Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 09.05.2001

Gute Zeiten, schlechte Zeiten

Erstmals nimmt der Ministerpräsident persönlich zu den Vorwürfen Stellung
 
DRESDEN. Die guten alten Zeiten. Ministerpräsident, Minister und Staatssekretäre wohnen Tür an Tür. Die Frühstückstafel dient als verlängerter Kabinettstisch. Und Ingrid Biedenkopf schmeckt die Salatsoße ab.
Die guten alten Zeiten auf der Schevenstraße 1 - aus und vorbei. Und niemand will sie mehr wahrhaben, vor allem nicht die Journalis~ten. "Schauen Sie mal in Ihre Archive", rät Kurt Biedenkopf, "damals fanden das einige von Ihnen ganz toll." Aber nein, heute schreiben sie über eine angeblich zu billige Miete, über Enkel, die mit dem Dienstwagen vom Kindergarten abgeholt werden, und über Sicherheitsbeamte, die für Frau Biedenkopf die Einkaufstüten tragen müssen.

Verteidigungsschlacht statt Offensive

Schlechte Zeiten für die Biedenkopfs. Die bundesweite Debatte sei unangenehm und er den Ärger leid, sagte der Ministerpräsident gestern vor einem Dutzend Kameras und an die hundert Zuhörern auf der Regierungskonferenz. Zum ersten Mal nahm er persönlich zu den Vorwürfen Stellung, die seit Wochen die Medien beherrschen. Unmittelbar vor Beginn ließ er eine Pressemitteilung verteilen: "Gästehaus Schevenstraße: MP Biedenkopf erwartet bis Ende Mai unanfechtbare abschließende Regelung." Darin teilt er mit, dass er den Finanzminister um entsprechende Schritte gebeten habe. Staatskanzlei, Innenminister und Rechnungshof sollten daran mitwirken.
Doch was wie ein Schritt in die Offensive wirken sollte, geriet alsbald zur Verteidigungsschlacht. Kurt Biedenkopf musste eingestehen, dass er über den Prüfvermerk des Rechnungshofes von 1994 bis vor kurzem nicht informiert war. Darin hatte die Behörde deutliche Kritik an der Praxis geübt, die Serviceleistungen des Personals auf der Schevenstraße nicht auf die Miete umzulegen. Im Übrigen habe er sich auf den damaligen Finanzminister Georg Milbradt verlassen. Dieser hatte nach Abschluss des Mietvertrages 1997 alle Fragen für geregelt erklärt. Zum Beweis verteilte Biedenkopf den Brief sowie ein weiteres Schreiben Milbradts von 1994 an alle Journalisten.
Ein Versuch, die Schuld für die schlimme Geschichte dem Ex-Minister in die Schuhe zu schieben? Nein, niemand wird schuldig gesprochen. Auch nicht der damalige Staatskanzleichef Günter Meyer, der von dem Rechnungshof-Vermerk wohl gewusst, ihn aber nicht an seinen Chef weitergeleitet hatte. Trotzdem will Biedenkopf seinen guten alten Freund noch einmal nach Dresden zitieren. Zu vermuten ist, dass es bei dem Treffen nicht nur um die guten alten Zeiten geht.
Die Zeiten haben sich geändert. Unter normalen Umständen, sinnierte der Regierungschef, wäre das alles nicht in der Öffentlichkeit ausgebreitet worden. Niemand hätte sich dafür interessiert, dass er im Urlaub das Personal von der Schevenstraße an seinen "Sommersitz in Süddeutschland" - gemeint ist das Biedenkopf-Wohnhaus am Chiemsee - gleich wochenweise abordnen ließ. Niemand hätte sich darum gekümmert, dass die Firma des Schwiegersohns einen Putzauftrag für die Schevenstraße bekommt. Und niemand hätte geschrieben, dass Ingrid Biedenkopf in dem Gästehaus eine "schwarze Kasse" führt.

Hoffnung auf bessere Zeiten

Gute Zeiten, schlechte Zeiten. Vielleicht folgen wieder bessere? Kurt Biedenkopf gibt die Hoffnung nicht auf: "Wir haben nicht die Absicht, unsere Aufgaben vorzeitig zu beenden." Zu spät bemerkt er den Lapsus, sicherheitshalber wiederholt er den Satz noch mal in der Ich-Form. Die Zeiten sind nicht nach Rücktritt. Was bliebe vom Ruf des Querdenkers? Und von dem der Landesmutter? Und: "Wer soll Nachfolger werden?" Bei dieser Journalisten-Frage grinste Biedenkopf übers ganze Gesicht - und schwieg. So hat er's gern. Wie in guten alten Zeiten.
(Steffen Klameth)