Karl Nolle, MdL

welt-online, 19:14 Uhr, 05.01.2012

Wulff im Faktencheck: Das verbirgt sich hinter der Wahrheit des Präsidenten

Im Interview hat Wulff aus seiner Sicht Klarstellungen vorgenommen. Doch es gibt Ungereimtheiten. "Welt Online" zeigt, an welchen Stellen.
 
Wulff im Interview über die "Bild"-Zeitung: 

"Ich habe nicht versucht, sie zu verhindern. Ich habe darum gebeten, einfach abzuwarten"

DIE FAKTENLAGE:

Am 12. Dezember 2011, so hat die „Bild“-Zeitung bestätigt, hat Wulff, noch auf Reisen in der Golfregion, bei Chefredakteur Kai Diekmann angerufen.

Der war außer Landes, und Wulff hinterließ eine Nachricht auf der Mailbox des Journalisten. Mehrere Minuten soll der Monolog gedauert haben, sehr nachdrücklich und empört sei der Bundespräsident gewesen. Von „Krieg führen“ sei die Rede gewesen und davon, dass der „Rubikon überschritten“ sei. 

Zudem soll Wulff mit strafrechtlichen Konsequenzen gedroht haben, falls ein Beitrag über seinen Kredit veröffentlicht werden sollte. Die „Bild“-Zeitung geht davon aus, dass der Anruf „ganz klar das Ziel hatte, diese Berichterstattung zu unterbinden“, sagte Nikolaus Blome, Leiter des Hauptstadtbüros der Zeitung, im Deutschlandfunk am Mittwoch. Ob der Anruf als Drohung verstanden werden könne oder nicht, sei vielleicht eine Geschmacksfrage, sagte Blome: „Aber klar war das Ziel dieses Anrufes, die Absicht und das Motiv, nämlich: diese Berichterstattung, diesen ersten ,Breaking‘-Bericht über die Finanzierung seines privaten Hauses, zu unterbinden.“

Am Donnerstag erläuterte zudem Diekmann in einem offenen Brief an das Staatsoberhaupt, dass dem Bundespräsidenten entgegen Wulffs Darstellung ohnehin ein Tag Aufschub gewährt worden sei: Am 11. Dezember habe die Zeitung Wulff einen Fragenkatalog zum Kredit übermittelt.

Das Bundespräsidialamt habe die Antworten in Absprache mit der Zeitung einen Tag später geschickt, aber die Antworten kurz vor Redaktionsschluss zurückgezogen.

Wulff im Interview über die "Welt am Sonntag":

"...dann ist es doch normal, dass man darum bittet, noch einmal ein Gespräch zu führen. Und der Redakteur hat sich über die Gelegenheit gefreut, er hat mit mir gesprochen. Und es ist dann nichts zurückgeblieben. Aber dass man die Möglichkeit hat, dort auch darüber ein Gespräch zu führen, ich glaube, das würden Sie doch genauso sehen, wenn solche Dinge, wie sie damals im Raum standen, dann in die Öffentlichkeit gebracht werden.…"

DIE FAKTENLAGE:

Die Zeitung hatte dem Bundespräsidialamt am Donnerstag, den 23. Juni 2011, einen umfangreichen Fragenkatalog übermittelt. Das war drei Tage vor der geplanten Veröffentlichung einer Geschichte zu den Familienverhältnissen von Christian Wulff und wie dieser Privates für seine politische Karriere einsetzte.

Die erbetenen Auskünfte wurden der Redaktion für den nächsten Tag um die Mittagszeit versprochen. Tatsächlich versuchte Wulffs Staatssekretär am Freitag, die Geschichte mit Anrufen in der Chefetage der Zeitung zu verhindern.

Als die Redaktion auf Beantwortung der Fragen insistierte, wurden die erbetenen Informationen gegen 17.30 Uhr übermittelt – entgegen der vorherigen Absprache aber nicht zur Veröffentlichung, sondern ausschließlich als Hintergrundinformationen.

Am Freitagabend schließlich wurde einer der an der Recherche beteiligten Reporter für Samstag zu einem Treffen mit dem Bundespräsidenten ins Schloss Bellevue gebeten. Die Redaktion hat diese Möglichkeit, persönlich mit Wulff zu sprechen, gern angenommen.

Gegen Ende des Gesprächs, das zunächst in angenehmer Atmosphäre stattfand, drohte der Bundespräsident mehrfach und vehement mit unangenehmen Konsequenzen im Falle einer Veröffentlichung. Er werde zum einen eine Pressekonferenz einberufen und dort die „Welt am Sonntag“ öffentlich kritisieren und zum anderen jede Zusammenarbeit mit der „Welt“-Gruppe beenden.

Danach intervenierte Wulff an höchsten Verlagsstellen, darunter beim Vorstandsvorsitzenden. Chefredakteur Jan-Eric Peters entschied trotzdem, die Geschichte zu veröffentlichen. Die angedrohten Sanktionen blieben aus.

