Karl Nolle, MdL
SUPERillu Nr.25/2014, Seite 30, 12.06.2014
Teil 1: Die Operation Sachsensumpf
Sieben Jahre ermittelte ein Untersuchungsausschuss des Sächsischen Landtags wegen Verdachts einer Staatsaffäre ungeheuren Ausmaßes - dem sogenannten Sachsensumpf. Es geht um ein Netzwerk mit mafiösen Strukturen, um Kinderprostitution, Mord, Geldwäsche, Immobiliendeals, Waffen- und Menschenhandel. Nun werden die Abschlussberichte vorgelegt. Was kommt ans Licht?
Wer ist wer in der Affäre „Sachsensumpf"?
Die missbrauchten Mädchen, mit denen alles begann Trixi, Jasmin. Mandy und Susan waren 1993 zwischen 13 und 19 Jahre:alt. Sie mussten im Leipziger Kinderbordell "Jasmin" auch Männern aus der feinen Gesellschaft sexuell zu Diensten sein. Darunter sollen auch Richter und Staatsanwälte gewesen sein. Mandy Kopp ging mit ihrem Schicksal an die Offentlichkeit, schrieb darüber 2013 das Buch . "Die Zeit des Schweigens ist vorbei"
Am 17.0ktober 1994, kurz nach 23 Uhr, klingelt es in Leipzig an der Tür von Dr. Martin Klockzin. Der Jurist aus Soest in Westfalen ist Chefjustitiar der Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft (LWB), zuständig für Rückübertragung von Grundstücken an Alteigentümer. Als er öffnet, fallen Schüsse aus einer Czeska, Kaliber 9 mm. Der Mann vor der Tür schießt dreimal, verschwindet. Mediziner retten Klockzin das Leben.
'Vier Kleinkriminelle werden aLs Tatverdächtige ermittelt. Der drogensüchtige Schütze wird zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Seine Komplizen bekommen lebenslänglich. Hintergrund: Die Allgäuer Glücksritter Josef Schmid und Manfred Schneider wollten ein Eckhaus in der Leipziger Riemannstraße 52 für 680 000 DM kaufen. Doch da waren Martin Klockzin und seine LWB davor ...
An vorderster Front im Kampf gegen die organisierte Kriminalität (OK) im Leipzig der 90er-Jahre steht Georg Wehling. 1999 kommt der Chef des Kommissariats 26 den Hintermännern des Mordversuchs an Klockzin auf die Spur, stellt ihnen eine Falle und überführt die einstigen Hausinteressenten Schmid und Schneider Sie bagatellisieren denAnschlag als eine Abreibung ohne Tötungsabsicht, kommen mit einer Geldauflage von je 2500 Mark davon.
Doch Kommissar Wehling ist gründlich. Im Zusammenhang mit dem Fall Klockzin stößt er auf alte Ermittlungen zum Kinderbordell „Jasmin" , das 1993 für Schlagzeilen sorgte. Zwölf Zuhälter hatten damals Leipzig unter sich aufgeteilt. Einer ist Michael W.. In seinem Wohnungsbordell in der Merseburger Straße 115 werden Minderjährige zur Prostitution gezwungen. Ende Januar 1993 war damit Schluss. Zuhälter W. bekommt wegen Menschenhandels, Kindesmissbrauchs und Zuhälterei vier Jahre aufgebrummt. Zwölf wären angemessen gewesen. Später gibt es das Gerücht, dass es für W. nur deshalb so glimpf-lich abging, weil er über die Freier geschwie-gen hätte. Sein Richter: Jürgen N....
Wer ist wer in der Affäre „Sachsensumpf"?
Der Zuhälter Michael W. bekam nur vier Jahre Haft. Weil er Freier aus der Justiz nicht verriet?
Der Kommissar Georg Wehling, Exchef des K26 in Leipzig. wurde wegen seiner Ermittlungen kaltgestellt. Erst suspendiert, dann versetzt. Seit Februar ist er krank
Die Aufklärerin Verfassungsschützerin Simone Henneck wurden Hirngespinste unterstellt
Der Richter, Jürgen N.. Zwei Exprostituierte wollen ihn als Freier erkannt haben. Im Verleumdungsprozess gegen diese war er Nebenkläger. Seine Frau Sieglinde Buchner-Hohner vertrat ihn.
Der Makler Martin Klockzin, angeblicher Gast im "Jasmin" wurde angeschossen.
