Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 01.11.2011

Lange vorbereitete Wende: CDU hofft auf Bundestags-Wahlkampf ohne Streit um Mindestlohn und Gerechtigkeit

 
Berlin. Nach monatelanger interner Vorarbeit an der Spitze macht die Unionsführung ernst mit der Ankündigung, den Streit um Mindestlöhne abzuräumen. Auf dem bevorstehenden Leipziger CDU-Bundesparteitag soll der Weg für eine allgemeine Lohnuntergrenze geöffnet werden. In der Ideenschmiede der Union befindet sich offenbar auch noch eine Vermögensabgabe.
Von dieter Wonka

Vehement bestreitet CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe Vermutungen, die CDU begebe sich auf einen neuen Grundsatzkurs. "Das ist kein Linksruck. Wir schaffen damit ein Mehr an Gerechtigkeit und das ist richtig", sagte Gröhe. Entsprechend der Antragslage für den Parteitag sollen die Lohnuntergrenzen von einer Kommission festgelegt werden, in der sich Arbeitgeber und Gewerkschaften befinden. Orientierungspunkt soll dabei der Mindestlohn aus der Leiharbeitsbranche sein. Der liegt aktuell bei 7,89 Euro pro Stunde im Westen und 7,01 Euro im Osten.

In zahlreichen internen Führungsberatungen ist dieser, wie das Kanzleramt wissen lässt, "Aktualisierungsprozess" der Unionspolitik mit der Mindestlohn-Debatte möglicherweise noch nicht abgeschlossen. In der "Überlegungsphase" befände sich, so wurde dieser Zeitung bestätigt, auch noch eine Art Vermögensabgabe unter dem Aspekt der Gerechtigkeit. Ziel sei es, so wird gesagt, dass man 2013 im Wahlkampf einen offenen Streit um Gerechtigkeit vermeiden wolle. "Wir wollen, dass sich die Bürger mit unserer konkreten Politik beschäftigen, nicht mit ideologischen Schaukämpfen", unterstrich ein Bundesminister die Motivation der neuen CDU-Planung.

In Kauf nehmen muss die Union dabei auch offenen Widerspruch aus den eigenen Reihen und vom Koalitionspartner. Michael Kretschmer, Unions-Fraktionsvize im Bundestag, forderte gegenüber dieser Zeitung, ein zu niedriges Einkommen müsse durch staatliche Transfers erhöht werden. "Das ist allemal besser, als wenn die Betreffenden durch den Mindestlohn arbeitslos werden. Die Arbeitsmarktreformen der letzten Jahre waren ein Erfolg, um den uns die Nachbarn in Europa beneiden. Es wäre fahrlässig, diese Erfolge durch eine falsch konzipierte Politik wieder zu gefährden". Es stelle sich die Frage: "Warum sollen jetzt die Instrumente eingeführt werden, die in anderen Ländern zu einer viel schlechteren Situation am Arbeitsmarkt führen."

Die von der CDU-Führung angestoßene Mindestlohn-Debatte werde, nach Ansicht des Chefs der Jungen Union, Philipp Mißfelder, nicht bei einer Stundenlohn-Höhe von 6,90 Euro enden, sondern vermutlich zu einer Debatte um einen Mindestlohn von bis zu 13 Euro führen.

Mißfelder, der auch CDU-Präsidiumsmitglied ist, sagte im Gespräch mit dieser Zeitung: "Jetzt ist die Stunde für den Wirtschaftsflügel gekommen, sich der Diskussion zu stellen und standhaft zu bleiben." Die Union werde "nicht gewinnen, wenn sie nur von einem Flügel getragen wird", warnte er. "Es gibt erhebliche Widerstände in der Jungen Union und in der Mittelstandsvereinigung. Das letzte Wort über den Erfolg dieses Antrages mit Blick auf den Leipziger Bundesparteitag ist noch nicht gesprochen."

Angesichts vorhandener Gerechtigkeitslücken kritisierte Mißfelder die Neigung der Politik, in all den damit verbundenen Fragen die Lösungskompetenz für sich zu reklamieren. Im Ergebnis würde Politik dann daran gemessen werden, ob sie das subjektive Gerechtigkeitsgefühl der Menschen erfüllt habe. "Ich glaube nicht, dass das mit einem Mindestlohn von 6,90 Euro gelingen wird. Schon jetzt sagen objektive Analysen, dass ein auskömmlicher Mindeststundenlohn für einen Familienvater mit zwei Kindern zwischen 12 und 13 Euro liegen müsste."
Die CDU dürfe nicht in einen Wettbewerb eintreten nach dem Motto: Wer biete mehr? "Dies würde nur dazu führen, dass die Höhe des Mindestlohns zukünftig vor jeder größeren Wahl zu einem Gegenstand der Auseinandersetzung wird. Dabei wird die Union nicht gewinnen können."