Karl Nolle, MdL
DNN/LVZ, 01.11.2011
Der Kaderschmied - Der Leipziger Dietmar Pellmann spielt bei den sächsischen Linken eine entscheidende Rolle
Dresden. Sein offizielles Thema ist die Sozialpolitik, vor allem aber agiert er im Hintergrund: Dietmar Pellmann, direkt gewählter Landtagsabgeordneter aus Leipzig, hat sich klammheimlich zu einer entscheidenden Größe im Kräftespiel der sächsischen Linken entwickelt - ein Kaderschmied im Sinne der alten Garde. Folge: Wer intern etwas werden will, darf es sich nicht verscherzen mit dem 60-Jährigen. Die eine oder andere Nachwuchskraft hat das schon leidvoll erfahren.
Der Mann wirkt auf den ersten Blick wie ein Muster an Bescheidenheit. Worauf er als Politiker stolz sei, wurde Dietmar Pellmann mal gefragt, und er antwortete, wie es typisch ist für ihn: "Ich bin selten stolz" - außer er könne etwas für Menschen bewegen. Mit diesem Gestus verkörpert der Leipziger wie kaum ein anderer den politischen Markenkern der sächsischen Linken: Pellmann, der Kümmerer, der Anwalt aller Unterprivilegierten. Und wenn er dann so da sitzt, meist allein rauchend im Innenhof des Landtags - kaum einer käme auf die Idee, dass dieser etwas unbeholfen wirkende Mann einer der wichtigsten Strippenzieher der Opposition ist.
Genau mit diesem Image spielt er. Dass Außenstehende ihn nur allzu leicht unterschätzen, ist Teil seiner Stärke. Wo andere das grelle Scheinwerferlicht suchen, gibt Pellmann den ernsthaften Parteiarbeiter - beständig, ohne viel Aufsehen. Das unterscheidet ihn von Klaus Bartl, dem heimlichen Fraktionschef der sächsischen Linken. Dabei verbindet die beiden einiges. Pellmann und Bartl sind jeweils 1950 geboren und gelten gleichermaßen als beinharte Vertreter jener altlinken Garde, die schon zu DDR-Zeiten Mitglied der SED waren. Doch während der Chemnitzer Jurist mit Vorliebe jene Felder besetzt, die für heftige Debatten sorgen, hält sich Pellmann zurück. "Bartl ist der linke Pate in Sachsen", meint ein Fraktionsmitglied, "Pellmann ist der Ratgeber mit symbolischer Macht" - eine Art Schattenmann der PDS-Nachfolger in Sachsen.
Damit macht er durchgreifend Politik. Vor allem auf die sogenannte Jugendbrigade hat es Pellmann abgesehen, weil er deren Vertreter für rot lackierte Yuppies hält, die - wie Sebastian Scheel - auch mal teure Anzüge tragen oder das Leben im links-alternativen Milieu der Wohnplatte vorziehen. Diese Jungtruppe versucht er zu verhindern, wo es nur geht - und oft genug geht es. Scheel zum Beispiel ist von Leipzig Richtung Meißen gezogen, weil Pellmann dafür gesorgt hat, dass er in der Messestadt nichts wird.
Das besorgt dann nicht selten Pellmanns rechte Hand, der Leipziger Linken-Abgeordnete Volker Külow. Und nicht nur Scheel, auch andere Vertreter der Jugendbrigade hat es getroffen. Als sich zum Beispiel der "linke Linke" Falk Neubert auf Pellmanns Beritt, der Sozialpolitik, zu profilieren versuchte, bekam er es mit dem Leipziger zu tun. Noch deutlicher wurde Pellmanns Einfluss beim internen Machtkampf um die Nachfolge des stasibelasteten Fraktionschefs Peter Porsch. Damals trat die Jugendbrigadistin Caren Lay gegen den Pirnaer André Hahn an - und Pellmann mischte direkt mit. "Ich bin für Hahn", sagte er im Herbst 2006, als sich noch kein einziger Linker zur heiklen Frage äußern wollte. "Lay muss sich erst bewähren."
Was da so väterlich klingt, hat in der sächsischen Linken zuweilen den Charakter eines politischen Fallbeils. Denn das Ergebnis des Personalstreits 2006 ist bekannt: Hahn wurde zum Fraktionschef gekürt, seine Gegenspielerin Lay wechselte 2009 entnervt in den Bundestag. Das ist das Geheimnis der heimlichen Machtfülle des Historikers: Sind sich die Strippenzieher aus Chemnitz und Leipzig einig, können sie die sächsischen Linken problemlos dominieren. Das bekam schon Parteichef Rico Gebhardt zu spüren, und auch Hahn ist kaum mehr als ein Fraktionschef von Pellmanns und Bartls Gnaden.
Vor allem im Falle von Leipzig ist das erklärungsbedürftig. Denn in der Messestadt gibt es ein beachtliches links-alternatives Milieu - und dennoch haben mit Pellmann und Külow zwei verbriefte Links-Traditionalisten das Sagen. "Pellmann hat in Leipzig dafür gesorgt, dass die Burg geschlossen bleibt", sagt ein Junglinker; bloß keine Veränderung - so laute das heimliche Motto des Historikers. Pellmann selbst sieht das anders. "Wir brauchen mehr Leute, die wissen, wie eine Partei funktioniert", sagt er und meint: Die Utopisten von der Jungtruppe seien abgehoben, beliebig und faul.
Das ist Pellmann allemal nicht. Im Gegenteil: Er hat mühsam gelernt, aus vermeintlichen Schwächen eine Stärke zu entwickeln. So räumen selbst interne Widersacher ein, dass er über ein phänomenales Gedächtnis verfügt - eine Folge seiner angeborenen Sehbehinderung. Und mittlerweile hat er auch zur Kenntnis genommen, dass es ganz ohne politischen Nachwuchs nicht geht. So hat er nicht zufällig die weitgehend orientierungslose Jugendbrigadistin Julia Bonk unter seine Fittiche genommen, und kürzlich erst versuchte er es mit einer dezidiert linken Linken im Duett: Gemeinsam mit Bundesvize Katja Kipping stellte er die sozialpolitischen Leitlinien vor - eine delikate Veranstaltung.
Auch wenn dabei gravierende Differenzen zu Tage traten, so demonstriert es doch, was Pellmann umtreibt: die Befürchtung, dass das, was er unter Politik versteht, von den Nachfolgern zu Grabe getragen wird. "Wir haben den Generationswechsel nicht hingekriegt in der sächsischen Linken", sagt er. Das klingt dann schon ein bisschen nach Resignation
Von Jürgen Kochinke