Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 12.07.2012
Akten-Panne beim Verfassungsschutz wirft neue Fragen auf
Die Akten-Panne beim Verfassungsschutz in Sachsen dominiert weiter die politische Debatte im Freistaat. Geheimdienst-Kontrolleure des Landtages trafen sich in einem abhörsicheren Raum.
Dresden. Die Linken im Landtag von Sachsen sehen nach der Akten-Panne beim Landesamt für Verfassungsschutz das Vertrauen in den Geheimdienst irreparabel gestört. Fraktionschef André Hahn hinterfragte am Donnerstag die Wirksamkeit parlamentarischer Kontrolle. „Wir können nur das bewerten, was man uns zeigt“, sagte Hahn im Anschluss an eine Sondersitzung der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) im Landtag. Wenn immer wieder neues Material bekanntwerde, sei kein Vertrauensverhältnis mehr möglich.
Am Vortag waren im Landesamt überraschend neue Akten aufgetaucht, die einen Bezug zum möglichen Unterstützerumfeld der Zwickauer Terrorzelle haben. Sie betreffen eine Telefonüberwachung aus dem Jahr 1998 und waren nach Medienberichten gegen ein Mitglied des Neonazi-Netzwerkes „Blood & Honour“ gerichtet. Bislang hatte Sachsen immer beteuert, alle Unterlagen den zuständigen Gremien und Behörden zugeleitet zu haben.
"Es gibt Fragen im Dutzend"
Als Konsequenz aus der Panne gibt der sächsische Geheimdienstchef Reinhard Boos zum 1. August sein Amt auf. Damit scheidet nach dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, und dem Thüringer Amtschef Thomas Sippel bereits die dritte Führungsperson beim Verfassungsschutz aus. Hahn zufolge ergeben sich nach einer ersten Durchsicht der Akten neue Fragen. „Es gibt Fragen im Dutzend. Wir haben keine Antworten“. Hahn zielte damit vor allem auf die Arbeitsweise des Landesamtes ab. Es sei nicht klar, wer und in welcher Weise Daten ausgewertet habe und was das Landesamt mit den Informationen machte. Hahn zufolge geht es um Hunderte von Telefongesprächen und SMS-Mitteilungen.
Innenminister Markus Ulbig (CDU) hatte am Mittwoch im Landtag über den Aktenfund berichtet. Demnach ging es um eine Überwachung des Bundesamtes für Verfassungsschutz, bei der Sachsen tätig wurde. Am Donnerstag war auch von einer eigenständigen sächsischen Aktion die Rede. Die PKK, die das Landesamt kontrollieren soll, tagt bereits am Freitag wieder. Eine weitere Sondersitzung ist am 20. Juli geplant. Am Donnerstagabend will sich außerdem der parlamentarische Untersuchungsausschuss des Landtages mit dem Fall befassen.
„Die Rücktritte der Herren Fromm, Sippel und Boos mögen folgerichtig sein. Aber sie ersetzen keine Aufklärung“, erklärte Bundestags-Vizepräsidentin Petra Pau am Donnerstag. Sie seien zugleich ein Eingeständnis, dass selbst die Chefs ihre „eigenen“ Inlandsgeheimdienste nicht kontrollieren können, erklärte die Linke-Politikerin. Da der plötzliche Fund in Sachsen geheime Akten des Bundesamtes betreffe, sei der „Sachsenskandal“ mithin ein „Bundesskandal“. Politisch zuständig sei letztlich Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU).
(dpa)