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Der Staatsanwalt Norbert R. kam in den Verdacht. Kunde im Kinderbordell zu sein.
Polizist Georg Wehling treibt das railde Urteil gegen W. um. Er vernimmt die Zwangs-prostituierten von damals erneut. Und Trixi und Mandy wollen auf Lichtbildern Klockzin, Schneider und Schmid als Kunden erkennen.
Wehling ermittelt weiter, stößt auf ein zweites Kinderbordell. Doch die Ermittlungen verlaufen im Sande. Wehlings Karriere stoppt, sein Kommissariat wird aufgelöst. Er selbst muss sich neun Ermittlungsverfahren stellen. Vorwürfe: Strafvereitelung im Amt, uneidliehe Falschaussage. Alles getürkt. Am Ende wird er zur Kriminaltechnik abgeschoben...
Aber den Kriminalkoimnissar lassen die ungelösten Fälle nicht los: Am 24. Februar 1996 stieg der 24-jährige Leipziger Michael Mielke in seinen Mercedes - und ist seitdem verschwunden. Man fand nur seinen Wagen. Verschlossen. Mielkes Blut am Fahrersitz. Wehling weiß: Der Fußamputierte kannte Beteiligte und Hintergründe des Mordanschlags auf Martin Klockzin.
Auch die Justizsekretärin Barbara Beer vvusste wohl zu viel. Im Sommer 1996 verabschiedet sich die 49-Jährige von ihrem Mann. Sie wolle zum Kegeln. Vier Jahre später entdecken Arbeiter in einem Wald bei Rassnitz den Schädel und Knochen der Frau. Die Polizei vermutet, dass Barbara Beer illegalen Immobiliengeschäften rund um die LWB auf die Spur gekommen war.
Doch Leipzig ist nur die Spitze des Eisbergs. Drei Jahre lang, von 2003 bis 2006, will Simone Skroch, damals Henneck und Chefin im Referat Organisierte Kriminalität beim Landesamt für Verfassungsschutz, Licht ins Dunkel der möglichen Verbindung von OK und Amtsträgern bringen. Zwölf Mitarbeiter tragen mehr als15000 Seiten Material zusammen. Die Auszüge, die im Mai 2007 öffentlich werden, nennen Medlien fortan „Sachsensumpf"
Nun schlägt das Imperium zurück. Die Staatsregierung stuft die Unterlagen als „Klamauk" ein, als Hirngespinst einer „durchgeknallten Staatsanwältin". Fünf Ermittlungsverfahren werden gegen Simone Henneck eingeleitet. Sie wird krank ...
Die Opfer und die Frage: Was wussten Sachsens Politiker?
Christian Kohle mit SUPERillu-Redakteurin Roxin. Der Staatsanwalt sollte im ,Sachsensumpf'' ermitteln. wurde vom Ausschuss verhort
Angeklagte: Die Journalisten Datt und Ginzel sollten mundtot gemacht werden. Erst in 2. Instanz wurden sie vom Vorwurf der üblen Nachrede freigesprochen.
Opfer: Nauens Kripochef Karlheinz Sporer wurde erhängt im Wald gefunden.
Michael Mielkes Auto wurde blutverschmiert entdeckt. Von ihm fehlt bis heute jede Spur.
Das Skelett von Justizsekretärin Barbara Beer lag in der EIsteraue
Minister 1, Thomas de Maiziere, CDU, 2005 Innenminister in Sachsen, fehlte "Erkenntnisdichte", um Ermittlungen einleiten zu lassen
Minister 2, Geert Mackenroth, CDU, soll als Justizminister die „Sachsensumpf'-Ermittlungen beeinflusst haben.Im U-Ausschuss sprach er von "Erinnerungslücken": Schallendes Gelächter, selbst bei der CDU
Regierungschef, Georg Milbradt, CDU, zweifelte 2007 die Vorwürfe gegen Staatsbedienstete an, obwohl die Ermittlungen gerade erst neu begannen
„Klamauk" nannte die Regierung den Bericht der Verfassungsschützer
Endlich wird 2007 ein Untersuchungsausschuss (U-Ausschuss) im Sächsischen Landtag eingesetzt, lange von der Oppositiongefordert. Klaus Bartl, 63, Fraktions-Vize der Linken, leitet ihn.
