Karl Nolle, MdL
welt.de, 17:59 Uhr, 26.12.2013
"Der Druck auf die NPD zeigt endlich Wirkung"
Das Damoklesschwert des Verbotsverfahrens schwebt über der rechtsextremen NPD. Der zurückgetretene Parteichef Apfel schreibt von "Beleidigungen über körperliche bzw. sprachliche Unzulänglichkeiten".
Das Jahr 2013 lief nicht gut für die NPD. Erst drehte die Bundestagsverwaltung der rechtsextremen Gruppierung wegen nicht beglichener Strafzahlungen den Geldhahn der staatlichen Parteienfinanzierung zu. Bei der Bundestagswahl im September holte sie lediglich 1,3 Prozent der Stimmen.
Und Anfang Dezember schließlich reichte der Bundesrat beim Bundesverfassungsgericht einen Verbotsantrag ein: Mithilfe einer umfangreichen Materialsammlung wollen die Bundesländer belegen, dass die NPD verfassungsfeindliche Ziele verfolgt und eine Gefahr für die demokratische Grundordnung darstellt.
Die Klage erreichte Karlsruhe in einem mittlerweile ausgepackten Umzugskarton. "Bevor wir in eine materielle Prüfung eintreten, haben wir den Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben", erläuterte Verfassungsrichter Peter Müller vom zuständigen Zweiten Senat der "Welt" das weitere Verfahren. "Danach wird man sehen, wie es weitergeht."
Es reicht ein Verfassungsorgan
Der frühere saarländische Ministerpräsident machte deutlich, dass die Entscheidung von Bundesregierung und Bundestag, sich dem NPD-Verbotsantrag des Bundesrats nicht anzuschließen, die Erfolgsaussichten des Verfahrens nicht mindert: "Es reicht, wenn ein Verfassungsorgan den Antrag stellt. Ob sich andere anschließen, ist für den Gang des Verfahrens ohne Belang." 2003, beim ersten Anlauf zu einem Parteiverbot, hatten noch alle drei Verfassungsorgane den Antrag eingereicht.
Die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) aufgestellte Hürde, wonach bei einem Parteienverbot eine unmittelbare Gefahr für die Demokratie bestehen müsse, werde beim NPD-Verbotsverfahren in Karlsruhe nur eine untergeordnete Rolle spielen, führte Müller weiter aus. "Bei der Auslegung des Grundgesetzes berücksichtigen wir die Wertungen, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte aus der Europäischen Menschenrechtskonvention ableitet. Eine weitergehende Bindung gibt es aber nicht", sagte der Richter der "Welt".
"In der Normenhierarchie hat die Europäische Menschenrechtskonvention den Rang eines einfachen Gesetzes", so Müller. Allein auf den Fakt, bei der zurückliegenden Bundestagwahl nur 1,3 Prozent der Stimmen geholt zu haben, wird sich die NPD in ihrer Stellungnahme also nicht stützen können.
Interne NPD-Schlammschlacht
Doch das Damoklesschwert des Verbotsverfahrens scheint in der Partei derzeit ohnehin nur eine Nebenrolle zu spielen. Über die Weihnachtsfeiertage jedenfalls beschäftigte sich die NPD mit einer internen Schlammschlacht. So teilte ein Sprecher des Bundesvorstands am ersten Feiertag mit, dass der ehemalige Bundesvorsitzende Holger Apfel seinen Austritt aus der Partei erklärt habe. Ein entsprechendes Schreiben sei eingegangen.
Erst vergangene Woche hatte Apfel seinen Rücktritt vom Vorsitz erklärt und zugleich auch den Fraktionsvorsitz im Sächsischen Landtag aufgegeben. Zur Begründung hatte er gesundheitliche Probleme angegeben. Seinen Parteiaustritt begründet Apfel nun damit, dass ihn seine Gegner auch nach dem Rückzug von seinen Ämtern nicht ruhen ließen.
Gegen Apfel waren innerparteilich zahlreiche Vorwürfe erhoben worden, die nach seinem Rücktritt nicht verstummten. "Mit Befremden muss das Parteipräsidium zur Kenntnis nehmen, dass die zunächst von Apfel zur Begründung für seinen Rücktritt angeführten ,Krankheitsgründe' offenbar nur ein Teil der Wahrheit sind. Weitergehende Vorwürfe, die Verfehlungen in der Vergangenheit betreffen, hat Apfel bislang nicht entkräftet", schrieb Pressesprecher Frank Franz im Namen des NPD-Präsidiums. Könne er die Vorwürfe nicht entkräften, müsse rasch ein Parteiaustritt folgen.
