Karl Nolle, MdL
Agenturen dapd, 17:04 Uhr, 09.09.2011
Scharfe Rüge für Sachsens Ermittler in der Handydaten-Affäre
Datenschutzbeauftragter legt Sonderbericht vor und moniert Verstöße gegen gesetzliche Vorgaben
Dresden (dapd-lsc). Die Abfrage von mehr als einer Million Handydaten nach schweren Ausschreitungen in Dresden im Februar war aus Sicht des sächsischen Datenschutzbeauftragten unzulässig. Zu diesem Ergebnis kommt Behördenchef Andreas Schurig in einem am Freitag vorgelegten Sonderbericht. In dem Fall hätten Polizei und Staatsanwaltschaft mehrfach gegen gesetzliche Vorgaben verstoßen. Schurig sprach förmliche Beanstandungen gegen die Ermittlungsbehörden aus. Die Opposition sieht damit vor allem die CDU/FDP-Landesregierung unter Zugzwang.
In Sachsen waren nach teils gewalttätigen Protesten gegen einen geplanten Neonazi-Aufmarsch in Dresden im Februar mehr als eine Million Handydaten erfasst worden, um Straftäter ausfindig zu machen. Betroffen waren weite Teile des Stadtgebiets. Ins Visier gerieten auch Tausende Anwohner sowie zahlreiche Journalisten und Abgeordnete.
Der Fall hatte bundesweit für Schlagzeilen gesorgt und eine Debatte über die Zulässigkeit solch umfassender Funkzellenabfragen durch die Ermittler in Deutschland ausgelöst. Der Landesdatenschutzbeauftragte hatte von den umstrittenen Abfragen Mitte Juni Kenntnis erhalten und daraufhin eine Sonderprüfung eingeleitet.
Schurig sagte, aus Sicht des Datenschutzes hätte es die Abfragen nicht geben dürfen. Es habe keine hinreichende Prüfung gegeben, ob die Abfragen noch angemessen und verhältnismäßig seien. «Mit den Funkzellenabfragen schossen Polizei und Staatsanwaltschaft weit über das Ziel hinaus», sagte er.
Zwtl.: Opposition verlangt weitere Aufklärung
Wegen des Berichts gerät nun erneut auch die Landesregierung von Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) unter Druck. Linke, SPD und Grüne forderten weitere Aufklärung. Gefordert wurde eine Stellungnahme der Regierung in der Plenarsitzung nächste Woche. Dabei geht es auch um Feststellungen in dem Bericht, wonach Daten unzulässig auch für weniger schwere Delikte wie Sachbeschädigung und Beleidigung genutzt worden seien. Auch müssten die Forderungen des Datenschutzbeauftragten schnellstmöglich umgesetzt werden.
Innenminister Markus Ulbig (CDU) und Justizminister Jürgen Martens (FDP) hatten die Aktion in der Vergangenheit stets verteidigt und argumentiert, die Erhebung sei zur Aufklärung der schweren Straftaten nötig und verhältnismäßig gewesen.
In dem 53-seitigen Sonderbericht wird dies bezweifelt. Bereits die zeitlichen und örtlichen Ausmaße seien unangemessen gewesen. In einem Fall seien Daten über einen Zeitraum von 48 Stunden aus einem Gebiet in Dresden abgesaugt worden. Vom Ausmaß her ragten die Dresdner Vorgänge aus den in der Rechtsprechung bislang bekannten Funkzellenabfragen in Deutschland heraus.
Schurig kritisierte, es habe auch keine Prüfung auf Angemessenheit gegeben, obwohl Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit und die Religionsfreiheit berührt gewesen seien. In dem Gebiet hatte es auch Mahnwachen vor Kirchen gegeben.
Zwtl.: Richter musste nur noch unterschreiben
Schlecht weg kommt in dem Bericht nicht nur die Polizei, sondern auch die Staatsanwaltschaft. Nach den Angaben hatte die Behörde bei Anträgen auf Genehmigung von Datenabfragen dem Gericht bereits einen vorformulierten Beschluss vorgelegt und im Briefkopf bereits das Amtsgericht Dresden eingetragen. Der jeweilige Richter habe dann nur noch das Aktenzeichen eingetragen und seine Unterschrift darunter gesetzt, hieß es. Die Staatsanwaltschaft wies die Kritik zurück und erklärte, sie gehe weiter von der Rechtmäßigkeit der Aktion aus.
Scharf kritisiert wird in dem Bericht auch das Landeskriminalamt Sachsen (LKA). Im Unterschied zur Polizeidirektion Dresden sei dort nicht einmal ein Konzept zur Reduzierung der Unmengen Daten auf das für die Strafverfolgung überhaupt erforderliche Maß vorhanden gewesen. Schurig forderte, den noch immer gespeicherten Datenbestand unverzüglich zu reduzieren und namentlich bekannte unbeteiligte Betroffene bis spätestens Ende des Jahres zu informieren. Dabei geht es nach seinen Angaben um rund 40.000 Personen.
Von Lars Rischke
dapd/lr/kos /1
091704 Sep 11