Das Gremium ist auf der Suche nach „der Verantwortung von Mitgliedern der Staatsre-gierung und von ihnen beauftragter leitender Behördenvertreter für etwaige schwervvie - gende Mängel bei der Aufdeckungund Verfolgung krimineller und korruptiver Netzwerke unter Beteiligung von Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Justizund Polizei in Sachsen" . Sie-ben Jahre lang tagte der Ausschuss, über zwei Legislaturperiodenhinweg. Rund 80 Sitzungen fanden statt, 60 Zeugen wurdengeladen. Noch im Juni wollen die Koalitions- und Oppositi-onsparteien ihre Abschlussberichte vorlegen.
Ein Hauptzeuge zur Aufldärung der Affäre vor dem U-Ausschuss ist der Dresdner Staats - anwalt Christian Kohle, derzeit tätig am Justiz-ministerium. Er war 30, als er Fälle zum „Sach-sensumpf" auf den Tischbekam. Ergebnis: Kein Verfahren gegen Verdächtige kam unter ihm vor Gericht, Opfer vvurden angeklagt. Der Vor- sitzende des Untersuchungsausschusses, Klaus Bartl, sagt: „Opfer und Verfolger beldagten vor dem Untersuchungsausschuss, dass sie indieser Affäre zu Tätern und Verfolgten gemacht worden seien."
Der Leipziger Komplex weitet sich aus, als zwei ehemalige Kinderprostituierte aus dem „Jasmin" den einstigen Oberstaatsanwalt Norbert R., heute Landgerichtspräsident in Chemnitz, und denehemaligen Richter Jürgen N., derzeit Anwalt in Bayern, als Kunden identifiziert haben vvollen. Doch die Juristen wehren sich, zerren die Exzwangsprostituierten wegen Verleumdung vor Gericht.
Das scheint die probate Methode im „Sachsensumpf". Auch clie Journalisten Thomas Datt und Arndt Ginzel, die über das kriminelle Netzwerk berichtet hatten, wurden angeklagt, erst verurteilt, dann freigesprochen.
Die Leipziger Machenschaften, nur ein Beobachtungskomplex von vier in der Affäre „Sachsensumpf" , vvurden vom Landesamt für Verfassungsschutz „Abseits III" genannt.
Deren Ausweitung ins Vogtland „Abseits-II. Auch im Raum Plauen soll es laut Verfassungs-schutzakten eine Verflechtung zwischen Polizei, Justiz, Rotlichtmilieu und schwerstkriminellen Kreisen gegeben haben. Ein Beteiligter: Kriminaloberrat Karlheinz Sporer, Plauener Kripochef, vor dem Chef beim Staatsschutz in Hof. Ende 1999 wurde Sporer erhängt an einem Jägerstand bei Trogenau (Kreis Hof) gefunden. Just zuder Zeit, als gegen ihn ein Ermittlungs-verfahren wegen Kontakten zur Unterwelt lief. Er soll die Ganoven vor Razzien gewarnt, Gratis-Dienste Prostituierter kassiert haben. Die Staatsanwalt-schaft geht von Selbstmord aus. Gerüchte, wonach Sporer einem Mord zum Opfer fiel, konnten nicht erhärtet werden.
Der U-Ausschuss befasste sich auch damit, ebenso wie mit den Sachsensumpf-Komplexen „Italienische Mafia" und „Rocker", in denen von der Staatsanwaltschaft, trotz anderslautendem Beschluss der Parlamentarischen Kontrollkommission, fast gar nicht ermittelt vvurde. Dabei hatten die Mafia-Organisationen „Ndrangheta" und „Cosa Nostra" längst in Dresden, Leipzig, Chemnitz und Plauen ihre Hände im Spiel.
Kommende Woche lesen Sie, was die Abschlussberichte des Ausschusses ans Licht bringen.
Joerg.Abromett@stmerilltuleillkaRoxbesupenlu.de
Vom Jäger zum Gejagten
Viele Jahre leitete der ehrgeizige Kommissar Georg Wehling die Abteilung für Organisierte Kriminalität (K26) in Leipzig - bis er unbequem wurde. 2002 wurde der Verfolger plötzlich zum Verfolgten. Wir sprachen mit seinem Anwalt Steffen Soult, weil er selbst „nichts sagen darf"
Georg Wehling galt als Mafia-Jäger in Leipzig. Bis vor zwölf Jahren mehr als 60 Kollegen vom Sächsischen Landeskriminalamt (LKA) sein Kommissariat stürmten und sein Informantennetzwerk zer-störten, die Staatsanwaltschaft ihn wegen „Strafvereitelung im Amt" vor Gericht zerrte. Das Verfahren gegen ihn vvurde eingestellt. Doch die Karriere des in Ost-Berlin geborenen Leipziger Kriminalkommissars war ruiniert. Mit den Folgen kämpft Wehling bis heute.
