Karl Nolle, MdL
spiegel-online, 14:16 Uhr, 06.05.2014
Die SPD und Putin - Auch Pinochet war ein reizender Mensch
Eine Kolumne von Jan Fleischhauer
Ein "strategischer Partner" sollte der Kreml sein - so stellte sich die SPD das vor. Eine Selbsttäuschung. Gerhard Schröders Kumpelei mit Wladimir Putin führt den Genossen schmerzhaft ihre gescheiterte Russland-Politik vor Augen.
Auch Augusto Pinochet soll privat ein ganz reizender Mensch gewesen sein. Maggie Thatcher hielt den chilenischen Diktator bis zu seinem Tod für einen nice chap, wie man in England sagt. Ein wenig robust vielleicht im Umgang mit Dissidenten, aber im Kern ein Mann mit dem Herzen auf dem richtigen Fleck.
Wladimir Putin ist im persönlichen Umgang sicherlich ebenfalls sehr gewinnend. Er soll Humor besitzen. Er kann gesellig sein, was bei Kameradschaftsabenden nicht unwichtig ist. Außerdem ist er ausgesprochen tierlieb, wie man immer wieder auf Fotos sehen kann. Ich bin überzeugt, Gerhard Schröder sieht wirklich einen Freund in ihm.
Bislang haben wir die Ukraine-Krise vor allem außenpolitisch betrachtet. Bald wird sich zeigen, dass sich aus ihr auch innenpolitische Konsequenzen ergeben. Als uns vergangene Woche die Party-Bilder aus St. Petersburg erreichten, die Schröder und Putin in fröhlicher Umarmung zeigen, hieß es, der ehemalige Bundeskanzler sei als Privatmann gekommen. Aber das war eine Verkleinerung seiner Rolle, die etwa so glaubhaft war wie die Erklärung des Mitgastes Mißfelder, er sei zu diplomatischen Zwecken angereist. Wer annimmt, er könne einen Diktator umstimmen, weil er ihm zuprostet, hat nicht mehr alle Tassen beziehungsweise Gläser im Schrank.
Die SPD steht vor den Scherben ihrer gesamten Russland-Politik
Der Mann, der den russischen Präsidenten ans Herz drückte, als sei der sein bester Freund, hat seiner Partei ein Erbe hinterlassen, von dem sie sich noch wünschen wird, sie könnte es als Privatsache behandeln. Die Union mag keine Außenpolitiker von Gewicht besitzen, wie die Kollegen bei SPIEGEL ONLINE am Montag ausgeführt haben. Die SPD steht vor den Scherben ihrer gesamten Russland-Politik.
Es ist noch nicht lange her, da galt die Hinwendung zu Russland als das Kernstück rot-grüner Neubesinnung in Deutschlands Verhältnis zur Welt. Äquidistanz war dafür das Wort. Statt länger an der Seite Amerikas zu stehen, sollte die Bundesrepublik irgendwo in der Mitte ihren Platz finden, mit Putins Russland als "strategischem Partner". Die Radikalisierungspolitik des Kreml hat auch diesen Traum unter sich begraben. Es ist jedenfalls schwer vorstellbar, wie man ein Land weiter als Partner betrachten will, das Europa zum Feind erklärt und für das westliche Verständnis von Freiheit und Liberalität nur Geringschätzung übrig hat.
Die SPD-Spitze hat erkennbar Mühe, sich auf die geänderte Wirklichkeit einzustellen. Man wüsste zum Beispiel gerne, was der Parteivorsitzende denkt. Am Anfang der Krise gab Sigmar Gabriel zu Protokoll, dass er das Vorgehen von Putin nicht billige, aber auch finde, dass Europa Fehler gemacht habe. Dann wies er den Siemens-Chef zurecht, als der sich in Moskau mit dem russischen Präsidenten traf, um seine Aufträge zu retten. Aber heißt das, dass Gabriel es auch unmöglich findet, wenn sein Vorgänger den Kreml-Chef ans Herz drückt?
Schon die Ostpolitik beruhte auf einer Selbsttäuschung
Wenn es schlecht läuft, wiederholt die SPD gerade den Fehler, den sie schon einmal gemacht hat. Für die Architekten der neuen Russland-Politik war die Hinwendung nach Moskau eine Fortsetzung der Ostpolitik, mit der die SPD in den sechziger Jahren die Kanzlerschaft gewann. Auch deshalb fällt es ihr so schwer, von der Idee einer eigenständigen Russland-Politik Abschied zu nehmen. Leider beruhte schon die Ostpolitik, auf die man bei den Sozialdemokraten so stolz ist, auf einer Selbsttäuschung.
Statt Wandel durch Annäherung zu betreiben, wie die Losung dazu hieß, fanden es die mit den Verhandlungen Betrauten viel bequemer, sich mit den bestehenden Verhältnissen zu arrangieren. Den Osten zerrüttet und damit zur Implosion gebracht zu haben, ist eine nachträgliche Lesart, die sich mit der Wahrheit nicht wirklich deckt.
Wie sehr das Status-quo-Denken die SPD in den Griff genommen hatte, trat nach dem Fall der Mauer zu Tage. So traf die Sozialdemokraten der erzwungene Rücktritt der Leute, zu denen sie eben noch in regem Kontakt gestanden hatten, nicht nur völlig unvorbereitet - wie die gerontokratische Führungsschicht im Osten reagierte der linke Parteiflügel auf den Wunsch nach deutscher Einheit mit gekränkter Ablehnung. Es ist Willy Brandt zu verdanken, die SPD vor dem Debakel der kompletten Wirklichkeitsverweigerung bewahrt zu haben: Anders als viele seiner Parteifreunde hatte er sich nie über die Natur des Regimes getäuscht, mit dem er als Kanzler das Gespräch aufnahm.
Man darf gespannt sein, wie die SPD entscheidet, wenn demnächst wieder die Frage ansteht, mit wem sie regieren will. Die Grünen sind die einzige Partei links der Mitte, die von Anfang an keine Illusionen hegte, wohin der neue Kreml-Kurs führt - das spricht für sie. Die Linkspartei hingegen erweist sich in diesen Tagen, als das, was sie mehrheitlich immer schon war: eine Truppe vernagelter Kaderköpfe, für die Menschenrechte nur so lange gelten, wie man damit im eigenen Milieu Eindruck machen kann.
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