Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 13.10.2011

Proteste ja, aber keine Gewalt

In der festgefahrenen Debatte um Aktionen gegen Neonazis bewegt sich die Union neuerdings
 
Dresden. Trendwende in der aufgeheizten Debatte um Demos gegen Neonazis in Dresden: Erstmals hat sich Sachsens CDU-Landtagsfraktion klar für "Proteste in Sicht- und Hörweite" zu rechtsextremistischen Marschierern ausgesprochen. Er sei bereit, einen Dialog mit allen demokratischen Kräften zu führen, "auch mit den Linken", sagte der Dresdner CDU-Abgeordnete Christian Hartmann gestern im Landtag. Bisher hatte sich die Union solchen Kompromissen weitgehend verweigert.

Es war ein denkwürdiger Schlagabtausch bei der Plenardebatte zum 13. Februar in Dresden. Während normalerweise der Innenpolitiker und CDU-Hardliner Volker Bandmann die Deutungshoheit beim Thema für sich beansprucht, ging diesmal mit Hartmann ein gelernter Polizist und Vertreter der jungen CDU-Abgeordneten als erster ans Rednerpult.

Die neue Lesart der CDU

Dabei stahl er den anderen die Schau - Bandmann vor allem, aber auch den sogenannten Liberalen von der FDP. Wie schon CDU-Fraktionsmanager Christian Piwarz zuvor sprach sich Hartmann dafür aus, "deutlich Flagge zu zeigen" gegen rechtsextreme Tendenzen - ohne Gewalt und ohne Sitzblockaden. Aber wirksam. "Der Wettbewerb um die besten Antifaschisten muss beendet werden", rief der Dresdner in den Plenarsaal. Die Gemeinsamkeiten müssten in den Vordergrund rücken. Zwar hat Hartmann mit dieser neuen Lesart noch lange nicht alle CDU-Abgeordneten hinter sich, aber das Signal war eindeutig.

Das sagt die Opposition

Eben das hat auch die Opposition gestern erkennbar beeindruckt. In seltener Einmütigkeit dankten Redner der demokratischen Fraktionen dem CDU-Mann für seine Worte - und die Neonazi-Truppe reagierte empört. Mit sich überschlagender Stimme ging NPD-Mann Jürgen Gansel den CDU-Politiker immer wieder an, ohne Erfolg.

Das meint der Innenminister

Auch Markus Ulbig gab sich gestern ausnehmend moderat. Er habe durchaus "Verständnis für die Emotionen" der linken Blockierer, sagte der CDU-Innenminister. Diese aber bewirkten nur das Gegenteil, bauten die Rechtsextremisten ungewollt auf, sagte er. Und ganz klar stellte sich Ulbig hinter die Polizei. "Gewaltexzesse gehören nicht zur Auseinandersetzung."

"Antifa-Kurse" an der TU?

Für einige Aufregung sorgte dabei nicht zuletzt der Aufruf von Antifa-Gruppen zu einer Art Schulung an der TU Dresden für Gegendemonstranten. Während Bandmann und die FDP darin ein Blockade-Training für Rechtsbrecher sehen, ist dies für die Opposition nahezu das Gegenteil. Sinn einer solchen Übung sei es, meinte der Grüne Miro Jennerjahn, "eine Situation zu trainieren, in der bewusst ein begrenzter Regelverstoß begangen wird", der aber "gleichzeitig deeskalierend" sei.

Gedenken versus Blockieren

Dahinter steht der prinzipielle Streit um die Frage, ob Blockaden bereits Gewalt seien. Während sich Innenminister Ulbig sowie die Koalitionsfraktionen CDU und FDP unisono von Blockaden distanzieren, tolerieren nicht wenige Oppositionspolitiker diese mehr oder weniger - und werfen der Koalition Kriminalisierung friedlicher Demonstranten vor. Genau an diesem Punkt dürfte sich auch in Zukunft der Streit um den Umgang mit den Neonazi-Aufmärschen entzünden.

Sonderfall Immunität Hahn

Zusätzlich aufgeheizt wurde die Stimmung durch die für den Abend geplante Aufhebung der Immunität von Linken-Fraktionschef André Hahn - wegen dessen Teilnahme an den Protesten. Obwohl Hahn zum entscheidenden Zeitpunkt im Februar gar nicht am Ort des Geschehens war; obwohl der juristische Dienst des Bundestages keine Rechtsgrundlage für Ermittlungen gegen ihn sieht; und obwohl eine Strafverfolgung wegen seiner Funktion als Fraktionschef absurd ist, setzen die Koalitionsfraktionen auf diesen Weg. Hier dürfte das Verfassungsgericht das letzte Wort haben
Von Jürgen Kochinke