Karl Nolle, MdL
DNN/LVZ, 29.09.2012
Erleuchtung Fehlanzeige - Zeugenbefragung vorm NSU-Untersuchungsausschuss brachte - Ausflüchte und wenig Neues
Dresden. Die erste Zeugenbefragung vor dem Untersuchungsausschuss zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) brachte gestern wenig Neues. Geradezu sensationell erschreckend ist aber, wie wenig der ehemalige Chef der Soko Rex zu den Ermittlungen zum Zwickauer Terrortrio sagen konnte.
Ein Fernsehkrimi funktioniert üblicherweise so: Ermittler stellt ein Verbrechen fest, sammelt inkohärente Infos, grübelt und wundert sich. Und dann, in der Badewanne oder an der Currywurstbude, kommt ihm die Erleuchtung. Plötzlich ergibt sich ein stimmiges Gesamtbild und die Täter können überführt werden. Dieser Moment der Erleuchtung war den sächsischen Rechtsterrorismus-Ermittlern im Zusammenhang mit den elf Morden und Raubüberfälle des untergetauchten NSU-Trios nicht vergönnt.
Dieser Eindruck bleibt nach der ersten Zeugenvernehmung gestern im Untersuchungsausschuss am Dresdner Landtag. Mit den LKA-Kommissaren Wolfgang Jehle und Peter Pählich sagten erstmals Beamte aus, die direkt im Umfeld des Zwickauer Terrortrios ermittelten. Die beiden Ermittler waren beim LKA Sachsen im Bereich "Extremismus/Terrorismus/Spionage" tätig. Allerdings wussten die Zeugen kaum Erhellendes zu berichten. Wolfgang Jehle, 2000 bis 2004 Chef der Sonderkommission Rechtsextremismus, konnte sich an viele Details aus dem Tatkomplex NSU nicht erinnern. Nach einer Stunde Befragung wurde es dem Vize-Ausschussvorsitzenden Klaus Bartl (Linke) zu bunt. Bartl wies Jehle darauf hin, dass er auch abseits der Kommunikationslinie seines Hauses das eigene Erinnerungsvermögen bemühen sollte.
Was der ehemalige Soko-Chef alles nicht wusste, gab vielen im Saal zu denken. Er habe in seiner Amtszeit nie über ein Gesamtlagebild zum Trio Uwe Böhnhardt/Uwe Mundlos/Beate Zschäpe verfügt, weil die Ermittlungen beim LKA Thüringen lagen. Aber: Ohne Lagebild, ohne Detailkenntnisse und ohne aktuellen Ermittlungsstand ist Erleuchtung unmöglich. Das ist auch der zentrale Kritikpunkt aus dem vorläufigen Abschlussbericht der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) zum NSU. Nach 15 Sitzungen der Kommission beklagte der Vorsitzende Günther Schneider (CDU) gegenüber der LVZ bei Verfassungsschutz wie bei LKA die "mangelnde Bereitschaft, selbstständig zu denken".
Und so blieben die spärlichen sächsischen Ermittlungsansätze, die zwischen 1998 und 2003 zusammenkamen, Einzelposten ohne Zusammenhang. Wie eben die Puzzleteile mit dem Namen des Terrorhelfers Thomas S. Der kam den sächsischen LKA-Leuten zweimal unter: Einmal als Straftäter und einmal als Kontaktmann, der den Sachsen vom LKA Berlin im November 2000 angeboten wurde. Laut Aussagen Jehles fiel das im Hause nicht weiter auf. Kerstin Köditz, Obfrau der Linken-Fraktion, erkannte darin einen "erheblichen Mangel an dezernats- und bereichsübergreifender Abstimmung und Kommunikation".
Klaus Bartl vermisste eine Erklärung, warum im Jahr 2000 eine Zielfahndung bei Uwe Böhnhardt in Chemnitz durch Beamte zwar zu Fotoaufnahmen führte, jedoch nicht zu einer Verhaftung, obwohl Haftbefehle gegen Böhnhardt vorlagen. Dem Grünen-Obmann Miro Jennerjahn fiel auf, dass das LKA laut Jehles Aussage noch im Jahr 2003 im Umfeld des NSU ermittelte. Das ist neu, denn laut vorläufigem Abschlussbericht von Innenminister Markus Ulbig (CDU) endeten die polizeilichen Maßnahmen im Jahr 2002 und gehen dann erst mit November 2011 weiter. Denn da ergab sich mit einem Schlag ein erschreckendes Gesamtbild.
Christine Keilholz