Karl Nolle, MdL
DNN/LVZ, 12.07.2014
Wenn die Justiz zurückschlägt: Keine Verurteilung, aber Strafe des Lebens
Politik schließt Sachsensumpf-Untersuchung ab, doch Kripo-Mann Wehling kämpft weiter um Rehabilitation
Leipzig. Georg Wehling redet nicht. Der Kriminalhauptkommissar ist krank geschrieben. Nachdem er zweimal suspendiert war und sich wieder zurückgeklagt hatte in den Dienst, gibt es immer mal Phasen, in denen er nicht mehr kann. Sein Anwalt spricht von "schweren gesundheitlichen Schädigungen". Wehling verbüßt die Strafe seines Lebens, ohne je verurteilt worden zu sein. Die Justiz hat sich offensichtlich auf ihn als Hauptquelle für den sogenannten Sachsensumpf festgelegt. Auf ihn und eine Referatsleiterin des Verfassungsschutzes.
Der Inlandsgeheimdienst durfte einige wenige Jahre lang in Sachsen die Organisierte Kriminalität überwachen. Herausgekommen war eine Aktensammlung über mutmaßlich kriminelle Immobiliengeschäfte, sexuellen Missbrauch Minderjähriger, Rocker und die italienische Mafia.
Für die Politik wurde aus dem sogenannten Sachsensumpf eine Aktenaffäre. "Nichts dran an all den Vorwürfen", gab die Regierungskoalition beim letzten verbalen Scharmützel über den Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses im Landtag zu verstehen.
Sieben Jahre lang wurde ermittelt. Die Regierungskoalition sieht keine Belege für ein kriminelles Netzwerk, in dem Politik, Justiz und Milieu verwoben sind. Die Opposition mag das nicht ausschließen, kann es aber nicht belegen. Für Linke, SPD und Grüne besteht der eigentliche Skandal im Umgang der Justiz mit den Vorwürfen. Statt deren Wahrheitsgehalt zu ermitteln, seien sie abmoderiert worden. Weil "nicht sein kann, was nicht sein darf". So sieht es der Grünen-Politiker Johannes Lichdi.
Dieser Umgang hat Wehling krank gemacht. Er hatte einst - wie andere Staatsdiener aus Justiz und Polizei auch - mit dem Verfassungsschutz geredet. Das passierte auf Einladung der Behörde und mit Zustimmung des Dienstvorgesetzten, erklärt Wehlings Anwalt Steffen Soult. "Er wurde zu bestimmten Komplexen befragt, bestätigte, von einigen gehört zu haben - gerüchteweise. Dies müsse aber alles noch belegt werden", rekapituliert der Anwalt Wehlings damalige Einlassungen.
Bei einem Anfangsverdacht wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger werde normalerweise eine Hausdurchsuchung beim Verdächtigen angeordnet, so zitiert Soult einen damaligen Ermittlungsrichter. "Bei Wehling aber kam die Polizei nicht zu den Verdächtigen, sondern mehrfach mit einem Großaufgebot zum Ermittler", erinnert sich der Anwalt. Im Verdacht des Besuches des Minderjährigenbordells Jasmin standen auch zwei Spitzenjuristen. "Wenn es solche Verdachtsmomente gegen Juristen gibt, hätten die Fälle in ein anderes Bundesland abgegeben werden müssen, um unbefangen ermitteln zu können", sagt Soult.
Der Krebsschaden seien Loyalität und Freundschaft gegenüber Vorgesetzten. Das sei ja sogar menschlich verständlich. "Welcher Jurist ermittelt denn gegen einen hohen Justizbeamten im eigenen Bundesland? Der kann seine Karriere doch abschreiben", sagt Soult und nennt es "freundschaftliche Korruption". Weil unabhängige Ermittlungen nicht stattgefunden hätten, habe man sich die Chance vergeben, die Vorwürfe zu widerlegen.
Stattdessen wurden die mutmaßlichen Opfer, Ermittler wie Wehling und Journalisten mit Verfahren überzogen. Den einst im Jasmin zur Prostitution gezwungenen Mädchen wurde nicht geglaubt. Journalisten wurden wegen angeblich unlauterer Recherchen verklagt. Wehling wurde mit etwa zehn Straf- und und Disziplinarverfahren überzogen. Einmal hatte er gerade vor dem Untersuchungsausschuss ausgesagt, da hatte er bereits wieder eine Klage wegen Falschaussage am Hals.
"Georg Wehling wird durch die Verfahren kaputt gemacht", sagt der Anwalt, der ihn seit vielen Jahren vertritt. Und dabei alle Strafrechtsprozesse gewonnen hat. Zwei noch sind anhängig. "Vor einem Schwurgericht, vor dem sonst Kindermörder angeklagt werden", erwähnt Soult. Sein Mandant muss sich noch wegen Falschaussage und Verfolgung Unschuldiger verantworten. Wann und ob überhaupt verhandelt wird, ist unklar. "Die Richter vom Landgericht Dresden haben sich für überarbeitet erklärt. Erst müssten Haftsachen abgearbeitet werden", sagt Soult.
Auch wenn von Wehlings einstigen Kollegen ihm kaum mal einer Mut zugesprochen hat für die Gerichtsverfahren, so ist er doch bei den meisten als hervorragender Kommissar geschätzt. Als Leiter der Kommissariats 26, zuständig für Organisierte Kriminalität, ließ er einst nicht locker. Wehling ist ein verbissener Ermittler. Nur so stieß er Mitte der 90er Jahre auf ein zweites Kinderbordell in Leipzig. "Er ist unkonventionell, das heißt aber nicht, dass er gegen Dienstvorschriften verstieß", sagt Soult.
Bisher verlor Sachsens Justiz die Mehrzahl der Verfahren im Zusammenhang mit dem Sachsensumpf. Das Landgericht Dresden verwarf in zweiter Instanz ein Amtsgerichtsurteil gegen die Leipziger Journalisten Arndt Ginzel sowie Thomas Datt und sprach sie frei. Ihre Arbeit sei legitim, stellte der Richter klar. Das Verfahren gegen zwei einstige Zwangsprostituierten wurde vor knapp einem Jahr eingestellt. Heimlich, still und leise. Vielleicht passiert dasselbe mit den noch offenen Prozessen gegen den Kommissar Wehling. Sein Anwalt Steffen Soult ist sich sicher: "Er wird nicht verurteilt." Bestraft ist er trotzdem bereits. "Er wurde mit Verfahren überzogen und dadurch kaputt gemacht", kritisiert Soult die Verfahren als Strafe.
Von Andreas Friedrich