"Entgegengeschleuderte Häme"
Apfel selbst schrieb von "persönlich niederträchtigen Beleidigungen über körperliche bzw. sprachliche Unzulänglichkeiten" sowie die ihm "entgegengeschleuderte Häme" nach seiner "kurzzeitigen familiären Trennung 2012".
Sein Brief an den Vorstand der Partei war vorige Woche Donnerstag kurz auf der Homepage der NPD-Zeitung "Deutsche Stimme" einsehbar gewesen. Das Fass zum Überlaufen brachten laut Apfel offenbar "dieser Tage nun zunehmend ehrverletzende Verleumdungen" gegen seine Person.
Die Vorwürfe jedenfalls sind brisant – und werden in der Szene seit Wochen verbreitet. Laut dem linken Bremer Recherche-Blog "Schattenbericht" soll Apfel, der verheirateter Vater von drei Kindern ist, im vergangenen Bundestagswahlkampf sexuell übergriffig geworden sein. Das Opfer soll ein Student der Hochschule für Wissenschaft, Technik und Kultur in Leipzig sein.
Belastende Videoaufnahmen sollen existieren
Der 20-Jährige gehört demnach der NPD-nahen Kameradschaft Leipzig-Möckern an und hatte im August die Partei bei einer Wahlkampftour begleitet. In NPD-Kreisen sollen sogar Apfel belastende Videoaufnahmen existieren. Damit soll ihm ein Ultimatum gesetzt worden sein: Entweder du trittst als Parteichef zurück, oder wir machen die Vorwürfe öffentlich.
Bereits in der Vergangenheit hatte es in der Partei immer wieder Gerüchte über Apfels Privatleben gegeben. Der "Schattenblick" zitiert aus einem Schriftwechsel zweier Apfel-Kritiker. "Es wird den perversen Jünglings-an-den-Arschgrabscher, Puffbesucher und Minderwertigkeitskomplexler Holgi natürlich massiv wurmen, dass nun die aus wahltaktischen Erwägungen mühsam aufgebaute spießbürgerliche Fassade ... nicht nur bröckelt, sondern komplett in sich zusammenfällt. Geschieht dem national-demokrötischen Deppen gescheit recht."
Er habe keine Kraft mehr
In seiner Rücktrittserklärung sagte Apfel, die Verleumdungen seien "zwar haltlos, aber mir ist bewusst, dass ich den damit verbundenen Makel nicht losbekommen werde. Müde geworden durch innerparteiliche Auseinandersetzungen, habe ich nicht mehr die Kraft, gegen Nachreden anzukämpfen – im Neudeutsch wird man dazu wohl ,Burnout' sagen."
Tatsächlich ist Apfel, der seit November 2011 die von einem Verbot bedrohte Partei führte, in der rechtsextremen Szene umstritten, weil er vorgeblich eine Strategie der "radikalen Seriosität" verfolgte und damit der NPD – zumindest vordergründig – ein bürgerlicheres Image geben wollte.
Nach dem Rückzug Apfels soll die NPD nun vorerst von Udo Pastörs geführt werden. Er solle dem Parteivorstand als kommissarischer Chef vorgeschlagen werden, teilte die Partei zu Wochenbeginn nach einer Präsidiumssitzung in Frankfurt am Main mit. Pastörs ist bisher einer der stellvertretenden Parteichefs sowie Fraktionsvorsitzender der Rechtsextremisten im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern. Er gilt als einer der Hardliner der Extremistenpartei – anders als der um eine seriöse Fassade bemühte Apfel.
Verbotsverfahren als Grund für Krise
Es wird interessant sein zu beobachten, inwieweit der Führungswechsel Auswirkungen auf die Verteidigungsstrategie der NPD im laufenden Verbotsverfahren haben wird. Der Hamburger Innensenator Michael Neumann jedenfalls sieht in dem von den Ländern angestrengten Verfahren einen Grund für die Krise der rechtsextremen Partei.
"Es wird jetzt auch für den Letzten offenbar, wes Geistes Kind diese Partei ist", sagte der SPD-Politiker der "Welt". "Der zunehmende Druck, auch durch das begonnene Verbotsverfahren, zeigt endlich Wirkung." Nun müsse "diesen Herrschaften auch zivilgesellschaftlich, durch Aufklärung und gute Politik, der politische Boden in unserem Land entzogen werden".
Von Jochen Gaugele, Thorsten Jungholt und Karsten Kammholz