Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 30.09.2011

Duligs Offerte in Jena

Sachsens SPD-Chef besucht OB Schröter / Weiter Unverständnis über sächsische Polizei-Razzia in der Thüringer Stadt Jena.
 
An der Saale ist die Stimmung gelassen und friedlich. Bürger und Studenten schlendern durch die Straßen rund um den Intershop-Tower, und auch der hastige Besucher merkt schnell: Jena, die mittlerweile zweitgrößte Stadt Thüringens, ist weltoffen wie kaum eine andere im Süden des Ostens. Dabei liegt genau hier der Ort, der zu erheblichen Verstimmungen zwischen Sachsen und Thüringen geführt hat - wegen der Razzia bei Jugendpfarrer Lothar König. Und auch wenn die Verwerfungen zwischen den beiden Freistaaten öffentlich kaum mehr eine Rolle spielen, sind sie doch hier, wo einst das Carl-Zeiss-Kombinat dominierte, mit Händen zu greifen.

Dafür sorgt vor allem ein studierter Theologe: Albrecht Schröter, SPD-Mann aus Halle und Oberbürgermeister von Jena. Er war es, der - ebenso wie Jugendpfarrer König - im Februar nach Dresden gefahren ist, um gegen den Neonazi-Aufmarsch zu demonstrieren. Und Schröter hat wegen der nur unzureichend abgestimmten Razzia Protest angemeldet - auch bei Stanislaw Tillich (CDU). Im August hatte er Sachsens Regierungschef zum Gespräch eingeladen, um das auszuräumen, was seiner Meinung nach Schaden durch die Polizei-Aktion genommen hat: das "mitteldeutsche Binnenverhältnis".

Doch Tillich hat abgelehnt und die Absage einem nachgeordneten Beamten überlassen, Sachsens Generalstaatsanwalt Klaus Fleischmann. Eben das hat jetzt ein Sachse zum Anlass genommen, nach Jena zu fahren. Martin Dulig, Sachsens SPD-Chef aus Dresden und Parteifreund von Schröter, will mit seinem Besuch beim OB demonstrieren, dass er dessen Haltung teilt - nicht nur aus parteitaktischen Gründen. "Man kann Neonazis nicht nur still entgegentreten", sagt er gleich zu Beginn des Treffens im Rathaus, bürgerschaftliches Engagement sei nötig.

Das ist genau das Credo von Schröter. "Dieser Ungeist muss aktiv bekämpft werden", meint der Jenaer und hängt an: "Ohne Gewalt, auch wenn es an die Grenzen der Legalität geht." Schließlich sei der Einsatz gegen Rechtsextremisten legitim. Und weil Schröter ein Mann ist, der mit offenen Karten spielt, wird er konkret: "Ich bekenne mich zu Blockaden, und ich bin bereit, für diese Ordnungswidrigkeit einzustehen."

Das ist Klartext von einem Stadtoberhaupt. Und es verweist auf den Kern der Kontroverse um die Februar-Demo in Dresden. Denn Schwarz-Gelb in Sachsen sieht das anders, und die Staatsanwaltschaft Dresden hat sich angewöhnt, rigide gegen Gegendemonstranten vorzugehen. Einer davon ist der Jenaer Jugendpfarrer. Erst warfen die Ermittler dem Geistlichen vor, er sei Mitglied einer linken Kampfsportgruppe. Doch König ist 57 und dafür allemal ungeeignet. Jetzt ermitteln die Staatsanwälte wegen "aufwieglerischen Landfriedensbruchs". König soll per Lautsprecher Demonstranten zu Gewalt angestachelt haben. Der Geistliche weist die Vorwürfe zurück, am Ende wird sich zeigen, wer Recht hat.

Weder für Dulig noch Schröter spielt das eine entscheidende Rolle. Unisono geht es ihnen um eine Frage: Stehen Stadt und Land hinter dem Engagement der Bürger gegen Rechtsaußen auch dann, wenn sie dabei die Grenzen des Rechtsstaats ausreizen - oder werden Gegendemonstranten kriminalisiert?

Hier hat sich OB Schröter längst entschieden, und wie er als gelernter Theologe so ist, bleibt er hartnäckig bei der Sache, wenn auch moderat im Ton. Und so erneuert er beim Treffen mit Dulig sein Gesprächsangebot an Tillich. Der Austausch unterschiedlicher Meinungen, meint er entwaffnend, sei doch "unter Demokraten normal". Damit trifft Schröter ebenso die Stimmung in Jena wie mit seinem Einsatz gegen Neonazis - modern, gelassen, friedfertig.
Jürgen Kochinke