Karl Nolle, MdL

spiegel-online.de, 13:44 Uhr, 13.03.2012

NSU-Mitglied Beate Zschäpe - In Mandys Namen

 
Mandy S. ist 36 Jahre alt, Friseurin, lebt im Erzgebirge. Sie ist die Frau, deren Identität die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe annahm - über Jahre hatte sie Kontakt zu den Mitgliedern der Zwickauer Terrorzelle. Ermittler haben sie befragt, aber nicht festgenommen.

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Hamburg - Die Scheußlichkeit und Menschenverachtung, mit der sie vorgingen, erinnerten an die "düstersten Zeiten der deutschen Geschichte". Mit diesen Worten schickte ein Richter des Landgerichts Amberg im April 1998 Richard L. und Dieter M. wegen Totschlags für zwölf und acht Jahre in Haft. Die beiden Skinheads hatten in der Nacht zum 7. September 1995 im bayerischen Amberg einen Busfahrer mit ihren Springerstiefeln halb tot getreten und in die Vils geworfen. Der 48-Jährige ertrank. Sie wollten dem homosexuellen Mann einen "Denkzettel verpassen".

Mandy S. hat Verständnis für die Totschläger und beginnt, Richard L. Briefe ins Gefängnis zu schreiben. Sie engagiert sich für die rechtsextremistische "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige" (HNG). Die HNG war bis zu ihrem Verbot im September 2011 eine der mitgliederstärksten rechtsextremen Organisationen Deutschlands, die verurteilte Straftäter mit einschlägiger Gesinnung während und nach ihrer Haft betreute.

Mandy S., im Juni 1975 in Erlabrunn geboren und in Johanngeorgenstadt im Erzgebirge aufgewachsen, zieht 1997 nach Chemnitz und findet dort in der rechten Szene schnell Anschluss. Sie lernt Max Florian B. kennen, drei Jahre jünger als sie, die beiden werden ein Paar. Dem jungen Steinmetz-Lehrling imponiert die rechte Gesinnung seiner Freundin. Die Frau mit den gefärbten Haaren hat in der Beziehung das Sagen.

An einem Tag im Februar 1998 bittet sie ihn, "Kameraden, die Scheiße gebaut haben", aufzunehmen. Er sei ja ohnehin immer bei ihr in der Wohnung. So finden die untergetauchten Neonazis Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die per Haftbefehl gesucht werden, 1998 in B.s Wohnung in der Limbacher Straße Unterschlupf. Zwei Monate leben sie dort. Kurz darauf trennt sich Mandy S. von Max Florian B., er muss zurück in seine Wohnung. Nur deshalb habe er dem Trio geholfen, eine eigene Wohnung zu finden, sagt der 33-Jährige nun.

Beate Zschäpe nimmt zeitweise die Identität von Mandy S. an

Aber auch Mandy S. lässt die Kameraden nicht hängen. Sie soll Zschäpe, die ihr ähnelt, ihren Personalausweis zur Verfügung gestellt haben. Die beiden kennen sich bereits von rechten Aufmärschen. Laut Bundesamt für Verfassungsschutz skandierten sie gemeinsam im Januar 1998 in Dresden bei einer Demonstration gegen die sogenannte Wehrmachtsausstellung und trugen ein Transparent mit der Aufschrift "Nationalismus - eine Idee sucht Handelnde" vor sich her.

Beate Zschäpe nimmt zeitweise die Identität ihrer Gesinnungsgenossin an. Sie sitzt zurzeit in U-Haft, laut Bundesanwaltschaft steht sie im Verdacht, einer terroristischen Vereinigung angehört zu haben.

In der abgebrannten Wohnung des Terror-Trios fanden Ermittler zwei Mitgliedsausweise, für den Tennisclub Großgündlach und für einen Tennisverein in Ehlershausen, außerdem zwei Impfpässe für die beiden Katzen, die in der Wohnung der mutmaßlichen Terroristen lebten - alle ausgestellt auf den Namen Mandy S. Insgesamt soll sich Beate Zschäpe in 14 Jahren im Untergrund neun Namen zugelegt haben, unter denen sie in der Öffentlichkeit auftrat.

Mandy S. mischt Weggefährten zufolge Ende der neunziger Jahre in der "Blood & Honour"-Szene, Sektion Sachsen, mit. Dort lernt sie auch Jan W. kennen, führendes Mitglied in der inzwischen verbotenen Neonazi-Organisation, der auch in Chemnitz wohnt. Jan W. gilt als Größe in der braunen Musikszene, weil er Tonträger der umstrittenen Band Landser unter Neonazis bringt und verkauft. Im Jahr 2005 wird die Band vom Bundesgerichtshof als kriminelle Vereinigung eingestuft.

Zeitweise wird das Haus in Chemnitz, in dem Mandy S. wohnt, überwacht. Laut Ermittlungsakten sollen ihr Zschäpe und Böhnhardt am 29. September 2000 einen Besuch abgestattet oder zumindest ihre Wohnung aufgesucht haben.

