Karl Nolle, MdL
SAX Dresdner Stadtmagazin Nr. 8/2014, 30.07.2014
Sachsensumpf: Die hohe Kunst der Abmoderation
Sachsens Potenzen zeigen die Untersuchungen im Landtag – drei Ausschüsse gebären neun Berichte
Der Sachsensumpf atmet. Also lebt er. Noch lange. Denn er kann, ganz im Gegensatz zum Holzmichl, nur rechtsstaatlich beerdigt werden. Und da stehen die Uhren schon lange still, die Prozesse gegen die vermeintlichen Verursacher harren ihrer Einsetzung. Die Justiz gibt sich derweil überarbeitet, die Ermittlungen ruhen seit Jahren in Unfrieden, denn die Angeklagten bleiben derweil verdächtig, ihr Leben dafür beeinträchtigt bis ruiniert. Das ist verständlich, schließlich stehen just am letzten schönen Sommerferientag, für viele direkt nach den Schuleinführungspartys, Wahlen zum kommenden Landtag in Sachsen an, danach dreht sich das Dienstherrenkarussell samt Patronage - mit hoher Wahrscheinlichkeit mit etlichen Wechseln, auch in Justiz- wie Innenressort.
Kurzer Rückblick: Die »Sachsensumpf«-Affäre wurde im Mai 2007 durch Berichte über eine umfangreiche Datensammlung des sächsischen Verfassungsschutzes zu kriminellen Netzwerken mit Beteiligung hochrangiger Juristen in Leipzig, aber auch von Polizisten und Politikern ausgelöst. In den Akten ist von Amtsmissbrauch, Korruption, Kinder-und Zwangsprostitution die Rede, der Verfassungsschutz subsumierte das in seinem Dossier eindeutig unter »Organisierte Kriminalität« und gab sein O.K. zur passenden Bearbeitung.
Und der damalige Innenminister Albrecht Buttolo, seit 1979 in der DDR-CDU, sprach in seiner berühmten »Mafia-Rede« am 5. Juni 2007 von der »OK«, die verleumden werde, Gerüchte streuen, Misstrauen säen und einschüchtern werde. Wenn man nicht aufpasse, werde sie diesen Kampf gewinnen. »Beifall von der CDU« steht danach im Landtagsprotokoll. Worauf der Minister appellierte: »Wir müssen zusammenstehen, damit das Netzwerk wirklich zerstört werden kann.«
Schon zwei Monaten später war das geschehen. Dank der CDU. Höhere Politiker wie Juristen sprachen davon, dass die mehr als 15.000 Aktenseiten nichts wert seien. Von internen Ermittlern war schnell ein sehr akribischer Kriminalpolizist und eine übereifrige Referatsleiterin beim Verfassungsschutz als Sumpf-»Erfinder« präsentiert und seither jeweils mit zehn Verfahren überzogen - keines ging bislang gut aus für den Freistaat oder dessen Verfechter, dafür schlecht für deren Gesundheit und Arbeitsleistung.
Im Gegensatz dazu - so attestiert es die Opposition unter Federführung der Obleute Klaus Bartl (Die Linke), Johannes Lichdi (Grüne) und Karl Nolle (SPD) in ihrem 400-seitigen Minderheitenbericht - wurde nie ernsthaft ermittelt, ob es die avisierten »kriminellen und korruptiven Netzwerke« wirklich gibt.
Und - als sanfte Ohrfeige in Richtung Justiz - dass wesentliche Gründe für die Einstellung der Verfahren gegen die beteiligten Juristen schon seit April 2008 widerlegt seien. Natürlich ohne Auswirkungen juristischer Art. Hier legt Lichdi nach: Einer der vielen verborgenen Skandale im »Sachsensumpf« bestehe darin, dass die beiden Zwangsprostituierten seit 1993 bis heute nicht ernst genommen und geschützt werden und die sächsische Justiz diese sogar bis heute, also über 20 Jahre später, weiter verfolge und zu Opfern macht. Der dazu führende Bordellbesuch der Justizangehörigen sei aufgrund schlampiger Ermittlungen keineswegs widerlegt worden, aber natürlich hätten jene Richter (siehe SAX 8.2013) nach rechtsstaatlichen Grundsätzen als unschuldig zu gelten.
Viel Lärm ums Image
Und da es keine Ermittlungen gab, konnte natürlich auch der vierjährige Untersuchungsausschuss über die Ermittlungen nichts darüber feststellen. Diese selbsterfüllende Prophezeiung nahm dann CDU-Obmann Christian Piwarz erwartungsgemäß zum Anlass den »selbsternannten Aufklärern von SPD, Linken und Grünen« per Erklärung und Landtagsrede den gesamten Schaden vorzuwerfen: »Letztendlich war der Untersuchungsausschuss zum sogenannten Sachsensumpf ein Paradebeispiel für eine politische und mediale Skandalisierung. Am Ende bleibt für mich nur das Resümee: Viel Lärm um nichts. Was bleibt, sind hohe Kosten für den Steuerzahler und ein erheblicher Image-Schaden für den gesamten Freistaat Sachsen.«
Damit gibt er den drei Fraktionen, die den Ausschuss 2010 eingesetzt hatten - auch weil der aus der vorhergehenden Legislatur mit dem Argument der möglichen Behinderung massiv behindert worden war - unfreiwillig recht: Der unangemessene Umgang mit dem Verfassungsschutzmaterial und die Umkehrung der Ermittlungen gegen die Nestbeschmutzer sei der eigentliche Sachsensumpf-Skandal.
