Karl Nolle, MdL
spiegel-online.de, 13:10 Uhr, 01.10.2012
SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück - Der Beamte als Revolutionär
Eine Kolumne von Jakob Augstein
Peer Steinbrück ist der beste Kanzlerkandidat für eine SPD, die nicht mehr daran glaubt, den globalisierten Kapitalismus besiegen zu können - und keinen eigenen Politikentwurf mehr hat. Warum nicht gleich die Fusion mit der CDU?
Peer Steinbrück ist jetzt Kanzlerkandidat der SPD, und er sagt Dinge, die man von Kandidaten erwartet: "Wir setzen auf Sieg und nicht auf Platz." Das sind starke Worte. In Wahrheit ist die Kandidatur Steinbrücks aber nur Teil einer jener Personal-Rochaden, die aus der Politik ein so trübseliges Geschäft machen. Wer glaubt denn, dass dieser Mann eine Chance gegen die Bundeskanzlerin hat? Zwei Drittel der Deutschen jedenfalls glauben es nicht. Und die Leute haben bei solchen Sachen meist ein ganz gutes Gespür.
Das hat der SPD nicht genutzt. Das Partei-Schauspiel namens Troika war ein kläglicher Reinfall. Wir hatten schon geahnt, dass Schein und Sein in dieser Inszenierung weit auseinander liegen. Die miserable Regie in diesem Polit-Theater war aber doch überraschend. Wer hat nur solche Einfälle? Drei Kandidaten werden ins Rennen um die Kandidatur geschickt und alle Kraft, die sie einzeln oder zu dritt entfalten können, wird damit verbraucht, gegen Spekulationen vorzugehen, welcher von ihnen zuerst ins Ziel geht.
Zum Schluss hat Sigmar Gabriel nun auch noch enthüllt, dass es sich ohnehin die ganze Zeit um ein Schmierentheater handelte: Bereits im Frühjahr 2011 will er sich dafür entschieden haben, das Amt des SPD-Parteivorsitzenden von der Kanzlerkandidatur zu trennen: "Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier wissen das seit eineinhalb Jahren." Das bedeutet, die drei haben ihre Partei und die Öffentlichkeit eineinhalb Jahre lang an der Nase herumgeführt. Danke dafür. Auch so kann man Vertrauen in Politik zerstören.
Für Intelligenz und Humor wird man nicht gewählt
"Die beste Wahl" - so wurde Steinbrück nach der Entscheidung des vergangenen Freitags als Kandidat von Kommentatoren begrüßt, auch hier auf SPIEGEL ONLINE. Sie schätzen ihn für seine Intelligenz und seinen Humor. Aber für Intelligenz und Humor wird man nicht gewählt. Und der beste Kandidat wäre einer, der Merkel schlagen kann. Dafür müsste die SPD eine Oppositionspartei sein, die die Regierung jagt und vor sich hertreibt und sie schlägt, wo sie sie trifft. Davon ist nichts zu sehen. Wenn es für die Regierung in den vergangenen Jahren peinlich wurde, hatte sie entweder selbst dafür gesorgt (Guttenberg, Wulff) oder die Linkspartei hatte eine Anfrage im Bundestag gestellt (geschenkte und atomar bestückbare U-Boote für Israel; 55-Milliarden-Fehler bei der Hypo Real Estate).
Die SPD beschränkte ihre Oppositionsarbeit auf freundschaftliche Begleitung der Regierungstätigkeit: aushelfen, wenn es mal nicht weitergeht, sich bereit halten, wenn Rat gebraucht wird, einspringen, wenn mal Not am Mann ist. Ein alles in allem sehr kollegiales Verhalten.
Hallo Genossen, danke schön!
Das ist ja auch kein Wunder. Denn SPD und CDU sind seit geraumer Zeit nur noch insoweit Konkurrenten, als sie Gruppen repräsentieren, die es auf dieselben Posten abgesehen haben. Für unterschiedliche politische Entwürfe, die diesen Namen verdienen, stehen diese Parteien schon lange nicht mehr. Es wäre nur eine milde Übertreibung, den Parteiführungen eine Fusion vorzuschlagen: Die jeweiligen innerparteilichen Flügel könnten sich in zwei Lagern in ein und derselben Partei zusammenfinden. Ein Name läge auch bereit: Kapitalistische Einheitspartei Deutschlands.
Denn CDU und SPD sind gemeinsam dafür verantwortlich, dass Deutschland ein ungerechtes Land ist und ungerechte Politik betreibt. Deutsches Lohndumping und deutsche Exportüberschüsse zerren am europäischen Zusammenhalt. Die Steuerpolitik begünstigt die Reichen und lastet schwer auf den Armen. Die Bildungspolitik befestigt ein System der sozialen Undurchlässigkeit, so dass der arm Geborene arm bleibt.
Hilfsreferent bei Schmidt, Büroleiter bei Rau
Eine sozialdemokratische Opposition müsste gegen diese Ungerechtigkeit aufstehen. Stattdessen richtet sie sich gemütlich darin ein. Es gibt so viele berufliche Möglichkeiten im Schatten der Minister und Staatssekretäre, im Bundestag mit seinen mannigfaltigen Aufgaben in Präsidium und Ausschüssen und natürlich in Brüssel und in Frankfurt. Überall Posten und Pensionen, und das oberste Politikziel lautet: Versorgung. Also der eigenen Bedürfnisse.
Peer Steinbrück war nicht ganz drei Jahre lang Regierungschef von Nordrhein-Westfalen. Er hat dort dann bei den Wahlen das schlechteste SPD-Ergebnis seit den frühen fünfziger Jahren eingefahren. Davor hatte Steinbrück Funktionen in Ministerien inne, die sich unter anderem mit Raumordnung und Bauwesen befassten. Er war mal Hilfsreferent bei Helmut Schmidt. Und Büroleiter bei Johannes Rau. Wenn die Leute Steinbrück überhaupt kennen, dann als Finanzminister in der Großen Koalition. Er hat mit Merkel zusammen die Finanzkrise abgewettert. An deren Entstehung er - und sein Vorgänger Hans Eichel - nicht unbeteiligt waren. Freie Fahrt für Hedgefonds, das war ja ungefähr das Motto der SPD-Regierung, und die CDU blieb auf dem Kurs. Wie gesagt, die nehmen sich da nicht viel.
Es wäre wünschenswert, dieses Rad zurückzudrehen. Aber ist Steinbrück dafür der richtige? Dieser Revolutionär mit Pensionsanspruch hat einen Plan zur Re-Regulierung des Finanzsektors vorgelegt, der auf den ersten Blick nicht schlecht aussieht: Die Banken sollen in Investment und Kredit-Häuser aufgeteilt werden, und sie sollen einen eigenen Rettungsfonds einrichten, der bei der nächsten Krise einspringt. Und dann jede Menge Regulierung: Schattenbanken, Rating-Agenturen, reine Finanzgeschäfte, Immobilienkredite, Großbanken - überall soll wieder mehr kontrolliert und reguliert werden. Der Banker Josef Ackermann hat einiges an Steinbrücks Plänen bereits gelobt. Das ist nicht sehr beruhigend.
Steinbrück war gut in Deregulierung. Vielleicht ist er darum auch gut in Regulierung. Ein guter Beamter versucht ja stets die ihm gestellten Aufgaben nach bestem Wissen und Gewissen zu erfüllen. Aber ist das die Grundlage für Vertrauen in die Politik eines Kanzlers?