Karl Nolle, MdL
spiegel-online, 19:13 Uhr, 07.06.2012
Haftbefehl gegen Neonazis - Braune Kameraden
Nach einer großangelegten Razzia in Thüringen sitzen die Neonazis Steffen R. und Marco Z. in U-Haft. Das Landeskriminalamt hat Hinweise, dass die beiden eine "schwere staatsgefährdende Gewalttat" vorbereiteten. Wer sind die beiden Männer?
Im Morgengrauen, ohne großes Aufsehen, nahm eine Spezialeinheit des Bundeskriminalamts am 29. November 2011 Ralf Wohlleben fest. Der ehemalige NPD-Funktionär soll laut Bundesanwaltschaft den "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) unterstützt und den Rechtsterroristen Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt eine Waffe und Munition verschafft haben.
Seine Festnahme brachte wenige Tage später ein weiteres Ermittlungsverfahren ins Rollen, das nun am Mittwoch zu einer groß angelegten Razzia in Thüringen und zu zwei Festnahmen führte: Die Neonazis Steffen R., 28, und Marco Z., 34, sitzen in Untersuchungshaft wegen "Straftatvorbereiten einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat".
Das Landeskriminalamt hat Hinweise, dass das Trio einen Anschlag geplant hat, Details halten die Ermittler vorerst zurück. "Wir wollen das weitere Verfahren nicht gefährden", sagt Staatsanwalt Jens Wörmann.
Steffen R. und Marco Z. verkehren seit vielen Jahren in der Szene und pflegen engen Kontakt zur NPD. Steffen R., wohnhaft in Saalfeld, kandidierte 2009 bei der Thüringer Landtagswahl für die rechtsextreme Partei und organisierte im Jahr 2010 in Pößneck den 9. Thüringentag der nationalen Jugend. Engen Kontakt unterhielt er bis vor kurzem auch zu Wohlleben. Es gebe bislang keine "offiziellen Nachweise", dass Steffen R. und Marco Z. in Verbindung mit dem NSU oder seinen Unterstützern standen, sagt Wörmann. Aber: "Ausschließen können wir es im Moment nicht."
Steffen R. wurde am Mittwoch in Nürnberg gefasst, wo er sich aus beruflichen Gründen aufhielt. Ins Visier der Ermittler soll er durch einen Vorfall geraten sein, der sich im Juli 2010 abspielte. Unbekannte hatten einen Anschlag auf ein Fahrzeug der Linken-Landtagsabgeordneten Katharina König aus Jena geplant. Zur Aufklärung wurde die Soko "Feuerball" gegründet, die gegen mehrere Mitglieder der rechten Szene ermittelte und deren Handys abhörte. Auch im Visier der Ermittler: Steffen R.
Als Teenager in der Neonazi-Szene
Im September 2010 besuchte Steffen R. mit anderen Kameraden im sächsischen Hausdorf eine Veranstaltung von Karl-Heinz Hoffmann. Der Chef der nach ihm benannten und 1980 verbotenen rechtsextremistischen Wehrsportgruppe Hoffmann gilt unter Neonazis als Idol. Steffen R. fuhr mit Gleichgesinnten im Auto zurück - darunter André K. und Holger G., der im Verdacht stand, den NSU unterstützt zu haben, aber kürzlich aus der U-Haft entlassen wurde.
Steffen R. telefonierte mit seinem Handy, sagte sinngemäß: "Hat das mit der Bauanleitung und dem C4 geklappt?" C4 ist das Kürzel für einen hochexplosiven Plastiksprengstoff. Die Fahnder der Soko "Feuerball" waren alarmiert, sie vermuteten, die rechte Szene horte Sprengstoff oder sei im Besitz von Anleitungen für den Bau von Bomben. Es folgte eine Razzia am Morgen des 6. Oktober 2010, 16 Einrichtungen wurden durchsucht - darunter auch das sogenannte Braune Haus in Jena, einer der bekanntesten Neonazi-Treffen in Deutschland. Obwohl das Verfahren auf eine Einstellung hinauslief, legten die mutmaßlichen Täter Beschwerde ein. Derzeit liegt das Verfahren bei einer Beschwerdekammer des Landgerichts Gera.
Die Frage damals am Handy sei ein Scherz gewesen, sagt Hendrik Lippold, Rechtsanwalt von Steffen R. Sein Mandant habe genau gewusst, dass sein Handy überwacht werde. Die Clique habe sich damals öfter solche Witze erlaubt.
Auch auf dem Handy von Steffen R.: Das Foto einer Ceska Modell 1924 und mehrere Kurznachrichten, in denen es um Waffen geht. Grund für die Festnahme am Mittwoch ist angeblich: Eine Vertrauensperson soll in den vergangenen Monaten den Tipp gegeben haben, Steffen R. handele mit Waffen. Sein Rechtsanwalt gibt sich jedoch zuversichtlich, dass sich der dringende Tatverdacht - auch soweit er den Vorwurf der Vorbereitung einer schweren stattsgefährdenden Gewalttat betrifft - nicht halten lassen wird.
