Karl Nolle, MdL
Agenturen dapd, 13:50 Uhr, 23.11.2011
Der Nazi-Erklärer aus Jena - Jugendpfarrer Lothar König gilt als einer der intimsten Kenner der Szene
Ärger mit der sächsischen Justiz
Jena (dapd). Lothar König bläst den blauen Dunst seiner selbst gedrehten Zigarette in den Raum und redet über rechte Umtriebe. Wer ihm ein Stichwort gibt, entfesselt einen Strom von Gedanken, der solange nicht versiegt, bis man ihn entschlossen unterbricht. Der 57-Jährige ist Pfarrer, Jugendarbeiter und auch ein bisschen Soziologe.
Bei dem Jenaer Stadtjugendpfarrer suchen derzeit viele eine Antwort auf die Frage, wie eine kleine Gruppe von Neonazis eine Blutspur quer durch die Republik ziehen konnte. Journalisten aus ganz Deutschland und Europa geben sich seit Tagen in dem Hinterhof in der Innenstadt die Klinke in die Hand. Sie alle wollen wissen, wie König das Abdriften von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe ins rechtsextreme Milieu erklärt. Alle drei hatten lange in Jena gelebt.
Die Geschichte, die König immer wieder erzählt, handelt im Kern von drei jungen Menschen, die in den Wirren des Umbruchs der Wende von 1989 auf der Suche nach Orientierung waren. «Sie haben sich als Verlierer gefühlt. Man hat sie wie die letzten Trottel behandelt», sagt König. So sie seien in ein Umfeld geraten, das sich zuerst vor allem über Gewalt und weniger über ein gefestigtes Weltbild definiert habe. Erst um 1995 herum sei es zu einer politisch-ideologischen Überformung des rechten Lagers gekommen. «Das hatte ein ganz neue Qualität.»
König, der in Leimbach am Harz aufwuchs, hat all das hautnah miterlebt. Seit 1990 ist er Stadtjugendpfarrer. Seit mehr als zwei Jahrzehnten setzt er sich gegen rechtes Gedankengut ein und gilt als Kenner der Szene. Den Namen Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe konnte er Gesichter zuordnen, lange bevor die Sicherheitsbehörden dazu in der Lage waren. Trotzdem gibt er nicht vor, die Dimension der rechten Gewalt erahnt zu haben: «Wenn Sie mich nach dem Ausmaß all dessen fragen - das hat mich überrascht.»
Umstrittener Pfarrer geriet in Konflikt mir sächsischer Justiz
Wenngleich Königs Analysen derzeit gefragt sind - unumstritten ist er nicht. Die sächsische Justiz ermittlet gegen ihn und wirft ihm vor, auf einer Großdemonstration gegen Nazis im Februar in Dresden zur Gewalt gegen Polizisten aufgerufen zu haben. König bestreitet das.
Aber auch in Thüringen hat er nicht nur Freunde. «Lothar ist bisweilen unbequem, weil er vielen zu laut und zu schrill ist», sagt Jenas Oberbürgermeister Albrecht Schröter (SPD), der im gleichen Atemzug aber betont, Königs Arbeit zu schätzen. Er unterstützte den Pfarrer auch, als die sächsischen Ermittler Königs Büro durchsuchten. Schröter kritisierte die Razzia damals als einen Versuch, Demonstranten gegen Rechts einzuschüchtern.
«Er geht weite Wege mit den Jugendlichen, damit diese nicht zu weit gehen», sagt Schröter über den Pfarrer. Und ob man Königs Art nun möge, oder nicht: «Er hat recht gehabt mit seine Befürchtungen über das Erstarken rechtsradikaler Strömungen. Viele andere hatten solche Entwicklungen unterschätzt.»
«Werden mit diesem Problem leben müssen»
Wenn Lothar König auch mit seinem Blick in die Zukunft recht behalten sollte, dann steht der Freistaat und ganz Deutschland auch in den kommenden Jahren vor einem zähen Ringen mit dem rechten Rand der Gesellschaft. «Wir werden weiter mit diesem Problem leben müssen», sagt er. Aber er wolle die Hoffnung nicht aufgeben, dass sich die Einsicht durchsetzt, dass der Rechtsextremismus eine menschenverachtende Ideologie ist.
Über seine eigene Zukunft äußert sich der sonst so wortreiche Mann nur verhalten. «Ich muss den Ausgang des Verfahrens in Sachsen abwarten», sagt er. Die Staatsanwaltschaft prüft noch immer, ob sie Anklage gegen König erhebt. Sollte er am Ende verurteilt werden, müsse er sehen, wie sich das auf seine Arbeit in Thüringen auswirke. «Ich werde jetzt schon als ein Symbol für den aufrechten Widerstand wahrgenommen. Doch das möchte ich nicht», stellt er klar. Sein Wunsch für die nächsten Jahre ist ein anderer: «Ich will weiterhin Empörung hervorrufen, wenn Unrecht geschieht.»
Von Sebastian Haak
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231350 Nov 11