Karl Nolle, MdL

Agenturen dpa, 17:40 Uhr, 13.10.2011

Justiz geht gegen Linke-Politiker vor

 
Die sächsische Justiz bleibt mit ihren Ermittlungen zu den Dresdner Neonazi-Aufmärschen in den Schlagzeilen. Vier führende Politiker der Linken sollen nun auf die Anklagebank. Die Kritik reißt nicht ab.

Dresden/Erfurt (dpa) - Massenhafte Datensammlung, Razzien und keine Gnade für Linken-Politiker, die gegen Neonazis demonstrierten: Die sächsische Justiz steht vor allem wegen ihres Vorgehens gegen die Fraktionsvorsitzenden der Linken in den Landtagen von Sachsen, Thüringen und Hessen in der Kritik. Nachdem der sächsische Landtag am Mittwochabend mit den Stimmen von CDU, FDP und rechtsextremer NPD die Immunität von Fraktionschef André Hahn aufhob, meldete sich am Donnerstag auch Parteichefin Gesine Lötzsch zu Wort. Sie sprach von einem «empörenden Vorgang»: «Friedliche Blockaden gegen Naziaufmärsche sind keine Straftat sondern ein demokratisches Recht und Pflicht jedes Demokraten.»

Damit befindet sich Lötzsch allerdings im Widerspruch zur Auffassung der Dresdner Staatsanwälte. Für jene sind auch friedliche Sitzblockaden ein Verstoß gegen das Versammlungsgesetz - und somit strafbar. Hahn und seinen Amtskollegen in Thüringen und Hessen, Bodo Ramelow sowie Janine Wissler und Willy van Ooyen, wird vorgeworfen, bei den Neonazi-Aufzügen am 13. Februar 2010 in Dresden Blockaden organisiert zu haben.

Die Staatsanwälte verweisen ausdrücklich auf die politische Funktion und Verantwortung der Betroffenen und sehen in ihnen «Rädelsführer» der Proteste. Die Politiker weisen das zurück und sind sich keiner Schuld bewusst. Thüringen hat die Immunität von Ramelow bereits aufgehoben. Der Landtag in Hessen äußert sich nicht zu Immunitätsangelegenheiten. Allgemein wird angenommen, dass die Hessen erst das Votum der Sachsen abwarten.

Die Bundesgeschäftsführerin der Linken, Caren Lay, gegen die wegen ihrer Teilnahme an den Protesten am 19. Februar 2011 ermittelt wird, forderte am Donnerstag eine Einstellung aller Verfahren. «Wer gegen Nazis demonstriert, nimmt ein demokratisches Grundrecht wahr.» Der sächsische Landtag ignoriere den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags, der längst in einem Gutachten festgestellt habe, dass es keine rechtliche Grundlage für die Verfahren gegen die Dresdener Demonstranten gebe. Sachsens Parlament hatte am Vorabend trotz dieser rechtlichen Bedenken sein Votum gefällt.

Bereits zuvor waren Polizei und Justiz in Sachsen wegen ihrer Ermittlungen in die Kritik geraten. Nach gewaltsamen Ausschreitungen am 19. Februar hatten die Ermittler massenhaft Handydaten friedlicher Demonstranten erhoben und ausgewertet. Noch am Abend dieses Tages stürmte ein Sonderkommando der Polizei die Parteizentrale der Linken in Sachsen, nahm 20 Leute in Gewahrsam und hinterließ erheblichen Sachschaden. Erst vor kurzem beurteilte das Amtsgericht Dresden den Einsatz als rechtswidrig. Im Sommer durchsuchten sächsische Ermittler die Wohnung des Jenaer Pfarrer Lothar Königs, der am 19. Februar angeblich zu Gewalt gegen Polizisten aufgerufen haben soll.

Am Donnerstag folgten weitere Razzien - diesmal auch gegen Mitglieder der rechtsextremen Szene. Im Großraum Köln/Aachen wurden die Wohnungen von sechs Beschuldigten im Alter zwischen 23 und 40 Jahren durchsucht. Die Ermittler werfen ihnen vor, am 19. Februar ein linkes Wohnprojekt in Dresden angegriffen zu haben. In Berlin wurden die Wohnungen von zwei Männern aus der linken Szene durchsucht. Ihnen wird genau wie den Rechtsextremen schwerer Landfriedensbruch angelastet. Bei den Rechten kommen aber noch erschwerend Straftaten wie gefährliche Körperverletzung und Widerstand gegen Polizisten hinzu.

Bei den alljährlichen Neonazi-Aufmärschen im Februar in Dresden war es in diesem Jahr erstmals zu Gewaltexzessen gekommen. Während das Geschehen am 13. Februar - dem Jahrestag der Zerstörung der Elbestand im Zweiten Weltkrieg - noch ruhig blieb, griffen eine Woche später gewaltbereite Rechts- und Linksextremisten brutal Polizisten an. Auch mehr als 100 Beamte wurden verletzt.
dpa jos yysn z2 sck
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