Karl Nolle, MdL
Süddeutsche Zeitung, 03.04.2012
V-Leute in NPD-Führungsgremien - Verfassungsschützer halten noch Kontakt zu ihren Spitzeln
Man könne die Informanten nicht einfach "von heute auf morgen vor die Tür setzen", heißt es beim Verfassungsschutz: V-Leute aus der NPD-Spitze bleiben vorerst mit den Behörden in Kontakt. Das Ende der Zusammenarbeit müsse "abgefedert" werden - womit offenbar auch letzte Honorare oder Abfindungen gemeint sein können.
Im Vorstand der NPD sind sie in Zukunft vor "Anquatschversuchen" sicher. So nennen es die Rechtsextremisten, wenn Beamte des Verfassungsschutzes sie ansprechen, um sie als Spitzel anzuwerben. Seit diesem Montag gibt es nach einem Beschluss der Innenminister keine V-Leute mehr in den Führungsgremien der NPD. Allerdings brechen die Behörden den Kontakt zu ihren alten "Vertrauensleuten" nicht abrupt ab. Im Zuge sogenannter Nachsorge werden noch Treffen mit ehemaligen V-Leuten stattfinden. Dabei prüfen Beamte, ob eine Gefährdung für die ehemaligen Informanten besteht, sie beispielsweise als Verräter verdächtigt oder bedroht werden. Es bestehe eine "Schutzpflicht", sagt die Sprecherin des niedersächsischen Verfassungsschutzes, Maren Brandenburger.
Man könne die Informanten nicht einfach "von heute auf morgen vor die Tür setzen", heißt es beim Verfassungsschutz eines anderen Bundeslandes. Das Ende der Zusammenarbeit müsse "abgefedert" werden - womit offenbar auch letzte Honorare oder Abfindungen gemeint sein können. Für die Spitzel sind die Zahlungen oft der entscheidende Grund, warum sie sich auf die Zusammenarbeit mit dem Staat eingelassen haben. Einige V-Leute, wie der später in Thüringen enttarnte Tino B., haben in der Vergangenheit beachtliche Summen kassiert.
In der Regel, beteuern Verfassungsschützer, gehe es bei V-Leuten um Honorare von allenfalls ein paar Hundert Euro im Monat. Es dürfe "keine existenzielle Abhängigkeit" entstehen, sagt Maren Brandenburger. Viele Beamte waren entsetzt, als sie hörten, dass Tino B. Ende der neunziger Jahre insgesamt 200.000 Mark bekommen haben soll.
Bundesweit soll der Verfassungsschutz zuletzt 130 Spitzel in der NPD gehabt haben, davon etwa 20 in den Bundes- und Landesvorständen. Die Behörden kommentieren diese Zahlen nicht. Und sie betonen, dass auch in Zukunft V-Leute in der rechtsextremen Szene und in der NPD eingesetzt würden.
Kritiker des Verfassungsschutzes wie Klaus Hahnzog (SPD), Mitglied des bayerischen Verfassungsgerichtshofs, fordern einen vollständigen Verzicht auf V-Leute. Es sei zudem nicht zu erklären, sagt Hahnzog, weshalb das Abhören von Telefonaten von einer unabhängigen Kommission genehmigt werden müsse, nicht aber der Einsatz eines V-Mannes.
"Wir sollen alles wissen, aber nichts dürfen"
Verfassungsschützer warnen dagegen davor, ohne V-Leute zu arbeiten. "Wir sollen alles wissen, aber nichts dürfen", klagt ein Beamter. Ein anderer sagt, verdeckte Ermittler, also Beamte, einzuschleusen, gehe nur langfristig, sei sehr riskant und oft gar nicht möglich, weil sie keinen glaubwürdigen Zugang zur Szene fänden. Deshalb sei man auf Informanten aus der Szene selbst angewiesen. Und dafür müsse in Kauf genommen werden, dass V-Leute "komplizierte" Menschen seien. Mitunter muss der Beamte, der einen V-Mann "führt", wie es im Jargon der Geheimdienste heißt, seinen Informanten von unbedachten Aktionen abhalten. Manchmal erinnere ihn die Arbeit an die Tätigkeit eines Sozialpädagogen, sagt ein Beamter. Drogenprobleme, Ärger mit der Familie, misstrauische Kameraden, eine extreme Gesinnung - V-Leute sind keine einfache Klientel.
In der NPD äußert man Zweifel daran, dass die früheren V-Leute in den Vorständen tatsächlich nicht mehr für den Staat spionieren werden. "Wer will das kontrollieren?", fragt Parteisprecher Frank Franz. Er kündigt an, solche Zweifel werde die Partei auch in einem etwaigen Verbotsverfahren vor Gericht vorbringen. Zunächst müsse man in der Partei aber gelassen bleiben und "Ruhe bewahren". Derzeit wird bei Rechtsextremisten wild spekuliert, wer nun die Spitzel in den Vorständen waren. Die ehemaligen V-Leute werden sicher versuchen, sich nichts anmerken zu lassen.
Von Tanjev Schultz