Vor dem Haftrichter haben Steffen R. und Marco Z. bestritten, einen größeren Anschlag geplant zu haben, und jede Schuld von sich gewiesen, wie ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Gera erklärte.
Steffen R. mischte bereits mit 12, 13 Jahren mit im braunen Milieu. Inzwischen ist er Chef des Kaders "Freies Netz Saalfeld", organisiert Aufmärsche, zuletzt im vergangenen März. Gibt es in Thüringen Auseinandersetzungen mit politischen Gegnern zeigt sich der eher hagere R. gern in der ersten Reihe, wenn er auch nicht den Ruf des klassischen rechten Gewalttäters hat. Er saß bereits im Gefängnis wegen Betrugs und Diebstahls, einen Eintrag ins Strafregister hat er wegen einer Tätowierung, die er zur Schau stellte, und somit gegen das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verstieß.
In der Thüringer Neonazi-Musik- und Vertriebsszene hat sich der 28-Jährige nach oben gearbeitet: Er soll zahlreiche Rechtsrock-Konzerte organisiert und Kleidung, Tonträger und Devotionalien vertrieben haben. Zuletzt unterhielt er gemeinsam mit dem Neonazi Fabian K. aus Apolda einen Vertrieb für neonazistische Devotionalien unter dem Label "Frontschweine-records" bzw. "Strikebackshop".
"Dass Steffen R. nun beschuldigt wird, mit illegalen Waffen zu hantieren, verwundert nicht", sagt Katharina König, die Linken-Politikerin. "Die aktuellen Vorwürfe fügen sich nahtlos in die bisherige Laufbahn des Neonazis zwischen gewalttätigen Übergriffen, dubiosen Geschäftspraktiken durch rechte Szeneläden und getarnten Neonazi-Konzerten ein."
Bei der Razzia: "Der übliche Kram"
Ebenfalls in U-Haft sitzt seit Mittwoch Marco Z. aus Crawinkel, einer 1500-Einwohner-Gemeinde nahe Gotha. Der 34-Jährige, einschlägig vorbestraft und ebenfalls schon einmal inhaftiert, gehört zu den langjährigen Mitgliedern der thüringischen Neonazi-Szene.
Erst Ende vergangenen Jahres hat er in Crawinkel ein Haus gekauft, das er zum Nazitreff umfunktionierte. Der Name: "Hausgemeinschaft Jonastal". Abkürzung: HJ. Die Initialen sind identisch mit denen der "Hitlerjugend" oder "Hitler-Jugend", die Jugend- und Nachwuchsorganisation der NSDAP. In der HJ veranstaltet Marco Z. Konzerte rechtsextremer Bands, teilweise versammeln sich dort mehr als hundert Neonazis.
Zuletzt lud Marco Z. zu einem Kinderfest ein, bei dem sich "Erwachsene ein eigenes Bild fernab von Pressehetze oder politischer vorgeschriebener Correctness machen könnten". Auf dem Account, mit dem er diese Zeile schrieb, soll er im Profilbild neben einer lebensgroßen Wachsfigur Adolf Hitlers posiert haben, berichtet "Haskala", das Jugend- und Wahlkreisbüro von Katharina König.
Marco Z. engagierte sich in der "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene e.V." (HGN) - so tat es auch Mandy S., die im Rahmen der NSU-Ermittlungen ins Visier der Fahnder geriet.
Marco Z. und Steffen R. kennen sich durch die Szene, gelten aber nicht als eng miteinander vertraut. Ihre Verfahren werden unter getrennten Aktenzeichen geführt. Thomas Jauch, ein bekannter Anwalt der rechten Szene, vertritt Marco Z. und wollte sich vor der Akteneinsicht nicht zum aktuellen Verfahren äußern.
Bei der Razzia am Mittwoch sei in den zehn Objekten gezielt nach illegalen Waffen gesucht worden, sagt Staatsanwalt Wörmann. Gefunden aber habe man nur "den üblichen Kram, den man bei diesem Klientel findet" - Hieb-, Stoß-, Schuss- und Stichwaffen, die nun von Experten des Landeskriminalamts untersucht werden.
In Jena wurde das sogenannte Braune Haus durchsucht, Ermittler vermuteten, dass in die Mauern und Böden des Gebäudes Waffen einzementiert sind. Wände und Böden wurden aufgestemmt, doch gefunden wurde nichts.
Die Razzia im Gebäude des Nazitreffpunkts rückt auch den Pächter in den Vordergrund: Maximilian L. Er gilt als einer der aktivsten neonazistischen Liedermacher, und tritt bei großen Neonazi-Treffen auf. Maximilian L. ist ein enger Kamerad von Ralf Wohlleben und André K. Zu dritt wohnten sie eine Zeitlang im Braunen Haus. Alle drei waren auch Mitglieder im Thüringer Heimatschutz - wie Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.
Von Julia Jüttner