Ihre Pressekonferenz zur Vorstellung des Minderheiten-Berichtes erstreckte sich über 100 Minuten - vielleicht der Rekord im aktuellen Landtag, während die Kabinettspressekonferenz am Vortag mangels Informationen gruselige zehn Minuten andauerte.
Harsche Thesen fanden dort die drei bekannten Obmänner: »Gäbe es in Italien eine Struktur der Justiz wie in Sachsen, hätte dort wohl kein einziger Prozess gegen die Mafia stattgefunden«, ätzt Klaus Bartl. Und erzählt von einem Polizisten, der, weil er in guter alter Geheimdienstmanier dem Deck- keine Klarnamen zuordnen wollte, von heute auf morgen aus der verdeckten Ermittlung gegen Rechtsradikale in den öffentlichen Streifendienst versetzt wurde.
Befreundete Medien und freie Freier
Karl Nolle schildert die Vernehmung der Verfassungsschützerin auf dem Krankenbett und attestiert den Staatsanwälten wortwörtlich »weißrussische Vernehmungsmethoden«. Johannes Lichdi erwähnt die wie bestellt tagesgenau zum CDU-Parteitag erscheinenden entlastenden Interviews »befreundeter Medien« und abwesender Journalisten. Er gehe gar von einem genau geplanten »Drehbuch« zur »Abmoderation der Affäre« mittels einer Art Mediaplan aus.
Das lässt sich natürlich nicht beweisen, nur in den Zeitungsarchiven nachlesen. Diese »Freundschaft« wurde just drei Wochen zuvor leibhaftig bestätigt: Indem gezielt Informationen aus dem nichtöffentlichen Teil einer Zeugenvernehmung der Plauener Sozialarbeiterin Cathrin Schauer, die mit ihrem Verein Karo gegen Zwangsprostitution an der deutsch-tschechischen Grenze kämpft, »durchgestochen« und als »Scoop« (so das Journalistendeutsch) berichtet wurde. Schauer war als Zeugin der Wahrheit verpflichtet, wurde kurzzeitig mit einer (offenbar nachträglich gefälschten Akte) als Informantin beim Verfassungsschutz geführt und nun »durch Rechtsbruch aus den Reihen der Ausschuss-Mitglieder mit aus dem Zusammenhang gerissenen Fragmenten« endgültig diskreditiert.
So prangern es Nolle, Lichdi und Enrico Stange (Linke) an: »Mit der Berichterstattung werden Gefahren für Leib und Leben der Mitarbeiterinnen des Plauener Vereins Karo und insbesondere der Ausschuss-Zeugin Cathrin Schauer in Kauf genommen.«
Auch hier wäre eine Gerichtswürdigung empfehlenswert bis spannend, aber eher unsächsy. Denn damit sind gleich zwei Probleme auf einmal gelöst: Nun werden weder Verein noch Schauer selbst jenseits der Grenze Autonummern der deutschen Freier notieren und damit die desinteressierte sächsische Polizei belästigen. Auch das öffentliche Interesse daran, dass Schauer, wie von Patrick Schreiber (CDU) nebenher erfragt, noch eine Affäre oder gar Liebschaft mit ihrem Kontaktmann hatte, könnte mal von einem Fachgericht beurteilt werden.
In Sachsen nichts Neues
Allein diese Debatte war in der letzten Sitzung der fünften Landtagsbesetzung durchaus bemerkens- wie sehenswert. Und es gab zwei denkwürdige Abschiede: Karl Nolle und Johannes Lichdi werden sich zurückziehen - und ohne ihre permanenten Stänkereien die Grünen wie Rosaroten vielleicht sogar regierungsreif, so der Posten des Unionsannex frei werde. Sie hielten noch einmal aufrührende Reden, durchaus humorvoll, aber angemessen giftig. Beide werden fehlen, vor allem dem interessierten Bürger, aber auch der glattgebügelten Koalition als Reibungspunkt.
