Karl Nolle, MdL

Freie Presse Chemnitz, 23.03.2013

Ex-Wirtschaftsminister Thomas Jurk: "Auch die SPD hat Fehler gemacht"

 
Sachsens Ex-Wirtschaftsminister Thomas Jurk will in den Bundestag — Sozialdemokraten wählen ihre Kandidatenliste in Frankenberg

FRANKENBERG - Sachsens SPD will heute Ex-Wirtschaftsminister Thomas Jurk als Spitzenkandidat für die Bundestagswahl nominieren. Mit ihm sprach Tino Moritz.

Freie Presse: So groß wird der Unterschied nicht sein, ob Sie im Landtag oder im Bundestag der Opposition angehören, oder?

Thomas Jurk: Einspruch! Selbst CDU-Spitzenkandidat Thomas de Maizire hat vor einer Woche angekündigt, dass die SPD im Wahlkampf besser werden wird. Da sag ich nur: Diese Befürchtung hat er zurecht Es gibt auch gute Gründe dafür, dass die SPD Deutschland wieder regiert. Die Vorstellungen der ostdeutschen Sozialdemokraten 1989 hatten jedenfalls nichts mit dem heutigen Finanzkapitalismus zu tun. Wir brauchen den gesellschaftlichen Zusammenhalt Der ist zuletzt unter die Räder gekommen. Da hat auch die SPD Fehler gemacht, wenn ich etwa an die Unausgewogenheit bei Harm IV oder die Rente mit 67 denke.

Dazu hat die Bundes-SPD ja inzwischen Korrekturbedarf angemeldet. Täuscht der Eindruck, dass Sie ansonsten gern mal von der Parteilinie abweichen?

Wo es mir notwendig schien, habe ich das schon gemacht. 2004 verdrehte Franz Müntefering bei einer Wahlkampfveranstaltung die Augen, als ich den gesetzlichen Mindestlohn forderte. Genauso akzeptieie ich auch, wenn es eine Mehrheit gegen mich gibt. Mit meinem Vorschlag, die Mehrwertsteuer für Strom auf sieben Prozent zu senken, bin ich auf dem Landesparteitag nur knapp gescheitert.

Haben Sie schon Ihre Stimme beim SPD-Mitgliederentscheid zur Schuldenbremse abgegeben?

Ich werde zustimmen. Es gibt Für und Wider. Man sollte aber unter scheiden zwischen einer reinen SPD-Position und einem nach langwierigen Verfassungsverhandlungen erzielten Kompromiss. Mir ist wichtig, dass das Land sich nicht damit profilieren kann, keine neuen Schulden aufzunehmen, indem es Kosten auf die Kommunen abwälzt

Bei der fraktionsübergreifend ausgehandelten Schuldenbremse darf die SPD ausnahmsweise mal wieder mitbestimmen. War es im Rückblick strategisch falsch, nach der Wahl 2004 trotz der desaströsen 9,8 Prozent in die Regierung zu gehen?

Die Regierungserfahrung ist für uns im parlamentarischen Alltag von großem Nutzen. Sie verhindert, dass wir uns in Illusionen ergehen. Gleichzeitig wissen wir, was man durchsetzen kann. Es lief nicht alles reibungslos, sonst wäre ja auch unser Wahlergebnis 2009 besser gewesen. Aber wir haben auch viel Gutes zustande gebracht, etwa den Kommunalkombi, Gemeinschaftsschulen oder das kostenlose Vorschuljahr. Das alles wurde von Schwarz-Gelb leider sofort wieder einkassiert.
 
Hat Wirtschaftsminister Sven Morlok eigentlich mal den Rat seines Vorgängers gesucht?
 
Ich hatte zu meinen CDU-Amtsvorgängern Kajo Schommer und Martin Gillo ein anständiges Verhältnis, mit Gillo hab ich mich als Minister ab und an getroffen. Der Austausch war mir wichtig. Ein solches Angebot habe ich auch meinem Nachfolger gemacht. Aber es gab nur ein Gespräch. Um das hatte ich ihn gebeten, nachdem er mir öffentlich unterstellt hatte, zu wenig für eine bessere Bahnanbindung für Chemnitz getan zu haben.

Sie haben 2008 einen schnellen Biker auf der Autobahn mit der Kelle herausgewunken und später wegen Amtsanmaßung 9000 Euro gezahlt. Werden Sie noch oft darauf angesprochen?

Gelegentlich passiert das. Der Motorradfahrer aus Mittelsachsen hat mir jetzt übrigens viel Erfolg im Bundestagswahlkampf gewünscht. Er ist Jahre später in die SPD eingetreten. Für mich war das allerdings eine teure Form der Mitgliederwerbung.

Thomas Jurk
„Wirtschaftsminister der Herzen" wird er nicht nur von Parteifreunden genannt. In der CDU/SPD-Koalition zwischen 2004 und 2009 fungierte der heute 50-Jährige auch als Vize-Ministerpräsident. Bereits seit Oktober 1990 gehört der gelernte Funkmechaniker dem Landtag an. Von 1999 bis 2004 stand er an der Spitze der SPD-Fraktion, von 2004 bis 2009 führte er die Partei. Seit 1994 sitzt der verheiratete Vater zweier erwachsener Kinder im Gemeinderat im ostsächsischen Weißkeißel. Zur Bundestagswahl am 22. September fordert der SPD-Direktkandidat im Landkreis Görlitz CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer heraus. (tz)