Karl Nolle, MdL

Agenturen, dapd, 16:23 Uhr, 25.07.2012

Innenminister im Kreuzfeuer der Kritik - Datenschützer prüft Aktenvernichtung beim Verfassungsschutz - Opposition fordert Ulbigs Rücktritt

 
Dresden (dapd-lsc). Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) gerät in der Affäre um vernichtete Neonazi-Akten beim Landesverfassungsschutz zunehmend unter Druck. Nachdem der Verfassungsschutz jüngst eingeräumt hatte, Akten zum Rechtsextremismus geschreddert zu haben, bezweifelte Sachsens Datenschutzbeauftragter Andreas Schurig am Mittwoch die Rechtmäßigkeit der Aktion und ordnete eine Überprüfung an. Der Grünen-Abgeordnete Johannes Lichdi stellte unterdessen Strafanzeige gegen Verfassungsschutzchef Reinhard Boohs und weitere Behördenmitarbeiter. Die Linksfraktion forderte den Rücktritt des Ministers, der weiterhin jede Schuld von sich weist.

Ulbig und Boos hatten Ende vergangener Woche über Aktenvernichtungen in den vergangenen Monaten informiert und diese für legal erklärt. Bei den Aktenteilen soll es sich auch um Vorgänge zum Rechtsextremismus handeln, aber nicht um Unterlagen mit Bezug zur Zwickauer Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU). Boos lässt sich zum 1. August versetzen, weil in seiner Behörde eine Akte zum NSU-Komplex gefunden wurde, nachdem er und Ulbig beteuert hatten, alle Dokumente für die parlamentarische Kontrolle vorgelegt zu haben.

Datenschützer Schurig hat massive Bedenken

Der Datenschutzbeauftragte forderte den Verfassungsschutz nun zu einer umfassenden Stellungnahme bis Anfang August auf, wie dessen Sprecher Andreas Schneider am Mittwoch sagte und damit einen Bericht der «Leipziger Volkszeitung» bestätigte. Schurig beruft sich auf das sächsische Verfassungsschutzgesetz, das die Vollständigkeit von Akten vorsieht, wie Schneider auf Anfrage erklärte. Es gebe weder Fristen noch Pflichten für das Löschen von Aktenteilen. «Fehlende Dokumente machen einen zuverlässigen Nachweis über die Aktenführung unmöglich», betonte Schneider.

Zugleich wies er die Darstellung des Ministeriums zurück, Schurig habe die Möglichkeit der Aktenvernichtung gebilligt. Die Vernichtung von Aktenstücken oder Blätter im Zusammenhang mit den nun erhobenen Vorwürfen sei zwischen Ministerium und Datenschutzbeauftragten nie erörtert worden. Daran ändere auch eine Dienstvorschrift des Verfassungsschutzes nichts, auf die sich Ulbig berufe, sagte Schneider. Maßgeblich sei das Gesetz.

Ministeriumssprecher Lothar Hofner sagte hingegen, die Vernichtung von Aktenteilen sei auf Grundlage des Gesetzes und der darauf aufbauenden Dienstvorschrift erfolgt. Diese Auffassung sei mit Schurig abgestimmt gewesen, betonte Hofner auf Anfrage.

Lichdi und Gebhardt kritisieren Ulbig scharf

Der Grünen-Rechtsexperte Lichdi zeigte sich empört. «Dass in laufenden Ermittlungsverfahren keine Akten vernichtet werden, sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein», sagte Lichdi. Ulbig habe bislang zudem nicht angewiesen, weitere Aktenvernichtungen zu verhindern. Lichdi hat Strafanzeige gegen Boos, dessen Vize Olaf Vahrenhold und weitere Behördenmitarbeiter gestellt - wegen Verdachts der Zerstörung dienstlicher Schriftstücke.

Der Innenexperte und künftige Fraktionschef der Linken, Rico Gebhardt, sagte, Ulbigs Methode, heikle Themen nur abzuarbeiten statt zu gestalten, habe endgültig zum Fiasko geführt. Notwendig sei ein Neuanfang, der von einem anderen Kopf an der Spitze des Ministeriums erdacht und umgesetzt werden müsse. Ulbig sei bereits bei der Dresdner Handydaten-Affäre und der geplanten Polizeireform den Anforderungen eines Spitzenpolitikers nicht gerecht geworden sei.

Hofner schloss den Rücktritt des Ministers aus. Dieser trifft sich am Donnerstag (26. Juli) erstmals mit den Mitgliedern der unabhängigen Experten-Kommission zur Neuordnung des Verfassungsschutzes in Dresden.

dapd/T2012072500649/grk/nsc
251623 Jul 12

Von Gregor Klaudius