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spiegel-online.de, 25.08.2011

Justizstreit um Videothek: Am siebten Tage soll der Automat ruhen

"Typisch werktäglicher Lebensvorgang"
 
Justizposse in Baden-Württemberg: Fatih Kaya darf sonntags arbeiten, doch die Automaten in seiner Videothek müssen ruhen - laut Verwaltungsgerichtshof verstoßen sie gegen das Feiertagsgesetz. Die meisten Bundesländer sehen das ganz anders.

Hamburg - Eigentlich ist Fatih Kaya eine Art Vorzeige-Baden-Württemberger: Existenzgründer in dem so sehr auf seine wirtschaftliche Potenz bedachten Bundesland. Doch der 30-Jährige hat ein Problem - weil er angeblich den sonntäglichen Frieden stört, mit einer sogenannten Automatenvideothek. Diese, so entschied kürzlich der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim, müsse sonn- und feiertags geschlossen bleiben.

Seit Mai 2006 betreibt Kaya in seiner Geburtsstadt Achern, 25.000 Einwohner, am nördlichen Rand des Schwarzwalds gelegen, eine solche Videothek. Dort können DVDs sieben Tage die Woche rund um die Uhr ausgeliehen werden, an Sonn- und Feiertagen erfolgen Ausleihe und Rückgabe vollautomatisch. Kunden müssen sich registrieren lassen - das passiert nur werktags - und bekommen eine Mitgliedskarte, mit der sie Zugang zum Automaten erhalten. So weit das Prinzip in der Theorie. In der Praxis werden Kaya aber "Steine in den Weg gelegt", wie er sagt.

Ein halbes Jahr nach der Eröffnung des Ladens untersagt die Stadt den Betrieb an Sonn- und Feiertagen. Es ist der Beginn eines Justizmarathons, der noch nicht beendet ist. Zunächst läuft es gut für Kaya. Er klagt erfolgreich und macht geltend, in seiner Videothek werde ja gar nicht "gearbeitet", deshalb könne der Betrieb auch nicht gegen das Feiertagsgesetz verstoßen. Außerdem sei der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt, weil eine Automatenvideothek nicht anders funktioniere als ein Geld- oder Zigarettenautomat.

"Typisch werktäglicher Lebensvorgang"

Doch nun, drei Gerichtsinstanzen später, bejaht der Verwaltungsgerichtshof (VGH) das Verbot. Kaya kann diese Entscheidung nicht verstehen. Die Videotheken, mittlerweile hat er vier Filialen, sind für ihn ein Nebengeschäft. Hauptberuflich arbeitet der gelernte Industriemechaniker für einen Automobilzulieferer. "Regelmäßig auch am Wochenende", sagt Kaya, "das stört niemanden. Aber meine Automaten dürfen das nicht?"

Die Mannheimer Richter berufen sich auf das baden-württembergische Sonn- und Feiertagsgesetz. Demnach sind an Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen öffentlich bemerkbare Arbeiten verboten, die geeignet sind, die Ruhe des Tages zu beeinträchtigen. Laut Urteil stellt eine solche öffentlich bemerkbare Arbeit "auch die automatisierte gewerbliche Vermietung von DVDs dar". Dabei handelt es sich nach Auffassung der Richter um einen "typisch werktäglichen Lebensvorgang" - selbst wenn an der Ausleihe kein Personal beteiligt ist.

Die Begründung dafür liefert der VGH gleich mit: "Werktägliche Betriebsamkeit" werde nicht nur durch die in den Verkaufsstellen tätigen Arbeitnehmer, sondern auch durch die ausleihenden Kunden ausgelöst. Der Begriff der Arbeit im Sinne des Sonn- und Feiertagsgesetzes setze ferner keine menschliche Leistung voraus. "Eine solche Auslegung hätte in Zeiten zunehmender Technisierung und Automatisierung der werktäglichen Arbeiten sonst die völlige Aushöhlung des Sonntagsschutzes zur Folge", heißt es etwas sperrig formuliert in einer Mitteilung des Gerichts.

Mit anderen Argumenten und Einwänden hat Kaya ebenfalls keinen Erfolg. Die Automaten habe er ja unter anderem deshalb angeschafft, weil das Wochenende zu den umsatzstärksten Tagen zählt - und weil er seinen Kunden den Service bieten wolle, Filme dann auszuleihen, wann es ihnen am besten passt: in ihrer Freizeit.

"Bis es juristisch nicht mehr weitergeht"

Doch der sonntägliche Betrieb einer Videothek lässt sich laut Urteil auch nicht mit geändertem Freizeitverhalten rechtfertigen. Zwar dienten vermietete DVDs durchaus dem Freizeitvergnügen der Kunden an Sonn- und Feiertagen. Sie müssten zu diesem Zweck aber nicht notwendigerweise an diesen Tagen entliehen werden. Also: Wenn schon sonntags DVDs schauen, dann bitte samstags ausleihen und montags zurückbringen.

Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz liegt nach Auffassung der Richter ebenfalls nicht vor, da Kayas "ladenähnliche" Videothek nicht vergleichbar sei mit:


•Warenautomaten (äußeres Erscheinungsbild: Zigarettenautomaten stehen typischerweise einzeln)
•Bankautomaten (Geldabheben ähnelt eher einem Kauf- als einem Leihvorgang)
•einer 24-Stunden-Leihbibliothek wie an der Karlsruher Universität (dient wissenschaftlichen und nicht gewerblichen Zwecken)

Anders als Kinos, Theater oder Museen, die sonntags geöffnet haben dürfen, diene Kayas Angebot nicht zur "Deckung eines an Sonn- und Feiertagen bestehenden Publikumsbedarfs an Ort und Stelle". Auch mit den Tücken des Föderalismus hadert Kaya. Denn in fast allen anderen Bundesländern ist der Betrieb von automatischen Videotheken an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen ausdrücklich zugelassen. Auch das ist gesetzlich geregelt. Dies erlaube jedoch nicht den Schluss, dass eine solche Aktivität generell und bundesweit zulässig sei, so der VGH, sondern belege lediglich die Notwendigkeit, von Seiten des Gesetzgebers tätig zu werden.

Der Gang durch die Instanzen hat Fatih Kaya in den vergangenen fünf Jahren viel Zeit, Nerven und Geld gekostet. Mehr als eine halbe Million Euro hat er eigenen Angaben zufolge in der Zeit in das Geschäft investiert. Ans Aufgeben denkt er nicht. "Solange ich die Kraft habe, werde ich das fortführen", sagt er, "weiterkämpfen, bis es juristisch nicht mehr weitergeht." Als nächstes will Kaya Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht einlegen.
Von Jens Witte