerei musste er sich als Geschäftsführer zurückziehen...
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Autor: Hubert Kemper, Dresden
Sachsens schärfster Regierungskritiker, Karl Nolle, schweigt seit nahezu zwei Jahren - SPD-Politiker ist gesundheitlich und wirtschaftlich angeschlagen. Aus seiner Druckerei musste er sich als Geschäftsführer zurückziehen.
Dresden. Hier fühlt er sich wohl. Karl Nolle (66) hat unter dem Sonnenschirm auf der Dachterrasse Platz genommen. Das Rattern der Druckmaschinen dringt bis zur fünften Etage. Nahezu 20 Jahre lang war es Musik in seinen Ohren. Der Hochsitz mit weitem Blick über Dresden war sein Urlaubsparadies. Reisen gönnte er sich nicht. Von dem Fabrikgebäude in der Bärensteiner Straße im Stadtteil Striesen steuerte er seinen 60-Mann-Betrieb, ebenso seine unzähligen politischen Kampagnen. Doch das ist Vergangenheit. Nolle ist nicht mehr Herr im Druckhaus Dresden.
Ungewohnt bedächtig klingt die Stimme. Nolle wirkt angeschlagen. Der zähe Kampf um den Erhalt seines beruflichen Lebenswerkes, noch mehr die gesundheitlichen Folgen einer schweren Beinverletzung, haben Spuren hinterlassen. Aus der Doppelbelastung filtert er noch das Beste. "Ich bin beweglicher geworden", verweist er darauf, 35 Kilogramm abgenommen zu haben. Über das Restgewicht will er nicht sprechen. "Es reicht aus", kündigt er trotzig an, "um demnächst wieder angreifen zu können."
Das Druckhaus gehört Nolle und seiner Frau Christel nur noch zu 75 Prozent. Die beiden neuen Geschäftsführer heißen Andreas Kühn und Kurt Seitz. Sie haben das Sagen, doch für das wirtschaftliche Risiko haftet weitgehend der Alt-Besitzer, "inklusive unserer gesamten Altersversorgung", ergänzt Nolle. Das klingt bitter, doch die wirtschaftliche Notlage hätte ihm nur schlechtere Alternativen gelassen. "Erbschleicher und Schnäppchenjäger" hätten sich bei ihm die Klinke in die Hand gegeben. Das Unternehmen sei überlebensfähig, bekräftigt denn auch Kurt Seitz, der sich als "Interimsmanager" bezeichnet.
Der Verlust wiegt schwer. Viele Jahre hatte Nolle an seinem Ruf als Vorzeige-Chef und Kunstförderer gearbeitet. Die modernsten Maschinen, das beste Gewinnbeteiligungsmodell, die attraktivsten Preise: Mit dieser Kombination gelang ihm der Aufstieg in der Branche. 1999, beim Landtagswahlkampf in Sachsen, rauchte Ex-Kanzler Gerhard Schröder eine "Cohiba" auf Nolles Dachterrasse. Längst war dieser auch politisch oben angekommen. Mit Schröder verband ihn damals eine Freundschaft aus gemeinsamen Juso-Zeiten in Hannover. Aber auch das ist längst Vergangenheit.
Wie groß der Anteil der Politik an seinem beruflichen Abstieg ist, bleibt umstritten. Nolle sieht sich zunächst als Opfer der Wirtschaftskrise, die Anfang 2009 den ostdeutschen Druckereimarkt besonders heftig beutelte. Die ohnehin scharf kalkulierten Preise seien durch die Überkapazitäten weiter rapide verfallen. In diese Krise hinein platzte die Meldung, dass die Staatsanwaltschaft gegen Nolle wegen des Verdachts auf Subventionsbetrug ermittelt. Achtzehn Monate dauerten die Untersuchungen, etliche Kunden sprangen in dieser Zeit ab.
Das Imperium habe zurückgeschlagen, mutmaßt Nolle. Denn vehement wie kein Zweiter hatte der "Chefaufklärer" nahezu ein Jahrzehnt "schwarzen Filz" in Sachsen beklagt, Teile der Staatsanwaltschaft als Erfüllungshelfer der CDU gebrandmarkt und die Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf und Georg Milbradt mit Skandal-Verdächtigungen zum Rücktritt gezwungen. Nun stand er selbst am Pranger. Am Tag nach dem Bekanntwerden des Betrugsverdachts habe ihm sein Rückversicherer die Bonitätsgrenze von 500.000 auf 100.000 Euro abgesenkt - mit der Folge, dass für den Kauf von Papier höhere Preise gezahlt werden mussten.
Als Unternehmer habe er doch auch von seiner Popularität profitiert, gibt ein ranghoher CDU-Politiker zu bedenken. Bis zu 35 Prozent seiner Aufträge habe die öffentliche Hand erteilt, bestätigt Nolle. Auch diese Einnahmequelle sprudelte nicht mehr wie gewohnt, nachdem aufgrund einer parlamentarischen Anfrage der CDU-Fraktion alle Behörden ihre Geschäftsbeziehungen zu dem gefürchteten SPD-Mann offenbaren mussten. Denn nun waren die Angebote im Internet nachzulesen. "Da waren wir plötzlich ein gläsernes Druckhaus", schildert Nolle das Ergebnis.
Der Kampf mit den Steuerbehörden habe ihn aufgerieben, sagt Nolle rückblickend. Mit der Staatsanwaltschaft einigte er sich auf Zahlung von 7000 Euro an die Aussätzigen-Hilfe. Damit unterblieben Schuldfeststellung, Strafbefehl oder Aufhebung der Immunität. Es gehe wieder aufwärts, macht er sich Mut. Noch ist er krankgeschrieben. Im Landtag hat er aber bereits erste Comeback-Versuche gestartet. Die verfolgt seine SPD mit Hoffen und Bangen. "Wir genießen die Ruhe und freuen uns, wenn er wieder Leben in die Bude bringt", beschreibt Fraktionschef Martin Dulig die ambivalenten Erwartungen an Nolle.