So schloss Nolle seine sächsische Landtagszeit mit dem Morgenstern-Gedicht »Die unmögliche Tatsache« mit Verweis auf den sterbenden Palmström. Zuvor hatte er einen letzten Wunsch formuliert: »Armes Sachsen, armes Land der friedlichen Revolution, Land des Aufbruchs in den Rechtsstaat. Der Verrat an der Reinheit und Klarheit der Gedanken kommt aus Deinen Reihen - aus Machtversessenheit und Machtvergessenheit. Ich wünsche mir von den Machthabern im Land Bescheidung im Amt.« (Kein Beifall aus den Reihen der CDU.) (Text der Rede von Karl Nolle am 10.07.2014 "Sachsen - Eine Simulation von Rechtsstaat")
Das alles ist gespeichert und jederzeit auf der Netzpräsenz des Landtages nachlesbar - und liest sich wahrlich dröge. Wer die Dokumente und Debatten nicht sofort findet, der sollte einfach in der Suchmaske den Komplettnamen des 2. Untersuchungsausschusses der 5. Wahlperiode eingeben:
»Verantwortung von Mitgliedern der Staatsregierung und von ihnen beauftragter leitender Behördenvertreter für etwaige schwerwiegende Mängel bei der Aufdeckung und Verfolgung krimineller und korruptiver Netzwerke unter Beteiligung von Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Justiz, Polizei und sonstigen Landes- und kommunalen Behörden in Sachsen, für das Versagen rechtsstaatlicher Informations-, Kontroll- und Vorbeugungsmechanismen und für die unzureichende Aufklärung sowie gezielte Desinformation gegenüber der Presse und der Öffentlichkeit im Umfeld der Debatten um den sogenannten Sachsen-Sumpf (Kriminelle und korruptive Netzwerke in Sachsen)«.
So müßig ist Demokratie, warum sollte es gerade bei der besonderen sächsischen Ausformung anders sein?
Dass die anderen beiden Untersuchungsausschüsse ähnlich endeten, braucht hier nicht erwähnt zu werden. Wer mehr über diverse sächsische Abfallskandale der jüngeren Vergangenheit wissen will, sich also der Arbeit des in der Presse kurz »Müllausschuss«, im Landtag dagegen »Abfall-Missstands-Enquete« genannten Ausschusses widmen will, muss sich auf 633 Seiten Lektüre einlassen.
Und auch in Sachen NSU, Thema des dritten Ausschusses, war nach Meinung der Mehrheit alles in Ordnung in Sachsen: »Aus der Sicht des Ausschusses sind die Themen, die bisher im Ausschuss behandelt worden sind, mit dem Abschlussbericht erledigt.« Und zwar nach 108 Seiten. Die Opposition braucht 371 Seiten zur Abweichung und endet wie folgt: »Es bleibt zu hoffen, dass solche zutiefst pessimistischen Stellungnahmen nicht das Ende der Ermittlungen im NSU-Komplex bilden, sondern Deutschland wieder den Weg zurück zu einer funktionstüchtigen und rechtsstaatlichen Prinzipien gehorchenden Demokratie findet, in der die Geheimdienste nicht wie gegenwärtig ein hermetisch von der sonstigen Öffentlichkeit abgeschirmtes und jedweder Kontrolle entzogenes Eigenleben führen, in dem jede noch so scheußliche Straftat ungesühnt und unaufgeklärt bleibt.« Das schreibt übrigens die NPD zum Schluss ihrer 15 Seiten.
Besser als Orwell
All das ist gemeinhin bekannt - selbst die inkriminierten Artikel sind mangels presserechtlicher Schritte oder Erfolge weiterhin im Netz nachlesbar. Doch offenbar gehört es zum sächsischen Seelenleben dazu, sich leicht meckernd zu fügen. Ob nun mehr aus Schicksalsergebenheit oder Vasallentreue, ist egal - denn beides ist nachweisbar traditionell verankert und nimmt Druck vom eigenen Leumund.
Der »Spiegel« fasste die Zustände, mit zahlreichen Ungeheuerlichkeiten illustriert, in seinem markanten Duktus zusammen: »Wie kein anderes Bundesland hat Sachsen über Jahre hinweg eine Serie unglaublicher Verletzungen rechtsstaatlicher Prinzipien produziert. Im Südosten der Republik gelten offenbar auch zwei Jahrzehnte nach dem Untergang der DDR eigene Regeln. Immer wieder werden eklatante Fälle staatlichen Machtmissbrauchs und polizeilicher Willkür bekannt, ohne dass sich die Verhältnisse grundlegend bessern würden.« Und zitierte dabei süffisant den Berliner Historieguru Wolfgang Wippermann: »In Sachsen geschehen Dinge, die könnte sich George Orwell nicht einmal vorstellen.« Es sei das »rechtskonservativste und unfreieste Bundesland der Republik«, analysiert der Geschichtsprofessor. Das war übrigens im August 2011 - und geändert hat sich seither nichts. Das scheint erstaunlich, weil die sächsische Justiz ja fünf Jahre unter FDP-Führung stand - was in anderen Bundesländern durchaus für Liberalisierung sorgen kann.
Aber sächsisch geht halt anders. Hier ist - so zeigt auch die völlig losgelöste Selbstwahrnehmung in allen drei Untersuchungsausschussberichten - alles in weißgrüner Butter. Und weil das, in der Entwicklung gesehen, wohl besser als nationaler oder echter Sozialismus ist, scheint es dem sächsischen Volke zu reichen.
Und überhaupt: Wer hat Orwells Visionen denn mittlerweile nicht übertroffen?
ANDREAS HERRMANN
* Alle Bände der Untersuchungsberichte: http://edas.landtag.sachsen.de/