Karl Nolle, MdL

DNN, 13.01.2012

Die Befangenheit des Befangenheitsantrags

Am Amtsgericht Dresden wurde fast acht Stunden verhandelt - aber nicht wie geplant zum Sachsensumpf
 
Dresden (DNN). Von 9 bis 16.50 Uhr Prozess - das hört sich nach einer intensiven und inhaltsreichen Verhandlung an. Intensiv ja, inhaltsreich nein: Staatsanwalt Christian Kohle kam gestern im Saal 14 des Amtsgerichts Dresden nicht mal dazu, die Anklageschrift zu verlesen. Und die Fans des schriftstellernden Strafverteidigers Ferdinand von Schirach wurden auch bitter enttäuscht: Der Meister der kurzen Sätze stand zwar auf dem Zettel, aber er schickte einen Kollegen aus Berlin.

Insgesamt drei Anwälte aus der Hauptstadt als Verteidiger in einer Strafrichter-Sache am Amtsgericht, das muss ein außergewöhnlicher Fall sein - und das ist er auch: Seit gestern muss sich ein früherer leitender Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz Sachsen (LfV) wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses verantworten. Der 42-Jährige soll laut Anklage 2006 aus Verärgerung über die Auflösung seines Referates brisante Unterlagen an den Schriftsteller Jürgen Roth übergeben haben. Roth habe das Material für sein fundamentales Werk „Anklage unerwünscht" genutzt - es erschien 2007 und war die Mutter aller Sachsensümpfe, gewissermaßen. Zumindest löste das Elaborat eine mittelschwere Freistaatskrise aus. Der Vorwurf, flächendeckend hätten korruptive Netzwerke die Macht an sich gerissen, wurde später von der Generalstaatsanwaltschaft Sachsen für widerlegt erklärt.

Der Wind drehte sich und plötzlich wurden die strafverfolgt, die den Sachsensumpf erfunden hatten - Mitarbeiter des LfV, Journalisten, Prostituierte, die namhafte Juristen als Freier erkannt haben wollten. Neben dem LfV-Mitarbeiter sitzt seine Ehefrau auf der Anklagebank. Sie soll ihn beim Erstellen einer fingierten Zeugenaussage unterstützt haben, indem sie seine Vorgaben in ihrer. Handschrift abschrieb.

Neben den Beschuldigten sitzen drei Anwälte, die mindestens ebenso kreativ sind wie ihr berühmter Kollege von Schirach. Noch bevor Richter Ulrich Stein die Personalien der Beschuldigten erfragen konnte, feuerte Christian Noll einen Befangenheitsantrag ab. Stein könne den Prozess nicht führen, weil er auch in der Zeit Richter war, als Norbert Röger das Amtsgericht als Direktor leitete. Röger zählte zu den Hauptbeschuldigten im Sachsensumpf, die Liste seiner vermeintlichen Missetaten reicht von Strafvereitelung bis Kindsmissbrauch. Sein Mandant stehe unter dem Verdacht, Röger falsch beschuldigt zu haben, so Noll. Röger habe also ein großes Interesse am Ausgang des Verfahrens. Deshalb sei Rögers früherer Untergebener Stein befangen.

Stein übergab die Sache an die für das Ablehnungsgesuch zuständige Richterin Birgit Keeve, doch auch sie kam nicht weit. Noll feuerte seinen zweiten Befangenheitsantrag ab, weil Keeve als Pressesprecherin des Amtsgerichtes Rögers Sprachrohr gewesen sei. Von ihr sei eine unabhängige Befassung mit dem Befangenheitsantrag nicht zu erwarten, so der Anwalt. Über den Befangenheitsantrag des Befangenheitsantrags muss nun Richterin Susanne Burbach-Wieth befinden, aber da war es 16.50 Uhr und Stein brach den Prozess ab.

Burbach-Wieth war übrigens auch Richterin am Amtsgericht, als Röger -mittlerweile Präsident des Landgerichts Chemnitz - Präsident war. Es dürfte dauern, bis ein Richter an der Reihe ist, der Röger nur vom Hörensagen kennt. Der Prozess wird fortgesetzt.

Thomas Baumann-Hartwig