Karl Nolle, MdL
DNN/LVZ, 10.10.2011
Dulig trimmt SPD bei Landesparteitag auf Realo-Kurs
"Raus aus den Nischen"
Bautzen. Zwei Jahre nach dem Debakel bei der Landtagswahl 2009 gehen Sachsens Sozialdemokraten auf Erneuerungskurs. Unter dem Motto "Starke Kinder in einer solidarischen Gesellschaft" will die Zehn-Prozent-Partei das Thema Arbeit und Beschäftigung als ihren Markenkern mit Leben erfüllen. Nach erheblichen Anlaufschwierigkeiten zeigt Landeschef Martin Dulig damit erstmals Flagge - und offenbart sich als Realo.
Hinten in der Halle herrscht buntes Treiben. Jugendliche spielen Tischfußball, am Rande steht eine Hüpfburg, und immer mal wieder kräht ein Kind. Was sich anhört wie ein kleines Volksfest oder eine Spielstunde im Kindergarten, ist aber Politik. Für ihren Programmparteitag haben sich Sachsens Sozialdemokraten Bautzen ausgesucht, die Stadt im CDU-dominierten Sorbenland. Und weil es in der Stadthalle Krone mitten im Zentrum um Kinderfreundlichkeit geht, dürfen die lieben Kleinen munter drauflos spielen.
Das ändert sich auch nicht, als Dulig ans Mikro tritt und dem regierenden schwarz-gelben Bündnis die Leviten liest. Nahezu alle Minister bekommen ihr Fett ab - drei aber besonders: Christine Clauß (CDU, Soziales), Roland Wöller (CDU, Kultus) und Sven Morlok (FDP, Wirtschaft). Die eine, ruft Dulig den 140 Delegierten zu, sei nur noch "Insolvenzverwalterin" des Sozialstaats; Wöller habe beim Thema gemeinsames Lernen von Behinderten und nicht Behinderten komplett versagt; und Morlok schließlich sei "zur Lachnummer der Staatsregierung verkommen", nur noch "peinlich für dieses Land".
Und als hätte es Dulig passend zur Attacke bestellt, schreit ganz hinten links ein Kleinkind nach seinem Nuckel. Doch der SPD-Chef lässt sich nicht beirren. Er zieht ein erstes Zwischenfazit: Während der frühere CDU-Regierungschef Kurt Biedenkopf noch ein Konzept gehabt habe, verspielten dessen Nachfolger dieses Erbe. "Das ist die schwächste Regierung seit 20 Jahren", meint Dulig - und hängt an: Die SPD mache aber zu wenig daraus.
Das ist der eine zentrale Punkt des Konvents. "Ich glaube, dass wir die besseren Antworten geben", sagt Dulig, "dumm nur, dass die Leute das nicht mitbekommen." Eben deshalb müsse die SPD ihr "politisches Marketing verbessern". Dies ist eine Reaktion auf die Tatsache, dass sich die Sachsen-SPD bisher kaum profilieren konnte, auch in den ersten beiden Jahren unter Dulig nicht. Allzu oft scheinen sich die Genossen selbst zu genügen. Statt erkennbar zu werden, pflegen sie lieber den selbstgefälligen Blick nach innen. Hier setzt Dulig an, sein Slogan lautet: "Das Signal von Bautzen muss sein: raus aus den Nischen, rein ins Leben."
Daraus folgt der zweite zentrale Aspekt des Parteitags. "Opposition ist Mist", zitiert Dulig nicht zufällig eine Losung von Ex-Parteichef Franz Müntefering. Sein Tenor dabei steht fest: Wer den Blick nach außen richten will, müsse sich vom Gestus einer Fundamentalopposition verabschieden - Realpolitik statt Pochen aufs linke Ideal. Entsprechend sagt Dulig: "Wir müssen Politik für Mehrheiten machen, und nicht nur für kleine Gruppen." Dahinter steht die Gretchenfrage, wohin es die SPD treibt, nach links oder rechts. Das aber ist vermintes Gelände, seit Jahren ist die Partei hier innerlich entzweit. Entsprechend geht Dulig den Zwischenweg. Er sei durchaus offen für ein Bündnis mit der Linken."Es muss auch zu einem demokratischen Selbstverständnis gehören, dass es Mehrheiten jenseits der CDU gibt." Das allerdings sei kein Automatismus. "Ich bin kein Freund der Linken, aber ich bin auch kein Freund der CDU" - eine Aussage, die nicht zuletzt auf zwei Linke gemünzt ist, die mit im Saal sitzen: Parteichef Rico Gebhardt und Fraktionschef André Hahn.
Für Sachsens CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer ist dies schon zu viel. Ungetrübt von Duligs doppelter Abgrenzung geht er den SPD-Mann an. "Seit Jahren kann die SPD den Wähler nicht mehr überzeugen, jetzt biedert sie sich der Linkspartei an." Damit mache sie sich überflüssig. Sachsens Sozialdemokraten hatten bei der Landtagswahl 2009 mit 10,4 Prozent das zweitschlechteste Ergebnis ihrer Geschichte eingefahren. Sie flogen aus der schwarz-roten Koalition und drücken seitdem die Oppositionsbank.
Von Jürgen Kochinke