Karl Nolle, MdL
DNN/LVZ, 09.12.2011
Rechtsterrorismus: Sachsens Behörden in Erklärungsnot
Sicherheitskräfte hatten spätestens im Herbst 2000 Hinweise auf das Neonazi-Trio / Warnung von Bernd Merbitz Ende der 90er Jahre
Dresden. Seit Bekanntwerden der Terrorserie des Neonazi-Trios aus Mitteldeutschland steht vor allem ein Land im Fokus der Kritik. Die Thüringer Sicherheitsbehörden, so die These bundesweit, hätten versagt und damit das Morden der Rechtsterroristen ermöglicht - Handeln durch Unterlassen, sozusagen. An Sachsen schienen die Vorwürfe lange abzuprallen.
Doch mittlerweile hat sich das Blatt gewendet. Zunehmend geraten auch sächsische Behörden in Erklärungsnot. Das aus gutem Grund. Schließlich war die braune Terror-Truppe rund ein Dutzend Jahre in Zwickau untergetaucht, agierte von dort aus. Zudem befanden sich große Teile des Netzwerks rund um die Attentäter im Sächsischen - in Johanngeorgenstadt zum Beispiel. Hinzu kommt die entscheidende Tatsache, dass den Sicherheitsbehörden seit Jahren eindeutige Hinweise auf konspirative Treffpunkte von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe in Zwickau vorlagen, ohne dass etwas geschah.
So kann nach derzeitigem Stand davon ausgegangen werden, dass es spätestens im Jahr 2000 Spuren zum Terror-Trio samt Umfeld gegeben hat. Gleich zwei Mal observierten Ermittler die Tatverdächtigen. Das erste Mal fand dies auf einem Parkplatz im Mai 2000 statt, es gab Fotos der Beteiligten. Die Bilder gingen offenbar zur Prüfung ans Bundeskriminalamt, das später den Bombenleger Böhnhard halbwegs sicher identifiziert haben soll. Es ist nahezu ausgeschlossen, dass sächsische Sicherheitsbehörden davon nichts wussten.
Die zweite Observation fand im September 2000 statt, hier war es eine Wohnung in Zwickau. Als die verdeckten Ermittler schließlich ein Mobiles Einsatzkommando (MEK) orderten, waren die Rechtsterroristen verschwunden.
Darüber hinaus lagen offensichtlich weitere Hinweise bereits im Jahr 1999 vor - über eine konspirative Telefonzelle. Für den Grünen Johannes Lichdi ein Unding: "Die sächsischen Behörden hatten viele Jahre Kenntnis über den Ort, an dem sich gefährlichste Bombenleger treffen - und haben nicht zugegriffen."
Dabei gab es auch in Sachsen schon Ende der 90er Jahre offensichtlich Ermittler, die vor der Gefahr von ganz rechts außen gewarnt haben. Es drohe ein neuer Rechtsterrorismus, hatte der heutige Landespolizeipräsident Bernd Merbitz gesagt. Er musste es wissen, schließlich war er seit 1991 Chef der Sonderkommission Rechtsextremismus (Soko Rex). Ernst genommen hat dies bis vor wenigen Wochen keiner.
Unterdessen fordert die Opposition nach der Entwaffnung von Rechtsextremen in Bremen ein ähnliches Vorgehen auch in Sachsen. Innenminister Markus Ulbig (CDU) müsse sächsische Neonazis "sofort entwaffnen", sagte Kerstin Köditz von der Linken. Laut einer Anfrage verfügen Neonazis im Freistaat derzeit über 105 Gewehre und 51 Pistolen - ganz legal. Jürgen Kochinke