Karl Nolle, MdL

Die Welt, 14.12.2011

„Man hätte es durchaus besser wissen können"

Verfassungsschutzpräsident Fromm über Rechtsterrorismus und die Zwickauer Zelle
 
In einer Grundsatzrede in Weimar geht der Dienstchef mit sich und seiner Behörde hart ins Gericht

Heinz Fromm zählt gegenwärtig zu den Buhmännern der Nation. Das Amt des Bundesverfassungsschutzpräsidenten hat, ebenso wie die anderen Sicherheitsbehörden, eine mehr als ein Jahrzehnt im Untergrund agierende Terrorzelle nicht erkannt. Und das, obwohl die Gruppe zehn Morde begangen hat. Weil Fromm in der Phase der Aufarbeitung keine Interviews gibt, entsteht in der Öffentlichkeit der Eindruck des Wegduckens.

Allerdings ist Fromm unterwegs, und das keinesfalls nur bei Heimspielen. Er hielt am 27. November in Weimar auf einem Jugendkongress des Zentralrates der Juden eine Grundsatzrede. ,;Vom Rechtsextremismus zum Rechtsterrorismus", lautete sein Thema in der nicht öffentlichen Runde. Der „Welt" liegt nun das Redemanuskript exklusiv vor. In dem Vortrag, ein bemerkenswerter Streifzug durch eine Szene, die vor dem Hintergrund der deutschen Vergangenheit bedrohlicher als anderswo empfunden wird, geht er hart mit sich selbst und seinem Amt zu Gericht.

Fromm sagte vor gut 300 Zuhörern: ,3Vir haben die jetzt bekannt gewordenen Täter nicht wirklich verstanden. Wir ' haben die Dimension ihres Hasses ebenso unterschätzt wie ihren Willen zur Tat. - Die Ermordung von Menschen aus dem einzigen Grund, weil sie als ,fremdländisch' empfunden werden, passt in die Gedankenwelt der rassistischen Täter. Das wussten wir." Eine Brandstiftung oder einen Bombenanschlag habe er sich vorstellen können - aber nicht „eine kaltblütige Exekution". Dann folgt ein zentraler Satz: „Dabei hätte man es durchaus besser wissen können."

Man hätte es besser wissen können: Dieser Satz hat in Weimar, dem „besten und schlechtesten Ort deutscher Geschichte"; wie es die Schriftstellerin Anna Seghers einmal mit Verweis auf die deutsche Klassik und die Barbarei im KZ Buchenwald formulierte, eine ganz besondere Bedeutung. Den Satz, man habe es besser wissen können, begründet Fromm so:

„Schließlich kennen wir die historischen Vorbilder dieser Leute. Wir wissen um die Skrupellosigkeit, mit der sie einen Völkermord begangen und einen Kontinent in Brand gesetzt haben. Terrorismus braucht Resonanzboden. Er braucht Unterstützer und Sympathisanten." Sowie die Zwickauer Zelle.

Heinz Fromm, ein Verwaltungsjurist aus Hessen, steht dem Bundesamt seit Juni 2000 vor. Das SPD-Mitglied wurde noch vor Gründung der Bundesrepublik geboren. Der 63-Jährige gehört damit einer Generation an, die alle drei „W" erlebt hat: Wiederaufbau, Wirtschaftswunder und Wiedervereinigung. Vor diesem biografischen Hintergrund kommt er zu einer Feststellung, die vermutlich nicht von allen geteilt wird: „Die rechtsextremistische Gewalt ist kein Phänomen Ostdeutschlands. Sie ist auch keines der Wiedervereinigung."

Richtig ist zwar für Fromm auch: Nach dem Fall der Mauer habe Deutschland einen bis dahin nicht gekannten Ausbruch rechtsextremistischer Gewalt erlebt. Asylbewerberheime brannten, in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen war der Mob unterwegs - und bekam sogar Beifall aus der Mitte der Bevölkerung. Und Fromm verweist auch auf sozialwissenschaftliche Studien, aus denen sich ergibt, dass im Osten 20 Jahre nach der Vereinigung fremdenfeindliche Einstellungsmuster immer noch weiter verbreitet sind als im Westen. Dennoch: Fromm beharrt darauf, dass insbesondere das Kapitel des Rechtsterrorismus nicht erst mit der Zwickauer Zelle beginnt. Die alte Bundesrepublik könne da auf ein trauriges Kapitel Zeitgeschichte zurückblicken. Doch die sei „leider im kollektiven Gedächtnis weit weniger präsent" als die der Rote-Armee-Fraktion (RAF). In den 7oer- und 8oer-Jahren, erinnert Fromm, haben die Wehrsportgruppe Hoffmann, die „Deutschen Aktionsgruppen" eines Manfred Roeder oder die antiamerikanische Hepp-Kexel-Bande Terroranschläge verübt.

„Der Antisemitismus ist im Antizionismus enthalten wie das Gewitter in der Wolke", hatte der Schriftsteller Jean Amey festgestellt. Fromm überträgt das: „Die Gewalt ist im Rechtsextremismus enthalten wie das Gewitter in der Wolke" Und wer über Gewalt redet, so legt es die Rede nahe, darf über die NPD nicht schweigen. So spreche der neue Parteichef Holger Apfel von „seriöser Radikalität" und stelle im gleichen Atemzug die Gleichwertigkeit von Menschen in Abrede. Allerdings hat sich die NPD laut Fromm schon unter dem Apfel-Vorgänger Udo Voigt radikalisiert. „Nach seiner Wahl im Jahr 1996 öffnete der neue Vorsitzende die Partei für Neonazis und reihte sie in das ein, was die Szene ‚nationaler Widerstand' nennt: eine Aktionseinheit von NPD, Neonazis und Skinheads, eine Politik, die die Partei bis heute unvermindert fortsetzt" Es habe sich ein enges Geflecht an Kameradschaften und informellen Zirkeln etabliert, in denen Musik ein wichtiges Medium geworden ist - um fremdenfeindliche und antisemitische Thesen zu popularisieren. Mit der rechten subkulturellen Szene und den diversen Kameradschaften kooperiert die NPD nach Einschätzung von Fromm, weil die Partei „auf die Unterstützung von Neonazis angewiesen ist und etlichen von ihnen Posten und Pfründen verschafft hat".

Auf der Prioritätenliste der Verfassungsschutzämter des Bundes und der Länder gab es dann abrupt eine Verschiebung. Nach den Anschlägen des u. Septembers 2001 kam es zu einer veränderten Schwerpunktsetzung. Fromm verteidigt diese Zäsur, sie war nach seinen Worten „zwingend angesichts der Dimension des transnationalen Terrorismus. Die Bedeutung der Bekämpfung des Rechtsextremismus war uns gleichwohl weiter bewusst." In Weimar führt er nun aus, dass im Verfassungsschutzbericht 2005 auch über Rechtsterrorismus berichtet worden war. Wir waren auf dem rechten Auge nicht blind, soll das wohl heißen.

Als der Verfassungsschutzpräsident vor gut zehn Jahren in sein Amt eingeführt wurde, gab er ein Interview, dessen Inhalt heute brandaktuell erscheint. Der „Welt am Sonntag" sagte er damals: „Terroristische Einzelaktionen schließe ich aber nicht aus. Es gibt Waffen- und Sprengstofffunde in der rechten Szene. Es gibt auch gewisse Ansätze für das Entstehen terroristischer Strukturen." - Drei Monate später begann die Mordserie der Zwickauer Terrorzelle.

Dirk Banse und Uwe Müller