Wulff im Interview über Transparenz:

"Und wenn sie 400 scheibchenweise Fragen bekommen, wo sie sich manchmal wirklich fragen müssen, was sich dahinter verbirgt, dann können sie auch nur scheibchenweise antworten. (...) Morgen früh werden meine Anwälte alles ins Internet einstellen. Dann kann jede Bürgerin, jeder Bürger jedes Details zu den Abläufen sehen und sie auch rechtlich bewerten."

DIE FAKTENLAGE:

Das Verfahren, das der Bundespräsident und seine Anwälte gewählt haben, ließ bis zum Interview nur schriftliche Antworten auf schriftliche Anfragen zu. Es bestand keine Möglichkeit, auf missverständliche oder ausweichende Antworten hin unmittelbar nachzufragen.

So blieben heikle Fragen tagelang unbeantwortet. Eines von mehreren Beispielen: Ob der Bundespräsident bereit sei, die BW-Bank vom Bankgeheimnis zu befreien, um die Umstände und Konditionen eines Kredits aufzuklären. Antwort vom 17.12.: „Der Bundespräsident hat die BW-Bank bereits im Wesentlichen vom Bankgeheimnis befreit.“

„Im Wesentlichen“ hieß nicht, dass die Bank Journalisten Auskunft erteilen durfte. „Welt Online“ fragte deshalb noch zweimal nach – beide Male gab es ausweichende Antworten. So kam erst spät heraus, dass Wulff auffallend günstige Bankkonditionen für den Kredit, Zinsen etc. bekommen hat. Der Bundespräsident versprach weiterhin Transparenz, noch einmal im Interview.

Sie sollte so umfassend sein, dass sie als beispielhaft gelten könne. Wer den Satz des Bundespräsidenten, seine Anwälte würden „alles ins Internet einstellen“ so verstand, man könne dort Dokumente finden, die die Kreditvorgänge nachvollziehbar erscheinen ließen, musste enttäuscht sein. Zu finden war eine fünfeinhalb DIN-A4-Seiten umfassende Stellungnahme, die das bisher Bekannte zusammenfasste.

Wulff im Interview über Egon Geerkens:

"Ja, das ist ja nun langsam, finde ich jedenfalls, sehr, sehr klar. Frau Geerkens hat mir das angeboten, hat mir die 500000 Euro zur Verfügung gestellt von ihrem Konto. Ich habe auf ihr Konto die Zinsen gezahlt und auf ihr Konto ist der Betrag von der Bank dann abgelöst worden."

DIE FAKTENLAGE:

Egon Geerkens spielte doch eine Rolle bei der Kreditvergabe an Christian Wulff. Zunächst berichtete der „Spiegel“ kurz nach der Erstveröffentlichung der „Bild“-Zeitung über sein Wirken rund um den Kredit. Demnach hatte Egon Geerkens selbst eingestanden, er sei an den Kreditverhandlungen maßgeblich beteiligt gewesen.

Ein paar Tage später teilte der Anwalt des Bundespräsidenten „Welt Online“ mit, dass „Modalitäten“ zwischen Wulff und dem Ehepaar Geerkens „gemeinsam besprochen“ worden seien, das Darlehen dann aber von Edith Geerkens gewährt wurde.

Damit stellt sich die Frage, ob Wulff im Februar 2010 die Wahrheit gesagt hat, als die Grünen im niedersächsischen Landtag nach geschäftlichen Beziehungen mit Egon Geerkens gefragt hatten. Damals ließ Wulff erklären, dass er mit Geerkens und dessen Firmen „in den letzten zehn Jahren keine geschäftlichen Beziehungen“ unterhalten habe.

Im Interview wurde nicht genauer nach den Beziehungen zu Egon Geerkens gefragt. Tatsächlich kam inzwischen heraus, dass Egon Geerkens in den vergangenen Jahren Wulff dreimal bei offiziellen Auslandsreisen begleitet hatte – in seiner Zeit als Ministerpräsident von Niedersachsen. Wulff legt Wert darauf, dass sein väterlicher Freund Egon Geerkens zu diesen Zeitpunkten kein Unternehmer mehr, sondern Privatperson gewesen sei.

Wulff im Interview über den BW-Kredit:

"Es sind ganz normale übliche Konditionen. Das ist keine Immobilienfinanzierung, keine Hausfinanzierung, sondern es ist eine Kreditmarktbereitstellung. Jeweils immer für drei Monate."

DIE FAKTENLAGE:

Wulffs Kredit war nach Einschätzung mehrerer Banken alles andere als normal. Ein Durchschnittsverdiener jedenfalls finanziert keinen Immobilienkauf über ein Geldmarktdarlehen. Solche rollierenden Kredite sind Unternehmen oder sehr reichen Privatkunden vorbehalten.

