Karl Nolle, MdL
DNN/LVZ, 05.10.2011
Fall Lothar König - harte Vorwürfe gegen Sachsens Justiz
Denkwürdige Fraktionssitzung: Jenaer Jugendpfarrer nimmt erstmals öffentlich Stellung zur Razzia und den Vorwürfen gegen ihn
Dresden. So voll war der Raum A 400 schon lange nicht mehr. Überall drängen sich Journalisten und Kameraleute, dazwischen sitzen drei Dutzend Mitarbeiter und Abgeordnete. Es ist der Sitzungssaal der Linken im Landtag, und es steht Außergewöhnliches auf dem Programm: Angekündigt hat sich Lothar König, der Jugendpfarrer aus Jena, es ist sein erster öffentlicher Auftritt seit jener Razzia im August, die ihn bundesweit in die Schlagzeilen gebracht hat.
Und dann kommt der Geistliche: klein, Rauschebart, Halbglatze - und alle denken: Dieser Mann, starker Raucher und 57, soll Mitglied einer linksextremen Kampfsportgruppe sein. Kaum wahrscheinlich. Doch genau in diese Richtung zielten die Ermittlungen zuerst. Nun aber geht es um die Razzia sächsischer Polizisten in der Jungen Gemeinde in Jena, eine Aktion weitgehend unabgestimmt mit den Thüringer Behörden. Die Ermittler werfen König "aufwieglerischen Landfriedensbruch" vor, er soll Gegendemonstranten beim Dresdner Neonazi-Aufmarsch per Lautsprecher zu Gewalt gegen Polizisten angestachelt haben.
König selber hält das für abwegig. Ja mehr noch: Ihm, der in der DDR unerfreuliche Bekanntschaft mit der Stasi gemacht hat, kämen "fatale Erinnerungen hoch". Das Ziel, sagt er in den Saal, sei ihm aus SED-Zeiten vertraut: "Isolieren, diffamieren, kriminalisieren". Damit solle offensichtlich der Protest gegen Neonazis "gebrochen werden". Bei Sachsens Linken rennt er damit offene Türen ein, schließlich haben die Ermittler auch deren Fraktionschef André Hahn im Visier - aus ähnlichen Gründen. Dabei hatte ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages erst kürzlich jeden Ermittlungansatz im Falle Hahn ins juristische Nirwana verwiesen. Grund: Weder die Gesetzeslage auf Bundes- noch auf Landesebene gebe das her.
Für König ist das Ausdruck des speziellen Klimas in Sachsen, besonders in Dresden. Und in der Tat liegen bisher lediglich zwei Videomitschnitte zum angeblichen Tathergang vor: Im einen sichert der Pfarrer der Polizei einen gewaltfreien Protest zu; im anderen gibt es eine Passage, wo er "seine" Gegendemonstranten ermuntert, weiter zu gehen - weil die postierten Polizisten "nicht schwer bewaffnet" seien.
Während einer Raucherpause vor dem Sitzungssaal geht König genau darauf ein. Tenor: Die Jugendlichen seien schlicht verängstigt gewesen, er habe ihnen die Sorge nehmen wollen. "Wir haben nichts Verbotenes gemacht", erklärt er sein Vorgehen, "wir müssen doch keine Angst haben vor der Polizei." Schließlich habe auch diese zu keiner Zeit verkündet, dass eine Demo zu unterbleiben habe. Diese Version deckt sich laut interner Aussage von Ermittlern mit bisherigen Erkenntnissen der Polizei. Das nährt Zweifel, ob es der Staatsanwaltschaft gelingt, ein Verfahren gegen König zu eröffnen - es sei denn, es tauchten neue Beweise auf. Rückendeckung erhält König auch aus Jena. OB Albrecht Schröter (SPD) sagt, er könne keine hundertprozentige Aussage treffen, aber immerhin so viel: Er habe den 57-Jährigen nie als gewaltbereit erlebt. Mit seiner keineswegs einfachen Klientel mache der Jugendpfarrer seit Jahren gute Arbeit. Und dann bringt es Schröter auf den Punkt: "König geht weit", sagt er, "damit seine Jugendlichen nicht zu weit gehen."
Jürgen Kochinke