Auf das Schicksal seiner Firma und ihrer Mitarbeiter kann ihr Ex-Chef keinen Einfluss mehr nehmen. Vier Kündigungen haben die neuen Besitzer ausgesprochen. Die verbleibenden rund 60 Arbeitsplätze seien jetzt "sicherer als in den letzten Monaten", sagt der neue Geschäftsführer Seitz. Nolle muss das so hinnehmen. Er, der im Vergleich zu den anderen Abgeordneten gern seine finanzielle Unabhängigkeit hervorhob, ist jetzt vor allem auf die Einkünfte aus seiner Landtagsarbeit angewiesen. Diese verdankt er dem guten Wahlergebnis der CDU im September 2009. Nur dank der Überhang-Mandate-Regelung rutschte er als Listen-Vierzehnter der SPD noch ins Plenum. Es sei schon eine Ironie des Schicksals, "dass ich denjenigen, die mich draußen haben wollten, den Wiedereinzug zuzuschreiben habe", räumt Nolle ein.
"Sachsens ältester Jungsozialist", wie ihn Weggefährten nennen, ist nachdenklicher geworden. Cornelius Weiss, der Ex-Fraktionschef, meint: "Unsere Politikwelt ist arm an solch ungeschliffenen, mutigen Typen." Eine Kostprobe liefert Nolle prompt: "Die SPD muss wieder sozialdemokratisch werden", fordert er eine "Rückkehr zum alten Wertesystem, denn in der Mitte können wir nicht mit der CDU konkurrieren. Da sind inzwischen auch die Grünen angekommen."
Der Wind hat aufgefrischt. Auf der Dachterrasse wird es ungemütlich. Man werde bald wieder von ihm hören, wiederholt Nolle. Halb bedrohlich klingt das. Es könnte aber auch Erwartungsfreude provozieren. "Ohne ihn ist es verdächtig ruhig im politischen Sachsen geworden." Das sagt ein hochrangiger CDU-Mann, der einst im Zentrum der Nolle'schen Anfragen stand.
Er habe stets investigative Politik gemacht, sinniert der Drucker. Und lässt offen, ob er sich heute als Opfer seiner eigenen Recherchen sieht.
Mit dem Sturz von Kurt Biedenkopf war Nolles Ergeiz als "Chefaufklärer" in Sachsen erst richtig angestachelt.
Als Friedensaktivist engagierte sich Karl Nolle in seiner Jugend. Der Sohn
einer SPD-Familie aus Niedersachsen protestierte gegen die chilenische Pinochet-Diktatur und organisierte sozialistische Konferenzen.
Zusammen mit Gerhard Schröder war Nolle zwischen 1973 und 1976 Gesellschafter einer kleinen Druckerei. Nach einer Lehre als Elektromechaniker
hatte er von 1970 bis 1976 Geschichte, Politik, Soziologie und Psychologie in Hannover studiert.
Unmittelbar nach dem Mauerfall kam Nolle am 9. November 1989 nach
Dresden und übernahm im März 1991 die sanierungsbedürftige Dresdner
Offsetdruck GmbH von der Treuhand und führte das Unternehmen als
„Druckhaus Dresden“ weiter. Mit dem Sturz von Kurt Biedenkopf war Nolles Ehrgeiz als „Chefaufklärer“ in Sachsen erst richtig angestachelt
Mit dem Einzug in den Landtag im September 1999 konzentrierte sich
der SPD-Politiker Nolle auf investigative Recherche. 527 parlamentarische
Anfragen und Dutzende Strafanzeigen gehen auf sein Konto.
„Es war mein Job“, und er habe ihn mustergültig gemacht, sagte Nolle
am 15. Februar 2002 in der „Freien Presse“. Der Hinweis galt seiner Rolle
beim Sturz von Ex-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU). Mehrere
Stunden täglich hatte Nolle damals investiert, um Journalisten rund um
die Uhr per Fax, E-Mail oder SMS mit Selbstbedienungsvorwürfen gegen
Ingrid und Kurt Biedenkopf zu versorgen. Er habe es als seine Aufgabe gesehen, die Biedenkopf-Hochburg Sachsen zu schleifen, sagte er.
Die Rolle als „Chefaufklärer“ trieb Nolle nach dem Sturz Biedenkopfs immer stärker an. Den neuen Regierungschef Georg Milbradt (CDU) traktierte er mit Skandal-Meldungen über die von Milbradt geförderte Sachsen-LB. Nach Nolles Durchstechereien mussten zuerst die Bankvorstände Michael Weiß, Rainer Fuchs und Hans-Jürgen Klumpp ihren Hut nehmen. 2008 trat Milbradt nach dem Notverkauf der Bank selbst zurück.
Als Flop erwies sich allerdings die Kampagne gegen Milbradts Nachfolger Stanislaw Tillich (CDU). Nolles Buch über die DDR-Vergangenheit Tillichs („Sonate für Blockflöten“) verkaufte sich zwar gut, brachte aber selbst Parteifreunde gegen ihn auf. In seinem Dresdner Wahlkreis erreichte er bei der Landtagswahl 2009 trotz großer Werbung nur Platz fünf. (hk)
Bildunterschrift: Wertvolle Erinnerung an eine Zeit, in der er im eigenen Haus noch Druck machen konnte: Karl Nolle an einer historischen Buchdruckpresse mit Holzlettern von 1840. Mit der Abgabe der Geschäftsführung ist der Unternehmer auf das wirtschaftliche Geschick fremder Kräfte angewiesen.
Foto: Ronny Rozum