Banken sprechen von Leuten mit mehreren Millionen Euro Vermögen und exzellenter Bonität. Denn der Kunde muss in der Lage sein, das Risiko einer kurzfristigen Zinsänderung selbst zu tragen. Im Gegenzug kann man Zinsen sparen. Das kam auch Wulff in den rund 22 Monaten zugute, in denen er das Geldmarktdarlehen nutzte: Nach Berechnungen von „Welt Online“ hat er etwa 26.000 Euro an Zinsen eingespart. Schließlich hätte eine Immobilienfinanzierung mit mehr als zehn Jahren Laufzeit, wie er sie später vereinbart hat, im März 2010 nach Bundesbankstatistiken etwa 4,3 Prozent an Zinsen gekostet – das Geldmarktdarlehen nur 0,9 bis 2,1 Prozent.

Wulffs Aussagen zum neuen, langfristigen BW-Kredit stehen gar im Widerspruch zu Auskünften der Bank. Dieser Vertrag ist nach seiner Darstellung am 25. November 2011 per Handschlag geschlossen worden. Tatsächlich bekommt nach Auskunft mehrerer Banken selbst ein vermögender Kunde allenfalls eine vorbehaltliche Kreditzusage in mündlicher Form, danach muss die interne Risikoprüfung zustimmen.

Die BW-Bank bestätigte „Welt Online“, dass zwar alle Konditionen für den Kredit am 25. November vereinbart worden seien. Der Vertrag kam damit aber noch nicht zustande: „Ein Kreditvertrag mit Verbrauchern bedarf der Schriftform“, heißt es in der Stellungnahme der Bank. Unterschrieben hat Wulff den Vertrag erst am 21. Dezember.

Wulff im Interview über die Reisen:

"Es ist eindeutig kein Verstoß gegen das Ministergesetz, weil – wo ich gewohnt habe, in fast zehn Jahren sechs Mal oder so – das sind Freunde, die ich aus Schulzeiten habe."

DIE FAKTENLAGE:

Die Antwort verengt die Frage der Interviewer auf einen von zwei Aspekten: die Urlaube, die Wulff laut seinen Anwälten auf Einladung bei Freunden verbracht hat. Sechs Urlaube zwischen 2003 und 2010, in Spanien, Italien, auf Norderney und in Florida.

Nach Angaben seines Anwalts bezahlte Wulff dafür nichts. Wulff hat mehrfach betont, dass diese Besuche privater Natur gewesen seien – also nichts mit seinem Amt zu tun gehabt hätten. So wertet er auch den Kredit von Edith Geerkens. Diese Sichtweise hat in den vergangenen Wochen – ungeachtet der rechtlichen Bewertung – einige Fragen aufgeworfen.

Zum Beispiel die, ob der Präsident ausreichend zwischen privaten und dienstlichen Belangen trennt. Denn unter den Freunden, von denen nun die Rede ist, sind viele wohlhabende Unternehmer wie der umstrittene AWD-Gründer Carsten Maschmeyer. Und nicht in jedem Fall handelt es sich um sehr lange Freundschaften.

Was offen bleibt:

Woher kam das Geld für den Privatkredit von Edith Geerkens, gemäß Christian Wulff alleinige Erst-Geldgeberin für das Haus? Laut „Spiegel“, der mit ihrem vermögenden Mann Egon Geerkens sprach, hat Edith Geerkens kein eigenes Vermögen in die Ehe gebracht und bald nach der Hochzeit aufgehört zu arbeiten.
Wie könnte sie dann aus eigener Kraft eine halbe Million Euro aufbringen? Der Argwohn wuchs, als ihr Mann dem „Spiegel“ sagte, das Geld sei per anonymisierten Bundesbankscheck gezahlt worden, damit man in Osnabrück nicht merke, dass „so viel Geld von mir an Wulff fließt“. Von „mir“, nicht „von meiner Frau“.

Auf die Frage, woher seine Frau so viel Geld habe, sagte er dem „Focus“: „Das geht niemanden etwas an.“ Der „Spiegel“ schrieb, Egon Geerkens habe für alle Konten seiner Frau Vollmacht. Dazu teilten Wulffs Anwälte „Welt Online“ mit Blick auf das Osnabrücker Konto sibyllinisch mit: „Über die dortige Vollmachtslage bestehen keine Kenntnisse.“

Unklar ist auch, warum Wulff bei der BW-Bank sofort „gehobener Privatkunde“ war. Zuerst sagte die Bank „Welt Online“, das sei „nach der hier vorliegenden Kredithöhe“ erfolgt. Später präzisierte sie, die Einstufung beruhe „auf den wirtschaftlichen Verhältnissen, den persönlichen und wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten“.

Tags darauf ergänzte sie, die Aussage zu den Entwicklungsmöglichkeiten „bezieht sich nicht konkret auf Herrn Wulff“.

Aufgezeichnet von Manuel Bewarder, Sebastian Jost, Torsten Krauel, Uwe Müller und Marc Neller.