Karl Nolle, MdL

spiegel-online.de, 16:34 Uhr, 17.11.2011

Rechtes Erbe: Das geheime Deutschland

Von Jakob Augstein
 
Wir hätten es wissen können, dass es diese dunklen Ecken gibt, dass es in Deutschland braunen Terror gibt. Doch wir haben uns mit diesem rechten Erbe nicht befassen wollen. Bei linken Staatsfeinden wäre das den Behörden nicht passiert.

Es gibt das Wort vom "geheimen Deutschland". Man kennt es seit hundert Jahren, es stammt aus dem Umfeld des national-konservativen Dichters Stefan George. Dieses Deutschland liegt jenseits der fröhlichen Bilder vom friedlichen Fußball, jenseits der verantwortungsvollen Pflichterfüllung deutscher Soldaten in Afghanistan, jenseits der um Europas Wohl besorgten Bundeskanzlerin.

Es liegt in einem nationalen Anderswo, von dem wir wissen könnten, wenn wir wollten. Aber wir wollen nicht.

Natural born killers, geborene Mörder, gibt es nur im Film. Im echten Leben gibt es einen Grund jenseits der Genetik, der eine Gärtnerin, einen Bauhilfsarbeiter und einen Oberschüler zu Mördern machte. Man wird ihn in Ostdeutschland suchen müssen, in den neunziger Jahren, dieser eigenartigen deutschen Zwischenzeit, als eine ganze Generation zwischen dem Gewinn des Neuen und dem Verlust des Alten zerrieben wurde. Und man wird ihn im Versagen der Sicherheitsbehörden suchen müssen, das kein Zufall ist sondern ein Symptom.

Terrorist wird man nicht durch Worte, sondern durch Taten

Die Sicherheitsbehörden wollten die Taten dieser Mörder nicht als das erkennen was sie waren - politischer Terror - weil sie nicht in das bekannte, linke Muster fielen: Es fehlten die Bekennerschreiben. Die braucht es aber nicht. Die Vorstellung, jeder echte Terrorist hinterlasse einen möglichst verschwurbelten Zettel, ist absurd. Es gibt keinen Ideologietest für Terroristen. Man muss auch keine staatliche Prüfung ablegen, um den Titel rechtmäßig zu führen. Terrorist wird man nicht durch Worte, sondern durch Taten.

Deutschland will sich vom rechten Erbe lossagen. Aber das rechte Erbe ist nicht tot. Es hat überlebt. In den "national befreiten Zonen" des Ostens ist es sichtbar. Und auch in den Sicherheitsbehörden zeigt es seine Spuren. Dass der westdeutsche Verfassungsschutz aus Nazi-Wurzeln gewachsen ist, wissen wir. Aber auch heute müssen wir uns fragen, wieviel die Leute, die unser Grundgesetz schützen sollen, davon eigentlich verstanden haben. Was wussten staatliche Stellen von den Zwickauer Mördern? Es ist ein unfassbarer Skandal, dass man diese Frage überhaupt stellen kann.

Wieviele Todesopfer rechter Gewalt gab es seit der Wende wirklich?

Zu unserem rechten Erbe gehört auch, dass die Justiz "auf dem rechten Auge blind" sei. Das ist ein Topos aus der Weimarer Republik, als Freikorps-Mörder und SA-Banden vor Gericht mit Milde rechnen konnten, wenn Polizei und Staatsanwaltschaft sie überhaupt dorthin beförderten. Das ist Vergangenheit.

Heute verfolgen die Behörden im Freistaat Sachsen mit einem alle Vorstellungen sprengenden Aufwand seit zwei Jahren einen Haufen linker Autonome - Observierungen, Hausdurchsuchungen, DNA-Tests, Telefonüberwachung - das ganze Programm. Ohne greifbares Resultat. Die Verfolgung angeblicher linker Staatsfeinde dient der Polizei in Sachsen als Vorwand für alle denkbaren Fehl- und Übergriffe.

Seit der Wende gab es in Deutschland 48 Todesopfer rechter Gewalt. Sagt die Bundesregierung. Sie stützt sich auf die Zahlen der Polizei. Es gibt seriöse Quellen, die die tatsächlich Zahl der Toten eher bei 140 ansiedeln. Die Bundesregierung gibt sich nicht viel Mühe, die Diskrepanz der Zahlen aufzuklären.

Angela Merkel hat über die Zwickauer Neonazis gesagt, dass sich Strukturen erkennen ließen, "die wir uns so nicht vorgestellt haben."

Nicht vorstellen wollten, wäre richtig gewesen.