Karl Nolle, MdL
DIE ZEIT, 22.3.2012 Nr. 13, 23.03.2012
Kabinett Sachsen "Dramatische Lage"
Regierung ohne Richtung? Am Dienstag trat Kultusminister Roland Wöller zurück. CDU-Mann Thomas Colditz über die aktuelle Krise
DIE ZEIT: Herr Colditz, Sie sitzen seit 1990 für die CDU (als Bildungsexperte) im Landtag. Was erleben wir gerade?
Thomas Colditz: Ich habe die Nachwendezeit miterlebt, in der wir vieles durchgestanden haben. Und nun so eine Orientierungslosigkeit, Hilflosigkeit, Ignoranz? Habe ich noch nie erlebt. Die Politik dieser Staatsregierung ist nicht zielführend.
ZEIT: Der Kultusminister ist zurückgetreten.
Colditz: Wir reden seit Monaten, dass uns bis 2020 etwa 8.000 Lehrer verloren gehen. Wir kennen die Wege zur Lösung. Aber hier und heute haben wir ausschließlich ein internes Problem.
ZEIT: Der Reihe nach: Am Dienstag hat der Ministerpräsident zunächst den verantwortlichen Staatssekretär entlassen – und dem Minister einen Teil seiner Zuständigkeiten entzogen. Daraufhin ist Roland Wöller zurückgetreten.
Colditz: Man hat versucht, Wöller zu demütigen. Und es ist ja wahr: Er hat schwere Fehler begangen. Aber man hat sich jetzt des Ministers entledigt, nicht des Problems.
ZEIT: Eine Machtprobe zwischen Finanz- und Kultusminister?
Colditz: Auch eine Machtprobe zwischen Regierungschef und Kultusminister. Ein Machtkampf in der Regierung, ob man dem Sparzwang wirklich alles unterordnen darf. Die Regierung ist in dieser Frage unberechenbar geworden. Sie zeigt Orientierungslosigkeit bei einem Thema, das hochsensibel ist. Wir sind in einer dramatischen Gefechtslage.
ZEIT: Es geht nur noch ums Sparen?
Colditz: Es ist mir nicht egal, wie hoch und ob wir uns verschulden. Aber es gibt keine Sachdiskussion mehr. Es werden Zahlen umgedeutet und hingebogen. Wenn die Regierung nicht mehr bereit ist, die Sachlichkeit zum Argument zu machen, dann fährt man gegen die Wand. Wir betreiben ein Finanzdiktat.
ZEIT: Sachsen ist so stolz auf seine Finanzpolitik.
Colditz: Ich glaube nicht, dass es zum Ansehen Sachsens beiträgt, Musterknabe der Haushaltspolitik zu sein, wenn dafür die Bildung vernachlässigt wird. Die Pisa-Erfolge, die Bertelsmann-Studie, all das basiert auf Daten der Vergangenheit. Die Gegenwart ist erschreckend. Damit verbauen wir uns gerade die Zukunft.
ZEIT: Verzehrt die Regierung Tillich das Erbe der Ära Biedenkopf und Milbradt?
Colditz: Die Staatsregierung hat keine Visionen mehr, keine Pläne für die Zukunft. Wenn die einzige Vision darin besteht, das Verschuldungsverbot in die Verfassung zu schreiben; wenn man dem Wahn erliegt, im Jahr 2020 Geberland im Finanzausgleich sein zu wollen – dann fehlt mir dafür jedes Verständnis. Was ist es, das Sachsen politisch groß gemacht hat? Das vergessen die hier doch! Es ist sträflich, jetzt alles infrage zu stellen.
ZEIT: Wohin führt das?
Colditz: So eine Politik ist eine Ursache für Politikverdrossenheit im Land. Die Uneinsichtigkeit des Finanzministers ist der Gipfel der Unverfrorenheit. Manchmal frage ich mich, ob ich lachen sollte.
ZEIT: Sehnen Sie die Zeit von Biedenkopf und Milbradt zurück?
Colditz: Das muss ich schon sagen. Ich muss von einer Regierung ordentliche Politik erwarten dürfen. Dafür braucht sie aber auch Format. Wir haben 20 Jahre dieses Land mit aufgebaut. Wir haben auch nicht alles falsch gemacht. Wenn ich nun zuschauen muss, wie mit Dilettantismus und Arroganz all das infrage gestellt wird, blutet mir das Herz.
ZEIT: Sie wirken sehr entschlossen.
Colditz: Ich werde meine Überzeugungen so lange thematisieren, bis es der Letzte begriffen hat.
ZEIT: Der Ministerpräsident beruhigt sich mit guten Umfragewerten.
Colditz: Sie sind süßes Gift. Ich hätte mir fast gewünscht, wir hätten uns stärker beweisen müssen. Statt immer zu behaupten, dass wir die Größten sind. Aber ich sage Ihnen, das wird registriert werden im Volk. Wir werden die 43 Prozent nicht durchtragen bis 2014, wenn das hier so weitergeht.
ZEIT: Ist Herr Tillich selbst in Gefahr?
Colditz: Eine Regierungskrise haben wir wohl langsam.
Von: Martin Machowecz
Quelle: DIE ZEIT, 22.3.2012 Nr. 13
Adresse: http://www.zeit.de/2012/13/S-Ruecktritt-Kultusminister/komplettansicht