Herr Soult, wie geht es Ihrern Mandanten?
Schlecht. Er ist körperlich und seelisch stark angegriffen. Denn er wird seit 2002 „gejagt", wie er selber sagt. Mein Mandant hat das Gefühl, er sollfertig gemacht werden.
Warum?
Er vermutet, dass er zuviel weiß und zu hartnäckig ermittelte rund um clie Machenschaften im Leipzig der 90er-Jahre, die seit 2007 „Sachsensumpf" genannt werden. „Wir waren zugut", sagt er oft.
Wie wird Wehling denn fertig gemacht?
Er vvurde vom Innenminister monatelang suspendiert, mehrfach versetzt, zuletzt in die Kriminaltechnik. Und es gab in den vergangenen Jahren neun Strafverfahren gegen ihn, die alle eingestellt vvurden oder mit Freispruch endeten. Alles konstruierte Vorwürfe. Das zermürbt ihn. Aktuell laufen noch zwei Verfahren, die beide seit vier Jahren angeklagt, aber noch nicht terminiert sind.
Wie lauten die Vorwürfe?
Verfolgung Unschuldiger, gemeint sind die Juristen Norbert R. und Jürgen N., und Falschaussage vor demUntersuchungsausschuss. Es gibt 100 Seiten Anklageschrift, alles substanzlos, wie das Verwaltungsgericht Dresden schon in einem anderen Verfahren feststellte.
Falschaussage vor dem Untersuchungsausschuss?
Ja, dieser Vorwurf ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie mein Mandant „gejagt" wird. Er sagte vor dem Ausschuss aus, dass er 7 000 Seiten zum Thema gelesen habe. In der Anzeige gegen ihn wird behauptet, es seien 3 500 gewesen. Okay, 3 500, aber beidseitig beschrieben. Also 7 000! Und dazu gibt es nun zig Seiten Anklageschrift wegen Falschaussage.
Gejagt bedeutet, es muss Jäger geben ...
Natürlich. Wehling vermutet, dass ihn Justizkreise aufs Korn genommen haben.
Was passierte 2002, als Ihr Mandant zum Verfolgten wurde?
Zunächst hatte er zur Jahrtausendwende spektakulär den Mordanschlag auf den Immobi-lienmanager Klockzin geklärt, war damit dubiosen Immobiliendeals in Leipzig auf die Spur gekommen, an denen auch die Frau des Richters Jürgen N. mit-beteiligt gewesen sein soll. 2002 verfolgte er dann einen Pädophilenring, der ein Kinderbordell in der Leipziger Slevogtstraße betrieb, den „Club Rose". Dort sollen aus Tschechien eingeschleuste Sinti- und Roma-Jungen zur Prostitution gezwungen worden sein. Als Wehling nach monatelanger Beobachtung zuschlagen wollte, waren die Räume leer. Die Zuhälter müssen einen Tipp bekommen haben. Und die Einzigen, die von dem Zugriff wissen konnten, waren Staatsanwalt- und Richterschaft. Kurz nach dem verpatzten Zugriff kam es zu dem LKA-Sturm auf das Kommissariat meines Mandanten. Norbert R. war zu der Zeit bei der Staatsanwaltschaft in Leipzig.
Wie ist es, in Sachsen derartige Fälle zu vertreten?
Schwierig. Ich habe zum Beispiel den Journalisten Thomas Datt vor dem Amtsgericht Dresden vertreten, an dem R. zu der Zeit Präsident war. Und ein Richter ist bei seiner dienstlichen Beurteilung abhängig vom Präsidenten, weil der ihm Punkte gibt. Datt wurde dann auch zunächst schuldig gesprochen
Leben wir nicht in einem Rechtsstaat?
Ein schönes Wort, das sicher solange mit Füßen getreten wird, wie Politiker weisungsbefugt gegenüber der Staatsanwalt-schaft sind. Deshalb brauchen vvir dringend ein unabhängiges Kontrollorgan und eine Trennung von Politik und Justiz.
Sachsen war damals CDU-regiert und ist es heute ...
Ja. Wer die Sitzungen des Untersuchungsausschusses besucht hat, erlebte, dass die CDU-Mitglieder vor allem Zeitung gelesen oder im Internet gesurft haben.