Karl Nolle, MdL
spiegel-online.de, 11:35 Uhr, 29.09.2011
Im Zweifel links: Wie schön die Kanzlerin säuseln kann!
Von Jakob Augstein
Die Kanzlerin ringt um den Euro und um die Zukunft ihrer Regierung, dabei ist ihr fast jedes Mittel recht. Man stellt mit Erstaunen fest: Wenn es sein muss, beherrscht Merkel sogar die Kunst der süßen Rede - vor der eigenen Fraktion wie im TV bei Günther Jauch.
Angela Merkel ist keine, die die Vertrauensfrage stellt. Weder an diesem Donnerstag noch in Zukunft. Es ist ein dramatischer Akt der Demokratie, wenn sich der Kanzler vor die Abgeordneten stellt und sein Schicksal in ihre Hand legt. Aber das Theater der Politik interessiert Merkel nicht. Ihre Sache ist der Machterhalt. Während sich das Schicksal des Euro und das Schicksal der Regierung entscheiden, kann das Wahlvolk in das Getriebe von Merkels Machtverwaltung schauen wie in eine gläserne Fabrik.
Der Euro nähert sich seiner Krise. Also dem Wendepunkt der Krankheit. Darauf folgt Genesung oder Untergang. Zur gleichen Zeit tritt auch die deutsche Regierung in die Phase ihrer Krise ein. Diese Koalition, die das Beiwort "bürgerlich" jedenfalls nicht wegen der von ihr vertretenen Tugenden verdient, erlebt in diesen Tagen ihren zweiten Geburtstag. Die erste Halbzeit ist um. Ob die zweite vollgemacht wird, ist unsicher.
Zum Feiern wird niemandem zumute sein.
Dass ihr der Koalitionspartner FDP unter den Händen stirbt, ist nicht die Schuld der Kanzlerin. Ihre Schuld ist aber, dass in einem entscheidenden Moment ihrer Kanzlerschaft die eigene Fraktion von der Fahne zu gehen drohte. Merkel hat - erneut - zu spät gehandelt. Der griechische Gott Kairos hat nur vorne einen Haarschopf und ist hinten kahl. Wer ihn packen will, wenn er bereits vorüber ist, greift ins Leere. Merkel hat die Bedeutung der Euro-Abstimmung im Bundestag zunächst heruntergespielt und so getan, als handele es sich um ein Gesetz wie jedes andere. Das hat die Abweichler ermutigt.
Günther Jauch war Merkels Glück
Wenn es sein muss, das nimmt man staunend zur Kenntnis, beherrscht Merkel die Kunst der süßen Rede. "Dafür habe ich Sie zu gerne, und dafür habe ich noch viel zu viel mit Ihnen vor", säuselte sie den Unionsabgeordneten vor der entscheidenden Abstimmung noch in die Ohren. Beim wichtigsten deutschen Fernsehmoderator musste sie sich solche Mühe nicht machen. Der gab sich freiwillig hin - und seine journalistischen Grundsätze auf.
Es war Angela Merkels Glück, dass ausgerechnet Günther Jauch den wichtigsten Sendeplatz des deutschen Fernsehens übernommen hat. Auf diesen Moderator kann sich die Kanzlerin besser verlassen als auf die eigenen Leute. Am vergangenen Sonntag lud sich Merkel erst selber ein und hielt dann eine durch unangenehme Nachfragen weitgehend ungestörte einstündige Regierungserklärung. Jauch bewies in seiner ganzen nuschelnden Harmlosigkeit, dass man auch eine politische Talkshow zu einem so komplizierten Thema so moderieren kann wie die "Sendung mit der Maus".
Selten wurden die zwei zentralen Prinzipien der deutschen Mediendemokratie - Verblödung und Unterforderung - so offenbar wie hier in der harmonischen Zusammenarbeit von Politiker und Moderator. Unversehens gerann die europäische Krise, die nicht zuletzt durch deutsches Zutun ihre Zuspitzung erfahren hat, zu einer kurzweiligen Lach- und Sachgeschichte. Hätte Jauch die Arbeit eines Journalisten gemacht, hätte er die Kanzlerin nach dem deutschen Beitrag zur europäischen Krise befragt, nach dem Zusammenhang zwischen dem phänomenalen deutschen Exportüberschuss und dem Defizit der EU-Partner.
Wer will dieses Europa?
Und er hätte über den Lohnverzicht gesprochen, der den deutschen Arbeitnehmern aufgezwungen wurde und der ihre europäischen Kollegen in die Arbeitslosigkeit getrieben hat. Er hätte auch die Frage stellen können, wer dieses Europa eigentlich will, das da gerade gerettet wird.
Die Deutschen sind der Meinung, es sei ein Europa der großen Konzerne. Da liegen sie nicht so falsch. Ein Europa des sozialen Ausgleichs wird es künftig noch weniger sein: Austerität heißt das Stichwort - Sparsamkeit. Das klingt nach Autorität. Und das passt. Um den Euro zu retten, werden sich die Staaten noch schlanker sparen müssen - oder sie erhöhen die Steuern.
Der Verteilungskampf wird härter. In der Vergangenheit ist er nicht zugunsten der Bürger entschieden worden. Sondern zugunsten der Konzerne.
Das hätte Jauch alles fragen können. Es liegt allerdings die Vermutung nahe, dass er der beliebteste Moderator des Landes ist, weil er solche Fragen nicht stellt.