Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 07.11.2011
Raus aus der Schmuddelecke: Die Linke will in Sachsen mitregieren und macht sich schon mal hübsch für ein Bündnis mit Sozialdemokraten und Grünen.
Manchmal funktioniert Rhetorik auch andersrum. Setzen konservative Politiker Sachsen meist mit dem Ideenreichtum heimischer Ingenieure und höfischer Künstler gleich, adelt Rico Gebhardt die Malocher. „Die Kunst in diesem Land hat nicht der König geschaffen, sondern die Handwerker“, ruft Sachsens Linkenchef in den stickigen Parteitagssaal. Und setzt noch einen drauf. Meissner Porzellan konnte nur deshalb entstehen, „weil die Arbeiter im Erzgebirge das Auer Kaolin aus der Erde kratzten und dabei oft genug ihr Leben riskierten“. Linke Folklore? Vielleicht. Doch rund 200 Delegierte klatschen in Bautzen warmherzig. Wenig später wählen sie Gebhardt (48) am Sonnabend mit für linke Verhältnisse überdurchschnittlichen 79 Prozent erneut zum Landeschef.
Ruppiges Gegeneinander
Bis zum Vorwahljahr 2013 führt der bodenständige Landtagsabgeordnete aus dem Erzgebirge die Partei. Der verheiratete Vater gilt als Integrator, der den Flügelkämpfen im Verband die Schärfe nimmt. Altkader aus Chemnitz und Leipzig gegen karrierefixierte Neulinke, Jung gegen Alt, Fundis gegen Realos – intern gerieren sich die Sozialisten nicht bloß streitlustig, sondern pflegen zuweilen ein recht ruppiges Gegeneinander.
Die Dresdner Bundesvize Katja Kipping, die kurz vor Entbindung ihres Kindes nicht nach Bautzen reist, kämpft für bedingungsloses Grundeinkommen, sprich: Geld für alle. Dagegen mahnt der einflussreiche Chemnitzer Sozialpolitiker Dietmar Pellmann: „Das muss erst erarbeitet werden.“ Doch Gebhardt hat es geschafft, dass beide miteinander sprechen und dem Parteitag Leitlinien vorlegen. Konsens ist die Forderung nach einer Mindestrente von 900 Euro. Und die dehnbare Formel einer radikal linken Realpolitik, in der sich alle Strömungen finden. Selbst Kirchen sollen eingebunden werden.
Kein Zweifel: Die Linke will 2014 in Dresden an die Macht und liebäugelt mit SPD und Grünen als Partner. Der Vizechef der Bundestagsfraktion, Dietmar Bartsch, bringt es auf den Punkt. „Die reale Machtperspektive ist wichtig.“ Und interne Vielfalt. „Ich will nie wieder in einer Partei sein, die alles weiß und immer recht hat“, sagt er.
Derzeit liegt die zweitstärkste politische Kraft in Sachsen in Umfragen bei rund 20 Prozent. Im Bund ist es der Linken aber nicht gelungen, von der Finanzkrise zu profitieren. Sie schnitt bei Kommunalwahlen in Niedersachen und Nordrhein-Westfalen schlecht ab, in Berlin regiert sie nicht mehr.
Rein in die Gesellschaft
Und im Freistaat? Rund 11600 Mitglieder zählt der größte Landesverband. Das Durchschnittsalter der Genossen liegt bei 67 Jahren. Obwohl deren Zahl leicht sinkt, ist das Reinvermögen der Partei leicht gewachsen – auf mehr als zwei Millionen Euro. Im Landtag stellt die Linke 29 der 132 Abgeordneten und kann mit SPD und Grünen noch nichts durchsetzen. „Wenn wir dieses Land wirklich verändern wollen, dann müssen wir raus aus der Schmuddelecke, dann müssen wir hinein in die Gesellschaft“, konstatiert Landtagsfraktionschef André Hahn. Ob er 2014 erneut als Spitzenkandidat antritt, lässt er offen.
Bemerkenswert viel Applaus erhält Stefan Hartmann. Der Leipziger erzielt als Gebhardts Wunschkandidat für einen der Vizeposten mehr als 71 Prozent der Stimmen. Auch er muss integrieren und auf SPD und Grüne zugehen. Drei SPD-Gäste sitzen im Saal der Stadthalle Krone. Die Grünen waren schon da – beim Parteitag 2010
Von Thilo Alexe