Jeder Kontakt von Außenstehenden zu der Zelle wird derzeit überprüft. Nach Informationen der ARD hatte der stellvertretende NPD-Bundesvorsitzende und Thüringer Landeschef Frank Schwerdt über Jahre enge Kontakte zu mehreren mutmaßlichen Mitgliedern und Helfern des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU): Uwe Mundlos habe beispielsweise Ende der neunziger Jahre mindestens einmal für ihn als Fahrer gearbeitet. Mit Beate Zschäpe war Schwerdt laut ARD am 17. Januar 1998 bei einer Demonstration in Erfurt, zehn Tage später tauchten Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt in den Untergrund ab.

Mandy S. setzen die fortlaufenden Ermittlungen zu

Inzwischen arbeitet Mandy S. als Friseurin in Schwarzenberg, einer Kleinstadt im sächsischen Erzgebirgskreis. Sie ist Filialleiterin einer Salon-Kette. Ihre Mitarbeiter schirmen die mutmaßliche NSU-Unterstützerin ab, wimmeln Anfragen ab. "Das sind halt Jugendsünden", sagt eine, "jeder hat doch eine Leiche im Keller."

Mandy S. setzten die fortlaufenden Ermittlungen zu, die 36-Jährige habe rapide abgenommen, Angst vor dem Gefängnis und Sorge um ihre vier Jahre alte Tochter, die sie alleine großziehe, sagt die Arbeitskollegin. Mehrfach habe sie in ihrem Bekanntenkreis beteuert, nichts von der Mordserie gewusst zu haben. In Schwarzenberg stehe man hinter ihr. Mandy S. selbst sagte der Zeitung "Die Welt": "Ich bin nicht die geheimnisvolle Terrorhelferin im Hintergrund." Gegenüber SPIEGEL ONLINE wollte sie sich nicht äußern.

Im Jahr 2005 sei sie ausgestiegen, behauptet Mandy S. Weggefährten von damals berichten, dass sie eng mit Thomas G., einem berüchtigten Neonazi aus Meuselwitz bei Altenburg in Ostthüringen, befreundet gewesen sei. Dieser wiederum pflegt engen Kontakt mit den Thüringer NPD-Mitgliedern André K. und dem zurzeit inhaftierten Ralf Wohlleben. Ihm und den ebenfalls Inhaftierten Carsten S. und Holger G. wirft der Generalbundesanwalt Beihilfe zum mehrfachen Mord vor. Allen anderen Verdächtigen, ob sie in Haft sitzen oder nicht, wird Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen, wie Marcus Köhler, Sprecher der Bundesanwaltschaft, erklärte.

Thomas G. organisierte mit Wohlleben das "Fest der Völker", eine bekannte Neonazi-Veranstaltung, und baute das sogenannte Freie Netz auf, einen Zusammenschluss militanter Kameradschaften aus Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Auch Thomas G. bediente sich jahrelang der Identität der Friseurin aus Schwarzenberg und soll unter dem Decknamen Mandy S. in einschlägigen Foren unterwegs gewesen sein.

Bei einer Razzia des Bundeskriminalamts und der Bundesanwaltschaft im vergangenen Jahr wurde auch die Wohnung von Mandy S. durchsucht. Es war der dritte Advent, vier Uhr in der Früh. Nach einer Mitteilung des sächsischen Verfassungsschutzes leitete die Behörde nur kurze Zeit später einen "operativen Vorgang" zu Mandy S. ein. Zuvor wurde sie vom Landeskriminalamt Thüringen befragt und habe sich einem Vermerk zufolge "kooperativ gezeigt".

"Sie hat Kontakte vermittelt und war bestens organisiert"

Bereits zehn Jahre zuvor, am 29. Januar 2001, so steht es in den Unterlagen des Bundesamts für Verfassungsschutz, haben Ermittler des sächsischen Verfassungsschutzes mit Mandy S. ein Informationsgespräch geführt, in dessen Verlauf sie versuchte, den Eindruck zu erwecken, sie habe sich von der rechtsextremistischen Szene abgewandt. Weitere Kontakte mit der Behörde habe sie abgelehnt, da sie nicht gewillt sei, Leute "zu verraten".

Zu aktuellen Ermittlungen im Fall Mandy S. wollte sich Köhler nicht äußern.

Letztlich bleibt die Frage, ob ihre Form der Unterstützung überhaupt nachzuweisen ist oder für eine Anklage ausreicht. Wie lange hatte Mandy S. Kontakt zu dem untergetauchten Trio? Gehörte sie zu den regelmäßigen Besuchern, die nach Zwickau in die Frühlingsstraße kamen, wo die drei jahrelang wohnten?

Nach dem Thüringer Landtag und dem Deutschen Bundestag hat nun auch der Sächsische Landtag einen Untersuchungsausschuss berufen, der die Verbrechen des NSU prüfen und mögliche Fehler von Landesregierung und Behörden bei den Ermittlungen untersuchen soll.

Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die Frage, warum das Trio so viele Jahre in Sachsen untertauchen konnte. Anhänger der Fraktion die Linke wollen Mandy S. als erste Zeugin laden. Volkmar Wölk, Mitarbeiter der Landtagsabgeordneten Kerstin Köditz, sagt: "Sie hat Kontakte vermittelt und war bestens organisiert."

Von Julia Jüttner
Mitarbeit: Jörg Diehl