Karl Nolle, MdL

welt-online.de, 24.04.2014

Die Neokonservativen: Union und SPD ...

 
Union und SPD haben sich in der großen Koalition so sehr angenähert, dass sie kaum noch zu unterscheiden sind. Sigmar Gabriel lernte dabei von der Kanzlerin, wie man Programmatik durch Opportunismus ersetzt

Wie sehr die große Koalition zu symbiotischen Verstrickungen geführt hat, illustriert die Europawahl. Bis zur Unkenntlichkeit weichgespült präsentieren Union wie SPD jenes moderne Deutschland (Link: http://www.welt.de/themen/deutschland-reisen/) und seine Bürger in einer frischen Bildsprache. Wer schnell an den Plakaten der Volksparteien vorbeifährt, wird sie nicht auseinanderhalten. Für die SPD mag das ein Fortschritt sein, galt ihr polemischer Auftritt zur Europawahl 2009 als einer der Gründe für das desaströse Ergebnis. Doch fünf Jahre später rennt die SPD entschieden in die andere Richtung, ins Indifferente, Markuslanzige, in den Bilder- und Wertkosmos der Margarinewerbung.

Auf den Plakaten wird eine heile Welt vorgeschlagen, deren Bewohner Lichtjahre von den Realitäten des Alltags entfremdet scheinen. Dazu kommen Kalendersprüche, die vor allem deutlich machen, dass sich die SPD weniger der Vernunft als dem Sentiment verpflichtet fühlt. Sie behaupten, ein Europa der Menschen und nicht des Geldes schaffen zu wollen, ein Europa des Miteinanders, nicht des Gegeneinanders. Es sind die frommen Wünsche, die auch im Morgenkreis einer Kita erträumt werden, sie wirken für eine erwachsene Partei etwas naiv und harmlos. Doch Nebengeneralsekretär Matthias Machnig ist es zu danken, dass der Kitsch auf höchstem Niveau angerührt wird. Wenn auch nicht zur Freude aller in der Partei: Selbst auf der SPD-Homepage wird die Verwechselbarkeit und das parfümierte Einrennen offener Türen kritisiert.

Die Plakate passen in die aufgeräumte Stimmung im Land, noch nie war eine Regierung sechs Monate nach der Wahl so beliebt wie die Groko, staunt der "Spiegel" und findet dafür Gründe. Vergessen die Auseinandersetzungen im Wahlkampf und die lauten Töne in Zeiten der Sondierung, SPD und Union agieren wie Staatsparteien, die für sich keine andere Bestimmung sehen, als zu regieren. Das war zumindest mal in der SPD anders. Die Fliehkräfte zum linken Oppositionalismus sind durch Sigmar Gabriel gebändigt, doch die Nähe zum übermächtigen Koalitionspartner birgt Gefahren. Die letzten Konturen der Sozialdemokratie wirken geschleift, wären da nicht Polemiker wie Ralf Stegner. Die großzügigen Geschenke im Koalitionsvertrag rauben der SPD letzte Projekte. Übrig bleibt nur der Ruf nach mehr Steuern. Nicht unbedingt ein Publikumserfolg.

Viel ist über die Sozialdemokratisierung der Union geschrieben worden, zu Recht: Die Volksparteien sind der sozialen Frage im Sinne eines autoritären Umverteilungs- und Beglückungsapparates verbunden. Noch prägender im Augenblick wirkt deren Strukturkonservativismus. In einer beispiellosen Sedierung hat die Groko Deutschland entideologisiert und entpolitisiert. Das Land hat jede Fantasie über sich selbst jenseits des Status quo verloren. Die Opposition ist indisponiert, und die dafür prädestinierten Liberalen suchen ihre Bestimmung. Die Jungen in der Fraktion sind bei SPD wie Union weitgehend rebellionsunwillig. Das wirkt sich bei den bürgerlichen Wählern der Union im Zweifel auf den etablierten Markenkern aus, bei einer linken Volkspartei können fehlende Ideen jedoch nicht durch Verwaltung ersetzt werden.

Dieser SPD glaubt kaum jemand, dass sie heimlich von einer linken Mehrheit mit Grünen und Linker träumt, noch weniger glaubt man ihr, dass sie stärkste politische Kraft werden könnte. Die Sozialdemokraten befinden sich in einem Niemandsland – dank repräsentativer Regierungsämter ohne allzu großen Schmerz. Insbesondere Außenminister Frank-Walter Steinmeier glänzt, aber möglicherweise auch nur, weil er neben oder unter Merkel im Amt wirkt. Die Sozialdemokraten sind die neuen Konservativen, weil sie sich sozialpolitisch in eine Zeit vor ihren Reformen zurücksehnen.

Der polyglotte, intellektuell bewegliche SPD-Spitzenkandidat bei der Europawahl, Martin Schulz, ist Liebling zumindest eines Feuilletons und stemmt sich mutig gegen jenes Achselzucken, das viele Wahlberechtigte beim Anblick ihres Einladungsschreibens zur Demokratieparty im Wahllokal am 25. Mai an den Tag legen. Auch wenn man bei Schulz das europäische Anliegen spürt und seine existenzielle Berufung zur "Rampensau" goutiert – am Ende könnte die SPD wieder abgestraft werden. Der garantiert niedrigen Wahlbeteilung würde dann der Prozess gemacht, nicht aber jener Parteiführung, von der im Augenblick kaum ein Wähler weiß, wohin sie will, so glücklich fühlt sie sich in ihrer Rolle als Juniorpartnerin der übermächtigen Chefin.

Die Union passt sich der SPD an, an den Zeitgeist. Sie hat nun einen jungen Generalsekretär, der die kulturelle Alexie der CDU, was die neuen urbanen Lebenswelten betrifft, überwindet. Die Partei wandelt sich, wie stromlinienförmig auch immer. Sie erscheint damit zukunftsfähiger als die SPD, die vor allem mit dem Rollback ihrer letzten staatsmännischen Verdienste beschäftigt ist. Zudem fehlen ihr charismatische Führungspersonen. Willy Brandt faszinierte als Antifaschist, Frauenbetörer und Intellektuellenfreund, Helmut Schmidt als hanseatischer Überpreuße und Pianist, Gerhard Schröder als Genosse der Bosse, Bohemien und Entdecker der Neuen Mitte. Sie alle prägten die Partei wie das Land, sie hatten eine Mission und eine Vision, obwohl Schmidt behauptete, keine haben zu wollen. Er formte seine Partei als Bündnispartnerin des Augenmaßes und des kritischen Rationalismus. Die SPD steht sich ratlos gegenüber. In dieser Form in diesem Land reicht es bestenfalls zur Nummer zwei.

Von Ulf Poschardt